Fall 2000-022N

Versendung von antisemitischen Briefen

Basel-Stadt

Verfahrensgeschichte
2000 2000-022N 1. Instanz verurteilt den Angeklagten.
2001 2001-015N 2. Instanz weist die Berufung des Angeklagten ab.
Juristische Suchbegriffe
Tathandlung / Objektiver Tatbestand Aufruf zu Hass und Diskriminierung (Abs. 1);
Herabsetzung oder Diskriminierung (Abs. 4 Hälfte 1);
Leugnung von Völkermord (Abs. 4 Hälfte 2)
Schutzobjekt keine Ausführungen zum Schutzobjekt
Spezialfragen zum Tatbestand Öffentlichkeit
Stichwörter
Tätergruppen Privatpersonen
Opfergruppen Juden
Tatmittel Schrift
Gesellschaftliches Umfeld Weiteres gesellschaftliches Umfeld
Ideologie Antisemitismus;
Revisionismus

Kurzfassung

Der Angeklagte, ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS, versandte in den Jahren 96 bis 98 persönlich adressierte antisemitische Briefe und Postkarten an Politiker und weitere Personen, welche sich öffentlich zur Thematik Schweiz und 2. Weltkrieg geäussert hatten. Die Briefe wurden mit dem Pseudonym «Die Jäger vom Hochrhein» gezeichnet.

Die 1. Instanz erachtete Art. 261bis Abs. 1, Abs. 4 Hälfte 1 und Hälfte 2 StGB durch den Inhalt dieser Briefe als erfüllt und verurteilte den Angeklagten zu einer Gefängnisstrafe von 4 Monaten bedingt.

Hauptrüge des Appellanten ist die Qualifikation der Versendung der inkriminierten Briefe als öffentliche Tatbegehung durch die Vorinstanz. Die 2. Instanz bejaht jedoch wie die Vorinstanz die Öffentlichkeit und weist die Berufung ab.

Sachverhalt

Der Angeklagte verschickte im Februar 1997 an ein Mitglied des Grossen Rates ein persönlich adressiertes, von ihm verfasstes, fotokopiertes Schriftstück, unterzeichnet mit «Die Feldjäger vom Hochrhein». Das Schreiben enthielt eine abschätzige Karikatur über Juden und die folgenden Textpassagen:

«Das ist sie, die MISPOCHE in Usrael, die unserem Vaterland ans Leder will und, einmal mehr, sich auf unsere Kosten bereichern möchte..."

«Massgebend am Schanddiktat von Versailles beteiligt, der Ursache für den 2.Weltkrieg, erklärte das Judentum schon 1933 Deutschland den Krieg."

«Und ganz genau dasselbe wollen sie nun mit unserer Wirtschaft, den Banken, ja dem ganzen Schweizervolk machen. Genau so wie einst Jud Süss-Oppenheimer seinen Herzog Karl-Albrecht und das Land Württemberg plünderte. Milliarden haben sie an den von ihnen angezettelten Kriegen verdient; aber kein Volk will mehr für die Juden in den Krieg ziehen und so soll denn der HOLOCAUST das nötige Kleingeld besorgen!"

In einer weiteren Passage wird die Massenvernichtung der Juden in den Konzentrationslagern geleugnet, indem der Angeklagte einen angeblichen amerikanischen «Experten» zitiert: «Die Krematorien hatten keine Kamine!"

Der Abschluss bildete der Aufruf an die «EIDGENOSSEN», aufzustehen, sich zu wehren, mit gleicher Münze heimzuzahlen und zu überlegen, «mit wem ihr Geschäfte macht!"

Ähnliche antisemitische Briefe, teilweise ebenfalls mit «Die Feldjäger vom Hochrhein» gezeichnet, verschickte der Angeklagte in den Jahren 1996 bis 1998 an verschiedenste Personen.

Gegen den Angeklagten wurde von einem Geschädigten auch eine Privatstrafklage wegen Ehrverletzung eingereicht.

Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein, da das Tatbestandselement der Öffentlichkeit nicht erfüllt sei. Die angerufene Rekurskammer der 1. Instanz erachtete die Öffentlichkeit als gegeben und wies die Staatsanwaltschaft an, Anklage zu erheben.

Im daraufhin erfolgten Prozess verurteilte die 1. Instanz den Angeklagten wegen Verletzung von Art. 261bis Abs. 1, Abs. 4 Hälfte 1 und Hälfte 2 StGB zu einer Gefängnisstrafe von 4 Monaten bedingt.


Entscheid 2000-022N

1. Instanz verurteilt den Angeklagten.

Rechtliche Erwägungen

Unbestritten ist hier der rassendiskriminierende bzw. antisemitische Inhalt der inkriminierten Schriftstücke. Die 1. Instanz unterlässt es, mit Bezugnahme auf den BGE 123 IV 210, «angesichts der summierten Verwendung notorischer Versatzstücke aus dem Arsenal der Judenhetze» sich näher mit dem Text auseinanderzusetzen. Sie erachtet die Tatbestandsvarianten nach Abs. 1, Abs. 4 Hälfte 1 und Hälfte 2 ohne weiteres als erfüllt.

Lediglich das Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit, welches bei allen Tatbestandsvarianten erfüllt sein muss, bedarf einer genaueren Abklärung durch die 1. Instanz. Nach Wiedergabe der in Lehre und Praxis allgemein anerkannten Meinung zu den Voraussetzungen der Öffentlichkeit geht die 1. Instanz auf den hier vorliegenden Fall ein: «Bei einem Schreiben, dass an eine grössere Zahl bestimmter, dem Schreibenden nicht weiter persönlich bekannter Personen gerichtet ist, muss im Regelfall die Kontrolle über den Wirkungskreis verneint werden, da die Beschränkung auf eine bestimmte Anzahl konkreter Personen alleine die Kontrolle noch nicht garantiert. Damit der sich Äussernde davon ausgehen kann, sein Schreiben bzw. dessen Inhalt werde nicht weiterverbreitet, muss zwischen dem Absender und den Adressaten ein gewisses minimales Vertrauensverhältnis bestehen. Trifft dies nicht zu, kann der Absender nicht davon ausgehen, dass sein Schreiben als Privatsache behandelt wird. Damit fehlt ihm aber die Kontrolle über den Wirkungskreis seiner Äusserungen, weshalb diese als öffentlich zu gelten haben. Dasselbe muss auch gelten, wenn das Schreiben an eine relativ kleine, beschränkte Gruppe von Personen geht, die dem Absender nicht persönlich bekannt sind und von denen er demzufolge nicht annehmen kann, dass sie seine Äusserungen nicht weitergeben werden (Marcel A. Niggli, Rassendiskriminierung, Zürich 1996, N 717).

Fest steht, dass der Angeklagte mehrere Briefe an ihm nicht persönlich bekannte Personen verschickt hat, allein deshalb, weil sich diese vorgängig öffentlich geäussert hatten. Auch wenn es sich dabei lediglich um eine relativ kleine, beschränkte Gruppe von Personen handelte, konnte der Angeklagte, wie oben dargelegt, nicht annehmen, dass diese seine Äusserungen nicht weitergeben würden. [...]

Im Ergebnis ist das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der Öffentlichkeit demzufolge zu bejahen. Denn wer seine Schmähschriften gezielt an meinungsbildende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Religion verschickt, der sucht geradezu Öffentlichkeit." (E.II.1.b, S.8 f.)

