Fall 2012-024N

Nichtanhandnahme mangels Erfüllung des Kriteriums der „in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise“

Bern

Verfahrensgeschichte
2012 2012-024N Die zuständige Strafverfolgungsbehörde verfügt eine Nichtanhandnahme.
Juristische Suchbegriffe
Behörde/Instanz Zuständige Strafverfolgungsbehörde
Tathandlung / Objektiver Tatbestand Herabsetzung oder Diskriminierung (Abs. 4 Hälfte 1)
Schutzobjekt Schutzobjekt allgemein
Spezialfragen zum Tatbestand Geschütztes Rechtsgut;
Öffentlichkeit
Stichwörter
Tätergruppen Politische Akteure
Opfergruppen Schwarze Personen / PoC;
Jenische, Sinti/Manouches, Roma
Tatmittel Schrift
Gesellschaftliches Umfeld Medien (inkl. Internet)
Ideologie Antiziganismus;
Rassismus (Nationalität / Herkunft)

Kurzfassung

Der ehemalige Nationalrat A. veröffentlichte einer Parteizeitschrift einen Artikel, in dem er sich die Frage stellte: „Hat der Drang zur Selbstvernichtung etwas mit mangelnder Intelligenz (IQ) zu tun?“ Er führt unter anderem aus: „wenn z.B. die serbischen Roma mit einem Intelligenzquotienten von nur 70 in unserer Gesellschaft kaum integrierbar sind und in aller Regel als arbeitslose Analphabeten in der organisierten Kriminalität ihr Brot verdienen […]. Oder wenn nigerianische Drogendealer auffallen, erweisen sich diese als hemmungslose Vernichter begabter Volksgenossen […]“.
Die zuständige Strafverfolgungsbehörde macht zuerst einige allgemeine Ausführungen zu Art. 261bis StGB bezüglich dem geschützten Rechtsgut der Menschenwürde, dem Schutzobjekt sowie dem Erfordernis der Öffentlichkeit.
Im vorliegenden Fall erwägt sie, dass sowohl „serbische Roma“ wie auch „nigerianische Asylbewerber“ Ethnien darstellen und somit von Art. 261bis StGB geschützte Gruppen sind. Auch das Kriterium der Öffentlichkeit sieht sie als gegeben an, weil die Zeitschrift mit dem Artikel auf der Parteihomepage für alle wahrnehmbar ist. Bezüglich des Kriteriums der „in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise“ holt die zuständige Strafverfolgungsbehörde etwas aus und kommt zum Schluss, dass die Qualifizierungen bezüglich IQ eine Aussage über eine negative Eigenschaft der serbischen Roma und nigerianischen Asylbewerber darstellen, weil Menschen mit einem IQ unter 70 als schwachsinnig bzw. geistig behindert gelten. Obschon die Formulierungen stark pauschalisierend seien, sei dem A. nicht zu unterstellen, dass er die genannten Gruppen von Personen generell als schwachsinnig bzw. geistig behindert darstellen wolle, weil er seine Feststellungen mit „vor allem“, „auffallend“ und „in der Regel“ relativiert habe. Die unterstellten negativen Eigenschaften können gemäss der zuständigen Strafverfolgungsbehörde noch nicht als Herabsetzung oder Diskriminierung gemäss Art. 261bis StGB angesehen werden.
Gemäss der zuständigen Strafverfolgungsbehörde ist Art. 261bis StGB nicht erfüllt, da die inkriminierten Aussagen das Kriterium der „in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise“ nicht erfüllen würden.

Sachverhalt

Der ehemalige Nationalrat A. veröffentlichte in der Parteizeitschrift „Schweizer Demokrat“ einen Artikel, in dem er sich die Frage stellte: „Hat der Drang zur Selbstvernichtung etwas mit mangelnder Intelligenz (IQ) zu tun?“ Er verweist einleitend auf wissenschaftliche Untersuchungen, die beweisen würden, dass Völker mit einem tiefen IQ zu kriminellem Verhalten und zu existenzgefährdenden Verhaltensweisen neigen. Er führt dazu aus: „wenn z.B. die serbischen Roma mit einem Intelligenzquotienten von nur 70 in unserer Gesellschaft kaum integrierbar sind und in aller Regel als arbeitslose Analphabeten in der organisierten Kriminalität ihr Brot verdienen […]. Oder wenn nigerianische Drogendealer auffallen, erweisen sich diese als hemmungslose Vernichter begabter Volksgenossen […]“. Dem stellt der Autor gegenüber, dass wenn die Schweizer mit einem IQ von über 100 einen Trend zur Selbstzerstörung entwickeln, man sich unwillkürlich frage, ob der erwähnte Bezug tatsächlich stimmen möge.

