Fall 1999-010N

Werbung und Vertrieb eines antisemitischen Buches in Zeitschrift Y

St. Gallen

Verfahrensgeschichte
1999 1999-010N 1. Instanz verurteilt die Angeklagten zu zwei Monaten Gefängnis bedingt und zu einer Busse von Fr. 1'500.--
Juristische Suchbegriffe
Tathandlung / Objektiver Tatbestand Aufruf zu Hass und Diskriminierung (Abs. 1);
Organisation von Propagandaaktionen (Abs. 3)
Schutzobjekt keine Ausführungen zum Schutzobjekt
Spezialfragen zum Tatbestand Subjektiver Tatbestand
Stichwörter
Tätergruppen Medienschaffende / Verleger
Opfergruppen Juden
Tatmittel Verbreiten von rassistischem Material
Gesellschaftliches Umfeld Kunst und Wissenschaft
Ideologie Antisemitismus

Kurzfassung

Die beiden Angeklagten X1 und X2 sind Herausgeber, Redakteure und Verleger der viermal jährlich erscheinenden Zeitschrift Y. Im vorliegenden Verfahren wird den Angeklagten vorgeworfen, in der Nummer 6/95 auf Seite 60 das antisemitische Buch bzw. den ersten Band von «Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert» von Jan van Helsing zum Verkauf angeboten zu haben.

Im weiteren wird den Angeklagten vorgeworfen, ein mit W, dem «Patriarchen der Kirche Z», geführtes Interview in Form eines Sonderdruckes zu Nr. 13/97 der Zeitschrift Y veröffentlicht zu haben.

X1 und X2 werden von der Anklage der rassistischen Propaganda im Zusammenhang mit dem Vertrieb des Buches von Jan van Helsing freigesprochen. Aber sie werden der rassistischen Propaganda (Art. 261bis Abs. 3 StGB i.V.m. Abs. 1 StGB) im Zusammenhang mit dem Sonderdruck zu Nr. 13 der Zeitschrift Y für schuldig erklärt und zu zwei Monaten Gefängnis bedingt, bei einer Probezeit von zwei Jahren, sowie zu einer Busse von je Fr. 1'500.-- verurteilt.

Sachverhalt

Die beiden Angeklagten X1 und X2 sind Herausgeber, Redakteure und Verleger der viermal jährlich erscheinenden Zeitschrift Y. Die einzelnen Nummern enthalten einen als «Markt» bezeichneten Teil, in welchem Bücher angeboten werden. Im vorliegenden Verfahren wird den Angeklagten vorgeworfen, in der Nummer 6/95 auf Seite 60 das Buch bzw. den ersten Band von «Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert» von Jan van Helsing zum Verkauf angeboten zu haben. Dieses Buch soll, so das von Prof. Dr. N im Auftrag des Untersuchungsrichteramtes des Kantons Schaffhausen erstellte Gutachten, gegen Juden, Zionisten, Freimaurer und andere den «Illuminati» zugerechneten Gruppen zu Hass aufrufen und Ideologien enthalten, welche systematisch auf Herabsetzung gerichtet seien.

Im weiteren wird den Angeklagten vorgeworfen, ein mit W, dem «Patriarchen der Kirche Z», geführtes Interview in Form eines Sonderdruckes zu Nr. 13/97 der Zeitschrift Y veröffentlicht zu haben. Den Hintergrund des Interviews bildete das gegen einen Vertreter der Kirche Z in einem anderen Kanton geführte Gerichtsverfahren, in dessen Rahmen der Angeklagte der Rassendiskriminierung für schuldig erklärt wird. Die zweite Instanz bestätigte dieses Urteil und das Bundesgericht wies eine dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ab. Die Gerichte erachteten die strafrechtliche Verantwortlichkeit dieses Vertreters für den Versand eines Einladungsschreibens der Kirche Z für die Jahreskonferenz 1995 für erwiesen. Das Bundesgericht hat in BGE 123 IV 202 unmissverständlich festgehalten, dass der besagte Einladungsbrief der Kirche Z gegen Art. 261bis StGB verstiess.