Die Verteidigung bringt zwar als Gegenargument gegen die Öffentlichkeit vor, dass alle Strafverfahren betreffend die verschiedenen Schreiben, ausser dem Vorliegenden, von der Staatsanwaltschaft einzeln eingestellt worden seien. Somit können diese eingestellten Verfahren nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sein bzw. nicht für die Begründung der Öffentlichkeit herangezogen werden. Die 1. Instanz erwidert auf diesen Einwand: «Mit dem Schreiben an [den Privatkläger] allein hätte das Merkmal der Öffentlichkeit wohl nicht bejaht werden können. Die Rekurskammer hat in ihrer Erwägung aber zu Recht darauf hingewiesen, dass der Fall [...] nicht isoliert betrachtet werden dürfe, selbst wenn im Strafverfahren gegen [den Angeklagten] jeder Fall separat behandelt und dementsprechend auch einzeln eingestellt wurde. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die "Öffentlichkeit» lediglich ein Tatbestandsmerkmal des Art. 261bis StGB darstellt. Zu deren Begründung können die anderen Briefe [des Angeklagten] herangezogen werden." (E.II.1.b, S.9)

Die Strafe von 4 Monaten Gefängnis wird aus Rücksicht auf das hohe Alter des Verurteilten und der Tatsache, dass er als erstmalig vor Gericht stehend zu betrachten sei, nur bedingt ausgesprochen. Aufgrund des Verschuldens des Angeklagten, welches nicht leicht wiege, wird die Probezeit auf 3 Jahre festgesetzt. (E.III, S.14)

Entscheid

Verurteilung wegen Rassendiskriminierung sowie der mehrfachen, teilweise versuchten Beschimpfung zu 4 Monaten Gefängnis bedingt, unter Auferlegung einer Probezeit von 3 Jahren. Die beschlagnahmten Unterlagen werden gemäss Art. 58 Abs. 1 StGB eingezogen. Die Genugtuungsforderungen von drei Geschädigten werden abgewiesen.


Entscheid 2001-015N

2. Instanz weist die Berufung des Angeklagten ab.

Rechtliche Erwägungen

Hauptrüge des Appellanten ist die Qualifikation der Versendung der inkriminierten Briefe als öffentliche Tatbegehung durch die Vorinstanz. Aber auch die 2. Instanz kommt zum gleichen Ergebnis und bestätigt das vorinstanzliche Urteil in diesem Punkt: «Im vorliegenden Fall hat der Appellant seine offensichtlich rassistischen Schriftstücke ausser an [den Privatkläger] an ein gutes Dutzend weitere, ihm nicht persönlich, sondern nur aufgrund öffentlicher Verlautbarungen zum Thema Holocaust bekannte Einzelpersonen verschickt. In zwei Fällen hat er auch Personengemeinschaften mit seinen Traktaten bedient, [...].

Zwar hat der Appellant damit rechnen können, dass die von ihm angeschriebenen Einzelpersonen, die alle in der öffentlichen Diskussion eine seinen eigenen Vorstellungen zuwider laufende Meinung vertreten hatten, seine antisemitischen und rassistischen Tiraden gerade nicht weiterverbreiten würden. [...] Es lässt sich jedoch nicht sagen, er habe bei allen Adressaten das Risiko vollständig ausschliessen können und dürfen, dass seine Äusserungen deren Kreis verlassen. Namentlich im Falle der [...] bestand das Risiko, dass das Schreiben über den Kreis der gewählten Adressaten hinaus bekannt würde, lag doch die Frage der Weiterverarbeitung ausserhalb der Einflussmöglichkeit des Appellanten. Das Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit ist daher als gegeben zu erachten. Dafür spricht auch der Umstand, dass sich der Appellant vielfach Postkarten bediente, die er - meist unfrankiert - offen und für ungezählte Angestellte der Post ohne weiteres wahrnehmbar den Adressaten verschickte." (E.II.4.b)

Bezüglich der Aussprechung einer bedingten Gefängnisstrafe kritisiert die 2. Instanz das vorinstanzliche Urteil, weil "[...] die Aussprechung einer bedingten Freiheitsstrafe für einen "Überzeugungstäter», der sich auch an der Hauptverhandlung nicht von seinem Tun distanzierte, sondern weitere Aktionen ankündigte für den Fall, dass sich erneut jemand zu diesem Themenkreis äussert, nicht ohne weiteres nachvollziehbar erscheint." (E.II.9)

Entscheid

Abweisung der Berufung.