Caso 2009-001N

«Der Genozid an den Armeniern ist eine internationale Lüge»

Zurigo

Cronistoria della procedura
2009 2009-001N Die 1. kantonale Instanz verurteilt die Angeklagten.
2010 2010-006N Die 2. Instanz verurteilt den Hauptangeklagten.
2010 2010-034N Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Criteri di ricerca giuridici
Autorità/Istanza 1a istanza cantonale;
2a istanza cantonale;
Tribunale federale
Atto / Fattispecie oggettiva Disconoscimento di un genocidio (4° comma 2ª metà)
Oggetto della protezione Etnia
Domande specifiche sulla fattispecie Pubblicamente (in pubblico);
Fattispecie soggettiva
Parole chiave
Autori Persone private
Vittime Appartenenti ad altre comunità religiose;
Stranieri e appartenenti ad altri gruppi etnici
Mezzi utilizzati Parole;
Scritti;
Propagazione di materiale razzista
Contesto sociale Luoghi pubblici

Sintesi

An einer öffentlichen Pressekonferenz bezeichnet ein Europavertreter der türkischen Arbeiterpartei den Genozid an den Armeniern als internationale Lüge. Die kantonalen Instanzen verurteilen sowohl ihn als auch die Veranstalter der Pressekonferenz wegen Verstoss gegen Art. 261bis Abs. 4 StGB zweite Hälfte bzw. wegen Gehilfenschaft dazu. Das Bundesgericht weist die Beschwerde der Beschuldigten ab.

In fatto

Beschwerdeführer 1 ist ein Europavertreter der türkischen Arbeiterpartei. Er erklärte an einer öffentlichen Pressekonferenz, dass es sich bei den 1915 am armenischen Volk begangenen Massakern und den erfolgten Deportationen nicht um einen Völkermord gehandelt habe. Die Völkermordbehauptung sei vielmehr eine internationale und historische Lüge. Organisiert wurde die Pressekonferenz von den Beschwerdeführern 2 und 3. Es war ihnen zumindest in groben Zügen bekannt, welche Statements der Beschwerdeführer 1 an der Pressekonferenz abgeben würde. Die kantonalen Instanzen verurteilten die drei Beschwerdeführer wegen Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 StGB bzw. wegen Gehilfenschaft dazu.


Decisione 2009-001N

Die 1. kantonale Instanz verurteilt die Angeklagten.

In diritto

Zum Vorwurf betreffend Rassendiskriminierung

Der Angeklagte 1 beruft sich auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit gemäss Art. 16 und 20 BV. Er behauptet, dass es nicht rechtswidrig sei, sich über die Ereignisse frei zu äussern und zu sprechen. Zudem machte er geltend, dass allgemein eine Uneinigkeit über die Qualifikation der Ereignisse bestehe. Solange der Völkermord nicht offiziell als solcher festgestellte worden sei, könne er deshalb auch nicht wegen Leugnung des Völkermords verurteilt werden. Das Bundesgericht habe sich schon einmal mit der Frage befasst, ob der Armenier-Genozid eine unzweifelhafte Tatsache sei. Implizit scheine das Bundesgericht im BGE 6B.398/2007 diese Frage bejaht zu haben, wobei es streng genommen die Frage offen lasse, da ihm nur die Willkürprüfung offengestanden habe.

Zunächst ist festzuhalten, dass sich aus der Entstehungsgeschichte eindeutig ergibt, dass Art. 261bis Abs. 4 StGB nicht ausschliesslich die Leugnung nationalsozialistischer Verbrechen betrifft, sondern grundsätzlich auch andere Völkermorde, auch die, an welche der Gesetzgeber bei der Verabschiedung der Norm nicht gedacht hat. Rechtsprechung und Lehre sehen die Leugnung des Holocaust als eine von der Allgemeinheit als wahr erwiesene anerkannte historische Tatsache, welche in einem Strafprozess nicht bewiesen werden muss. Das Gericht braucht in einem solchen Fall nicht auf die Arbeiten von Historikern zurückzugreifen. Diese Grundlage der Strafbarkeit der Leugnung des Holocaust diktiert dem Richter nun die Vorgehensweise, wenn es um die Leugnung anderer Völkermorde geht. Zu prüfen ist somit, ob ein Konsens bezüglich der vom Angeklagten geleugneten Tatsachen besteht.