Rechtliche Erwägungen

Die zuständige Strafverfolgungsbehörde macht zuerst einige allgemeinen Ausführungen: Sie erinnert daran, dass das geschützte Rechtsgut von Art. 261bis StGB die Würde des Menschen in seiner Eigenschaft als Angehöriger einer Rasse, Ethnie oder Religion und mittelbar der öffentliche Friede ist. Die Menschenwürde werde dann verletzt, wenn einer Person oder Gruppe von Personen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit die Gleichberechtigung bzw. Gleichwertigkeit als menschliches Wesen abgesprochen werde. Ob eine bestimmte Äusserung die Menschenwürde verletze, beurteile sich danach, wie sie von einem unbefangenen Durchschnittsempfänger nach den Umständen verstanden werden müsse. Berücksichtigt werden müssten nicht nur die einzelne Äusserung, sondern auch der Gesamtzusammenhang des Textes, die konkrete Situation und die weiteren Umstände, unter denen die Äusserungen gemacht worden sind. Sie führt fort, die Aufzählung von Art. 261bis StGB sei abschliessend, weshalb z.B. geographische, politische und nationale Gruppen (ausser es handle sich dabei um ein Synonym für bestimmte Rassen, Ethnien oder Religionen) nicht geschützt seien. Im Weiteren muss die Tathandlung öffentlich erfolgen, d.h. nicht im Familien- und Freundeskreis oder sonst in einem durch persönliche Beziehungen oder besonderes Vertrauen geprägten Umfeld. Es genügt, wenn die Äusserung wahrnehmbar ist, die tatsächliche Wahrnehmung ist nicht massgeblich. Gemäss der zuständigen Strafverfolgungsbehörde stellen sowohl „serbische Roma“ wie auch „nigerianische Asylbewerber“ Ethnien dar und sind somit von Art. 261bis StGB geschützte Gruppen. Auch das Kriterium der Öffentlichkeit sieht sie als gegeben an, weil die Zeitschrift mit dem Artikel auf der Parteihomepage für alle wahrnehmbar ist.
Bezüglich des Kriteriums der „in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise“ holt die zuständige Strafverfolgungsbehörde etwas aus. Sie erwähnt zunächst, dass eine Äusserung dann ein Herabsetzen oder Diskriminieren im Sinne von Art. 261bis StGB darstellt, wenn sie in einer Weise geschehen ist, die den Betroffenen deswegen im Ergebnis die Gleichberechtigung oder –wertigkeit unter dem Gesichtspunkt der Grundrechte abspricht oder zumindest in Frage stellt (Verletzung der Menschenwürde). Es genüge nicht, wenn einer Person oder Personengruppe bloss negative Eigenschaften oder Verhaltensweisen zugeschrieben würden. Die Praxis sei zurückhaltend mit der Bejahung der Verletzung der Menschenwürde: So sei eine solche bei Beschimpfungen einer Ethnie als „kriminelle Ausländer“ oder „korrupte Italiener“ verneint worden. Hingegen könnte eine Verletzung der Menschenwürde bei Äusserungen wie „gehören an die Wand gestellt“, „sollten allesamt aus der Schweiz hinausgeworfen werden“ oder wohl schon durch eine Verknüpfung der Gruppenbezeichnung mit einem Tiernamen bejaht werden.
Gemäss der zuständigen Strafverfolgungsbehörde stellen die Qualifizierungen bezüglich IQ eine Aussage über eine negative Eigenschaft der serbischen Roma und nigerianischen Asylbewerber dar, weil Menschen mit einem IQ unter 70 als schwachsinnig bzw. geistig behindert gelten. Obschon die Formulierungen stark pauschalisierend seien, sei dem A. nicht zu unterstellen, dass er die genannten Gruppen von Personen generell als schwachsinnig bzw. geistig behindert darstellen wolle, weil er seine Feststellungen mit „vor allem“, „auffallend“ und „in der Regel“ relativiert habe. Es seien zweifellos negative Eigenschaften, die er unterstelle. Diese können gemäss der zuständigen Strafverfolgungsbehörde aber noch nicht als Herabsetzung oder Diskriminierung gemäss Art. 261bis StGB angesehen werden, da sie nicht als krass herabsetzend, die Menschenwürde in verabscheuungswürdiger Weise tangierend, bezeichnet werden könnten. Es lasse sich ausserdem durch Pressebeiträge bestätigen, dass nigerianische Asylbewerber häufig mit Drogenhandel in Verbindung gebracht würden. Dass Roma schlecht akzeptiert und kaum integriert seien, sei allgemein bekannt. Dass sie immer wieder in Verbindung mit Kriminalität in den Nachrichten auftauchen würden, sei nicht zu verhehlen.
Gemäss der zuständigen Strafverfolgungsbehörde ist Art. 261bis StGB nicht erfüllt, da die inkriminierten Aussagen das Kriterium der „in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise“ nicht erfüllen würden.

Entscheid

Die zuständige Strafverfolgungsbehörde verfügt eine Nichtanhandnahme.