Rechtliche Erwägungen

Angebot des Buches von Jan van Helsing «Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert»

Den Angeklagten wird vorgeworfen, durch das in Inseratform erfolgte Verkaufsangebot sowie den effektiven Vertrieb des gegen Art. 261bis abs. 1 und 2 StGB verstossenden Buches «Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert» für das genannte Werk geworben und sich damit der Durchführung einer Propagandaaktion im Sinne von Art. 261bis Abs. 3 StGB schuldig gemacht zu haben. Gemäss 1. Instanz ist allein entscheidend, ob der Nachweis gelingt, die Angeklagten hätten das Buch mit dem Ziel, gegen Juden zu Hass aufzurufen oder Ideologien zu verbreiten, welche auf die systematische Herabsetzung der Juden gerichtet sind, in ihrem Sortiment angeboten. (E. II 2, S. 16)

Wie sich einem weiteren, ebenfalls von Prof. Dr. N im Auftrage des Schweizerischen Buchhändler- und Verleger-Verbandes (SBVV) erstellten Kurzgutachten entnehmen lässt, "[...] kann grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, Grossisten und Buchhändlern sei [...] der Inhalt der von ihnen vertriebenen Bücher bekannt. Ferner begründe Art. 261bis StGB auch keine eigentliche Pflicht zur Zensur oder besonderer Vorsicht. Allerdings sei ihnen das tatsächlich bestehende Wissen bezüglich der vertriebenen Publikationen anzurechnen. Von einem derartigen Wissen sei etwa auszugehen, wenn die Grossisten bzw. Buchhändler von dritter Seite wie Behörden, der Kundschaft oder durch Presseberichte auf den strafbaren Inhalt der Publikationen hingewiesen würden oder aber der Inhalt ohne weiteres offensichtlich sei, etwa bei eindeutig gestalteten Umschlägen. Ferner sei bei speziellem Werben für eine Publikation seitens des betreffenden Grossisten oder Buchhändlers grundsätzlich davon auszugehen, diesem sei deren Inhalt nicht nur bekannt, sondern er würde ihn auch billigen." (E. II 2, S. 16)

Nach der Meinung der 1. Instanz ist zu prüfen, ob den Angeklagten beim blossen Querlesen bzw. Durchblättern des Buches dessen gemäss Gutachten N gegen die Juden gerichtete Stossrichtung überhaupt habe entgehen können. (E. II 2, S. 18)

Die 1. Instanz führt dazu weiter aus: " [...] Dieser versöhnliche Rahmen war nicht geeignet, bei den Angeklagten zwingend den Verdacht aufkommen zu lassen, das Buch enthalte gegen Art. 261bis StGB verstossende Passagen und sie dadurch zu veranlassen, das gesamte Buch nicht nur oberflächlich zu lesen bzw. durchzublättern, sondern einem eingehenden Studium zu unterziehen und nach rassistischen Äusserungen zu suchen bzw. einer antisemitischen Grundhaltung zu forschen. Auch das Gutachten N gelangt unter anderem zu dem Schluss, dass die Gefährlichkeit des Buches gerade in der Raffinesse liege, mit welcher es seine Gedanken vortrage, weshalb versöhnlichere Töne nicht über den strafbaren Inhalt des Werkes hinwegtäuschen dürften [...]. Wird aber davon ausgegangen, die Angeklagten des vorliegenden Verfahrens hätten sich nicht eingehend mit dem Buch befasst, so kann ihnen nicht zum Vorwurf gereichen, dass ihnen diese Raffinesse [...] allenfalls entging und sie beim Durchblättern den mehrfach auftauchenden Bankiernamen 'Rothschild' nicht automatisch dem Begriff 'Judentum' gleichsetzten bzw. generell als Synonym für 'Juden' auffassten. Eine derartige Nichtgleichsetzung beim Lesen bzw. Durchblättern spräche indes für eine vielleicht etwas naive, aber immerhin offene und zumindest nicht zu pauschalen Vor- und Werturteilen neigende Geisteshaltung, welche den Angeklagten gerade nicht zum Vorwurf zu gereichen vermöchte." (E. II 2, S. 19)