Vorliegend wird die Existenz eines breiten Konsenses in der Gemeinschaft festgestellt, welcher in den politischen Anerkennungen ihren Ausdruck findet. Der Völkermord an den Armeniern stellt ein «klassisches» Beispiel zum Thema im internationalen Völkerstrafrecht dar. Vorliegend besteht kein Anhaltspunkt, von diesen zutreffenden Tatsachen abzuweichen.

Subjektiv ist Vorsatz vorausgesetzt, der sich auf das öffentliche Leugnen von Völkermord oder anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezieht, wobei Eventualvorsatz genügt. Die Leugnung von Völkermord ist unabhängig von ihrer Motivation strafbar. Der subjektive Tatbestand ist vorliegend erfüllt.

Der Angeklagte hat somit mit seiner Äusserungen den Tatbestand der Leugnung eines Völkermords gemäss Art. 261bis Abs. 4 StGB erfüllt.

Zum Vorwurf betreffend Gehilfenschaft zu Rassendiskriminierung

Angeklagte 2 und 3 bestreiten den Sachverhalt nicht. Gehilfenschaft ist jeder kausale Beitrag, der eine dem Gehilfen in den groben Umrissen bekannte Straftat fördert, so dass sich diese ohne seine Mitwirkung anders abgespielt hätte, nicht aber, dass sie dann überhaupt unterblieben wäre. Der Gehilfe muss die Erfolgschancen erhöhen. Zur Erfüllung des Tatbestandes ist zudem erforderlich, dass der Gehilfe weiss oder damit rechnet, eine bestimmte Tat zu unterstützen. Zudem muss er Kenntnis vom Vorsatz des Haupttäters haben.

Die zwei Angeklagten, welche die Pressekonferenz organisierten, hatten Kenntnis über den Inhalt der Rede. Sie machen sich damit der Gehilfenschaft zu Rassendiskriminierung schuldig.

Decisione

Angeklagte 1 wird der Rassendiskriminierung schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu CHF 30.- verurteilt.

Angeklagte 2 und 3 werden der Gehilfenschaft zu Rassendiskriminierung schuldig gesprochen und werden je zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu CHF 30.- verurteilt.


Decisione 2010-006N

Die 2. Instanz verurteilt den Hauptangeklagten.

In diritto

Die Angeklagten bestreiten nicht, verbal und mit Schriften in der Öffentlichkeit gehandelt zu haben. Ebenso anerkennen alle drei Angeklagten, dass die Armenier eine Ethnie darstellen, die sich vor allem über ihre Geschichte und insbesondere über die Ereignisse von 1915 identifiziert und welche somit durch den objektiven Tatbestand der Rassendiskriminierung erfasst ist. Hingegen bestreiten die Angeklagten, mit ihrem Verhalten einen Völkermord geleugnet, grob verharmlost oder zu rechtfertigen versucht bzw. Gehilfenschaft zu einem solchen Verhalten geleistet zu haben.

Der Hauptangeklagte führt aus, die damaligen Ereignisse seien ein gegenseitiges Gemetzel gewesen, und die meisten Leute seien durch Krankheiten und Hungersnot umgekommen. Die Armenier seien durch die damaligen imperialistischen Länder instrumentalisiert worden, und es habe sich beim Vorgehen der damaligen Türkei bloss um eine Verteidigung des Vaterlandes gehandelt, nicht aber um einen gezielten Völkermord wie denjenigen in Nazi-Deutschland an den Juden. Die Verteidigung beruft sich auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit gemäss Art. 16 und 20 BV. Es sei nicht gesetzeswidrig, sich zu Ereignissen wie denjenigen von 1915 in Ostanatolien zu äussern und frei zu debattieren, da diese weitgehend unerforscht und das historische Wissen dazu ausgesprochen bescheiden sei.

