Fall 2022-121N
Zürich
Verfahrensgeschichte | ||
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2022 | 2022-121N | Das Bezirksgericht spricht die Beschuldigte u.a. der Rassendiskriminierung i.S.v. Art. 261bis Abs. 4 StGB schuldig. |
Juristische Suchbegriffe | |
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Tathandlung / Objektiver Tatbestand | Herabsetzung oder Diskriminierung (Abs. 4 Hälfte 1) |
Schutzobjekt | Rasse; Schutzobjekt allgemein |
Spezialfragen zum Tatbestand | Öffentlichkeit |
Stichwörter | |
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Tätergruppen | Privatpersonen |
Opfergruppen | Schwarze Personen / PoC; Ausländer und Angehörige verschiedener Ethnien |
Tatmittel | Elektronische Kommunikation |
Gesellschaftliches Umfeld | Arbeitswelt; Weiteres gesellschaftliches Umfeld |
Ideologie | Rassismus (Nationalität / Herkunft); Rassismus (Hautfarbe) |
Im Nachgang zu einer Auseinandersetzung in einer M-Electronics-Filiale zwischen der Beschuldigten und dem Migros-Mitarbeiter, welcher anschliessend einen weiteren Migros-Mitarbeiter hinzuzog, sendete die Beschuldigte von ihrem Wohnort aus rassistische E-Mail-Nachrichten an die E-Mail-Adresse cumulus@migros.ch, wobei jeweils mehrere, der Beschuldigten unbekannte Mitarbeitende der Migros auf die E-Mail-Nachrichten Zugriff hatten und diese auch von mehreren Mitarbeitenden gelesen wurden.
Das Bezirksgericht spricht die Beschuldigte u.a. der Rassendiskriminierung i.S.v. Art. 261bis Abs. 4 StGB schuldig.
Im Nachgang zu einer Auseinandersetzung in einer M-Electronics-Filiale zwischen der Beschuldigten und dem Migros-Mitarbeiter, welcher anschliessend einen weiteren Migros-Mitarbeiter hinzuzog, sendete die Beschuldigte von ihrem Wohnort aus folgende E-Mail-Nachrichten an die Migros, wobei jeweils mehrere, der Beschuldigten unbekannte Mitarbeitende der Migros auf die E-Mail-Nachrichten Zugriff hatten und diese auch von mehreren Mitarbeitenden gelesen wurden [sic]:
«[...] Am 14.06.2021, ging vor Ort in di= Filiale Limmatplatz, beauftragte der VK, er soll mir die Cumulu= Punkte manuell einbuchen. Nein, das geht nicht ich kann das nicht machen =a es eine KUBA Bestellung mein Kolleg (ein Neger) kann es Ihnen bestätig=n. Ich lasse mir nicht von Neger bedienen!»
und
«Ich hatte einen rissen Aufwand und ärger mit solchen billige=unqualifizierten Ausländer wo nicht in der Lage sind eine Reklamation z= erledigen [...]» und «Respekt kennen die Ausländern nicht die sind nur Sklaven hier in der Schweiz. Wenn sie nicht spuren und entgleisen so reisen sie in ihrer Heimat zurück [...]».
Rassendiskriminierung allgemein:
Der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 StGB macht sich schuldig, wer öffentlich durch Schrift oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer «Rasse», Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert. Die Menschenwürde wird verletzt, wenn einer Person aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit die Gleichberechtigung oder die Gleichwertigkeit als Mensch abgesprochen wird, namentlich indem ihr eine qualifizierte Minderwertigkeit attestiert und ihre Minderwertigkeit als Mensch zum Ausdruck gebracht bzw. die gleichwertige Position als Mensch überhaupt in Frage gestellt wird. Eine qualifizierte Minderwertigkeit wird jedenfalls angenommen, wenn eine Gruppe aufgrund ihrer «Rasse», Ethnie oder Religion uneingeschränkt abgelehnt wird. Dabei kommt es auf den objektiven Erklärungswert einer Äusserung an - also darauf, wie diese von einer unbefangen Drittperson nach den Umständen
verstanden werden musste. Der Begriff «Ausländer» wird von Art. 261bis StGB nur erfasst, wenn er generell als Sammelbegriff anderer «Rassen» oder Ethnien und dabei als kollektive Schmähung aller «Andersrassigen» verwendet wird.
N-Wort:
Die Staatsanwaltschaft machte geltend, dass die Beschuldigte den Privatkläger durch die Äusserungen «Ich lasse mir nicht von Negern bedienen!» und «Ich wiederhole nochmals, ich lasse mich nicht von Schwarzen Negern bedienen!» sowie die Bezeichnung als «Neger» unter Berufung auf dessen Zugehörigkeit zu einer
bestimmten Ethnie oder «Rasse» bewusst und gewollt einen minderen Wert zugesprochen habe.
Begriff «Ausländer»:
Die Staatsanwaltschaft machte weiter geltend, dass die Beschuldigte durch die Aussagen «Ich hatte einen rissen Aufwand und ärger mit solchen billige unqualifizierten Ausländer wo nicht in der Lage sind eine Reklamation z= erledigen [...]» und «Respekt kennen die Ausländern nicht die sind nur Sklaven hier in der Schweiz. Wenn sie nicht spuren und entgleisen so reisen sie in ihrer Heimat zurück […]» die Privatkläger 1 und 2 vorsätzlich, gezielt und grob in deren Ehrgefühl herabgesetzt habe.