Entscheidende Bedeutung muss auch dem Umstand zukommen, dass das Buch «Geheimgesellschaften» zum Zeitpunkt des Erscheinens des Inserates offenbare frei im Buchhandel erhältlich war und bestellte Exemplare von den Angeklagten offiziell über das Schweizer Buchzentrum bezogen wurden.

Gemäss der 1. Instanz kann damit nicht davon ausgegangen werden, die Angeklagten wären sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Inserates bzw. des Vertriebs des Buches dessen gemäss N gegen Art. 261bis StGB verstossenden Inhalts bewusst gewesen: «Mangels Erfüllung des subjektiven Tatbestandes sind sie daher von der Anklage der rassistischen Propaganda im Zusammenhang mit dem Vertrieb des besagten Buches freizusprechen." (E. II 2, S. 19 f.)

Interview mit W, dem «Patriarchen der Kirche Z»

Hinsichtlich des Sonderdruckes zu Nr. 13 der Zeitschrift Y ist vorab zu klären, ob dieser bzw. das in seinem Rahmen wiedergegebene Interview objektiv gegen Art. 261bis StGB verstösst. Ist dies bejaht, so ist im Weiteren zu beurteilen, inwieweit die Angeklagten hierfür zur strafrechtlichen Verantwortung zu ziehen sein werden.

Die 1. Instanz führt weiter aus, dass die von W gemachten Aussagen sich nicht von den früher vorgenommenen und zwischenzeitlich für strafbar erklärten Aussagen unterschieden, sondern eher noch breiter angelegt waren (E. II 3, S. 22)

Damit steht fest, dass die Aussagen von W geeignet waren, bei der Leserschaft gegenüber Juden Hass im Sinne von Art. 261bis Abs. 1 StGB zu schüren.

Nach der Meinung der 1. Instanz: «Die Angeklagten haben damit nicht nur darauf verzichtet, sich im Rahmen einer allgemein gehaltenen Floskel von den Äusserungen des Interviewten zu distanzieren oder zumindest zu erklären, dass sich dessen Ansichten nicht mit denjenigen der Redaktion decken müssten; [...]. Der Sonderdruck und das darin enthaltene Interview können damit nicht mehr als blosser journalistischer Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung abgetan werden, im Gegenteil: Die Angeklagten haben sich mit den strafbaren Aussagen von W identifiziert, diese inhaltlich für wahr erklärt und dies gleichzeitig mit deren Wiedergabe öffentlich kundgetan." (E. II 5, S. 26) Die 1. Instanz führt weiter aus: «Nachdem der Anstoss zu dem Interview von den Angeklagten ausgegangen und dieses auch von ihnen organisiert worden ist und sie für dessen Übersetzung, Drucklegung und Verteilung besorgt gewesen sind, haben sie damit Propagandaaktionen im Sinne von Art. 261bis Abs. 3 StGB willentlich organisiert, gefördert und daran teilgenommen und dadurch sowohl den objektiven als auch subjektiven Tatbestand von Art. 261bis Abs. 3 StGB erfüllt." (E. II 5, S. 26)

Entscheid

* X1 und X2 werden von der Anklage der rassistischen Propaganda im Zusammenhang mit dem Vertrieb des Buches von Jan van Helsing, Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert, Band I, freigesprochen.* X1 und X2 werden der rassistischen Propaganda im Zusammenhang mit dem Sonderdruck der Zeitschrift Y für schuldig erklärt und zu zwei Monaten Gefängnis bedingt, bei einer Probezeit von zwei Jahren, sowie zu einer Busse von je Fr. 1'500.-- verurteilt.