Das Gericht verweist in seinen Erwägungen vollumfänglich auf die Ausführungen und genannten Belegstellen der Vorinstanz, welche erklärt, dass die Ereignisse von 1915 unzweifelhaft als Tatsachen im Sinne eines Völkermordes feststehen, weshalb im Strafprozess darüber nicht Beweis geführt werde und sich weitere Beweiserhebungen erübrigten. Teilweise ergänzend weist die 2. Instanz darauf hin, dass im Bundesgerichtsentscheid BGE 6B_398/2007 klar festgehalten werde, dass über den Völkermord an den Armeniern ein breiter Konsens in der Gemeinschaft existiere, welcher in politischen Erklärungen Ausdruck finde und auch auf einem breiten wissenschaftlichen Konsens über die Qualifikation der Ereignisse von 1915 als Völkermord beruhe.

Der Hauptangeklagte habe deshalb mit seiner Leugnung des Genozid an den Armeniern unzweifelhaft den objektiven Tatbestand der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 StGB erfüllt.

Der Wortlaut von Art. 261bis Abs. 4 StGB fordert des Weiteren einen rassendiskriminierenden Beweggrund als subjektiven Tatbestand. In der herrschenden Lehre besteht jedoch Einigkeit darüber, dass die Leugnung von Völkermord unabhängig von ihrer Motivation strafwürdig sei. Bundesgerichtlich wurde die Frage nach dem Erfordernis eines rassistischen Motivs zuerst bejaht, später offen gelassen. Im vormals zitierten Entscheid hat das Bundesgericht dazu festgehalten, dass die Armenier ein Volk oder zumindest eine Ethnie darstellten, die sich insbesondere mit ihrer Geschichte, die durch die Ereignisse von 1915 gekennzeichnet sei, identifiziere. Dies habe zur Folge, dass die Leugnung des Völkermords an den Armeniern bzw. die im vorliegenden Fall vertretene Darstellung des armenischen Volks als Angreifer, bereits eine Verletzung der Identität der Armenier darstelle.

Das Gericht erklärt, dass sich der vorliegende Sachverhalt in den wesentlichen Punkten nicht von demjenigen unterscheide, welcher dem zitierten Bundesgerichtsurteil zugrunde lag. Das Vorliegen von rassistischen Beweggründen müsse demnach auch beim Angeklagten bejaht werden.

Der Angeklagte sagte aus, dass die Deportationen um 1915 eine notwendige Verteidigungsmassnahme dargestellt hätten («Das, was nötig ist, muss man machen. Anders kann man nicht unabhängig sein und einen Unabhängigkeitskrieg gewinnen. Sonst wären wir keine türkische Republik»). Die Überlegung, dass man zur Verteidigung der eigenen Nation auch Massnahmen ergreifen dürfe, die auf eine teilweise Ausrottung der gegnerischen Nation hinausliefen, zeige, dass ein Wertunterschied gemacht werde. Nach Ansicht des Gerichts laufe dies auf eine Rechtfertigung des Völkermords hinaus.

Von einer berechtigten Anrufung der Meinungs- oder gar der Wissenschaftsfreiheit könne im Übrigen nicht gesprochen werden. Art. 261bis StGB stelle eine gesetzliche Grundlage dar, welche bestehende Grundrechte wie die beiden angerufenen einzuschränken vermöge.

Der Hauptangeklagte habe demnach den objektiven und subjektiven Tatbestand der Rassendiskriminierung gemäss Art. 261bis Abs. 4 StGB erfüllt.

Auch das Vorliegen einer Gehilfenschaft zur Rassendiskriminierung der beiden Mitangeklagten wird von der 2. Instanz bestätigt. Diese hätten den Deliktserfolg nicht bloss nachträglich gebilligt, wie von der Verteidigung vorgebracht. Dies zeige sich u.a. daran, dass sie die Herstellung der während der Veranstaltung aufliegenden bzw. hochgehobenen Plakate mit der Aufschrift «Genozid an die Armenier ist eine internationale Lüge» veranlasst hätten. Das Gericht erklärt demzufolge die beiden Mitangeklagten der Gehilfenschaft zu Rassendiskriminierung gemäss Art. 261bis Abs. 4 i.V.m. Art. 25 StGB für schuldig.

Zum teilbedingten Strafvollzug: alle Angeklagten haben vor der Vorinstanz aufgeführt, dass sie wieder an einer solchen Veranstaltung als Redner oder Organisator tätig werden würden, wenn sich die Möglichkeit dazu ergäbe. Für das Gericht ergeben sich daraus erhebliche Bedenken an der Legalbewährung der drei Angeklagten. Allerdings hätten die Angeklagten immerhin nicht erklärt, bereits eine weitere derartige Veranstaltung zu planen, weshalb ihnen auch nicht eine eigentliche Schlechtprognose gestellt werden könne. Eine je hälftige Aufteilung des bedingt und unbedingt zu vollziehenden Strafteils erscheine dem Gericht demnach angemessen.