Wie oben ausgeführt, kommt es bei der Verwendung des Begriffs «Ausländer» darauf an, ob einer Person oder Personengruppe damit im konkreten Kontext eine bestimmte Gruppeneigenschaft zugeschrieben werden soll bzw. ob eine kollektive Schmähung von Ausländern als Sammelbegriff für alle Nicht-Schweizer erfolgt. Vorliegend verwendete die Beschuldigte den Begriff «Ausländer», um die Privatkläger 1 und 2 einer bestimmten Gruppe, nämlich die der Nicht-Schweizer, zuzuordnen. Dabei stellte sie für die Zuordnung zu dieser Gruppe wiederum einzig auf die äussere Erscheinung der Privatkläger ab. Hätte sich die Beschuldigte lediglich über die (in ihren Augen unbefriedigende) Bedienung beschweren wollen, wie es die Verteidigung geltend macht, so hätte sie die Privatkläger 1 und 2 allein ins Visier nehmen und allenfalls diese als unqualifiziert bezeichnen können. Stattdessen knüpfte die Beschuldigte aber an die (vermutete) Gruppenzugehörigkeit der «Ausländer» an und bezeichnete die Privatkläger und die Gruppe der Ausländer generell als unqualifiziert und billig. Auch die weitere Äusserung, wonach Ausländer Sklaven in der Schweiz seien und in ihre Heimat zurückmüssten, wenn sie nicht spuren würden, bezieht sich auf Ausländer allgemein. Wenn die Verteidigung ausführt, diese Äusserung könne auch als eine Art Beileidsbekundung (Ausländer würden in der Schweiz gleich schlecht behandelt wie Sklaven) oder aber als Tatsachenbehauptung (Ausländern, welche sich nicht an bestimmte Gesetze halten, könnten tatsächlich ausgewiesen werden) verstanden werden, so unterschlägt sie den ersten Halbsatz der Äusserung der Beschuldigten. Durch die Einleitung, wonach Ausländer keinen Respekt kennen würden, wird die negative Konnotation ihrer weiteren Aussage deutlich. Die Beschuldigte setzt die Gruppe der Ausländer insbesondere durch die Bezeichnung als «billig» herab und spricht ihnen zudem mit der Aussage, sie seien Sklaven, also entrechtete Menschen im Eigentum anderer Menschen, grundlegend die Gleichwertigkeit als Menschen ab. Damit verletzte die Beschuldigte auch unmittelbar die Menschenwürde der Privatkläger 1 und 2. Die zitierten Äusserungen sind somit ebenfalls vom Straftatbestand der Rassendiskriminierung erfasst.
Öffentlichkeit:
Der Tatbestand der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 StGB setzt sodann voraus, dass die Täterin ihre herabsetzende Äusserung öffentlich vornimmt. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist Öffentlichkeit gegeben, wenn eine Äusserung nicht im Familien- und Freundeskreis oder sonst einem durch persönliche Beziehungen oder besonderes Vertrauen geprägten Umfeld erfolgt (BGE 130 IV 111, E. 5.2.2). Dabei kommt es nicht alleine auf die Zahl der Empfänger an; mit steigender Adressatenzahl nimmt lediglich die Wahrscheinlichkeit zu, dass das Vertrauensverhältnis fehlt.
Im vorliegenden Fall verschickte die Beschuldigte die E-Mails mit den genannten Inhalten nicht an die persönliche E-Mail-Adresse einer bestimmten Person, sondern in beiden Fällen unbestrittenermassen an eine nicht individualisierte, generelle Service- oder Kundendienst-Adresse. Die Beschuldigte wollte damit gemäss eigener Aussage bei der Migros beschweren und erreichen, dass sich irgendeine Person um die korrekte Verbuchung ihrer Cumulus-Punkte kümmert bzw. die Reklamation mit den beiden Privatklägern bespricht. Dabei musste die Beschuldigte beim Versand einer E-Mail an eine allgemeine Kundendienst-Adresse eines grossen Unternehmens davon ausgehen, dass ihre Nachricht nicht bloss von einer Person gelesen wird, sondern dass diese an einen unbestimmten Adressatenkreis gelangt. Zu den einzelnen Sachbearbeitern des Migros-Kundendienstes steht die Beschuldigte sodann in keinerlei persönlicher Beziehung, weshalb es an der Vertrauensbasis fehlt, welche gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts für die Abgrenzung zwischen einer Äusserung im privaten Rahmen und einer öffentlichen Äusserung notwendig ist. Dabei ist unerheblich bzw. von untergeordneter Bedeutung, wie viele Personen genau die Nachrichten der Beschuldigten erreicht haben; wesentlich ist, dass die Beschuldigte ihre rassendiskriminierenden Äusserungen gegenüber einem Publikum machte, mit welchem sie in keiner Weise persönlich verbunden ist. Das Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit ist damit ebenfalls gegeben.
Das Bezirksgericht spricht die Beschuldigte der Rassendiskriminierung (Art. 261bis Abs. 4 StGB) und der versuchten Nötigung (Art. 181 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) schuldig.
Die Beschuldigte ist mit einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 30.00 zu bestrafen. Der Vollzug der Geldstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit ist auf 4 Jahre festgesetzt.
Der Privatkläger 1 und der Privatkläger 2 werden mit ihren Genugtuungsbegehren auf den Weg des Zivilprozesses verwiesen.