Decisione

Die 2. Instanz bestätigt das erstinstanzliche Urteil und verurteilt den Hauptangeklagten zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu CHF 30.00 wegen Rassendiskriminierung gemäss Art. 261bis Abs. 4 StGB. Die zwei Mitangeklagten werden wegen Gehilfenschaft zu Rassendiskriminierung gemäss Art. 261bis Abs. 4 i.V.m. Art. 25 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je CHF 30.00 verurteilt. Die Hälfte aller Geldstrafen ist bedingt, die andere Hälfte unbedingt zu leisten.


Decisione 2010-034N

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

In diritto

Das Bundesgericht stellt fest, dass Art. 261bis Abs. 4 StGB auch die Leugnung anderer Völkermorde – neben dem Holocaust – nicht ausschliesst.

Unlängst hatte sich das Bundesgericht mit dem Fall X. zu befassen, der 2005 in mehreren Reden in der Schweiz den Genozid an den Armeniern als internationale Lüge bezeichnete. In diesem Fall stellte das Bundesgericht klar, dass es nicht Aufgabe der Gerichte sei, Geschichtsforschung zu betreiben. Sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Wissenschaft bestehe ein sehr breiter Konsens über die Einstufung der Ereignisse von 1915 und 1916 als Völkermord. Konsens bedeute nicht Einstimmigkeit. Weiter führte das Bundesgericht im Fall X. aus, dass die armenische Gemeinschaft eine Ethnie sei, die sich vor allem aus ihrer durch die Ereignisse von 1915 gekennzeichneten Geschichte begreife. Daraus ergebe sich, dass die Leugnung des Völkermords an den Armeniern bereits einen Angriff auf die Identität der Mitglieder dieser Gemeinschaft bedeute.

Die Angelegenheit, die das Bundesgericht vorliegend zu beurteilen hat, liegt vom Sachverhalt her nicht anders als der Fall X. Der Beschwerdeführer 1 gibt an, nur in die Schweiz gekommen zu sein, um X. zu vertreten, mit dem er sich explizit solidarisiert. Das Bundesgericht stellt fest, dass die „Aufarbeitung“ der Geschichte, wie es die Beschwerdeführer nennen, nicht einfach mit der „Widerlegung des Völkermords“ gleichgesetzt werden kann und dadurch der bestehende Konsens über die Ereignisse von 1915 als Völkermord im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 StGB zweite Hälfte nicht umgestossen werden.

Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hielt der Beschwerdeführer 1 seine Rede nicht im Rahmen einer historischen Debatte und entspringt seine Haltung nicht einer vertieften Auseinandersetzung mit der Geschichte. Daran ändere nichts, dass er von „über 100 Büchern“ spreche, die über die „Sache“ geschrieben wurden.

In Bezug auf die Beschwerdeführer 2 und 3 – den Organisatoren der Veranstaltung – geht die Vorinstanz davon aus, dass diese sowohl den wesentlichen Inhalt als auch den politischen Hintergrund der Rede des Beschwerdeführer 1 schon gekannt hatten. Dies zeige sich unter anderem daran, dass sie die Herstellung von Plakaten mit der Aufschrift „Genozid an die Armenier ist eine internationale Lüge“ veranlasst hätten. Es sei somit voraussehbar bzw. gar geplant gewesen, den Völkermord an den Armeniern (erneut) zu leugnen.

Die Beschwerdeführer berufen sich ohne Erfolg auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit. Gemäss Bundesgericht stellt Art. 261bis Abs. 4 StGB zweite Hälfte eine gesetzliche Grundlage dar, welche Grundrechte wie die hier aufgerufenen einzuschränken vermag. Die Bezeichnung des Völkermords an den Armeniern als internationale und historische Lüge ist dazu geeignet, unmittelbar den öffentlichen Frieden zu stören und mittelbar die menschliche Würde der Angehörigen der armenischen Gemeinschaft zu beeinträchtigen.

Decisione

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.