Caso 2019-032N
Berna
Cronistoria della procedura | ||
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2019 | 2019-032N | Die zuständige Behörde der zweiten Instanz bestätigt die Verurteilung der ersten Instanz wegen Rassendiskriminierung gemäss Art. 261bis StGB. |
Criteri di ricerca giuridici | |
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Atto / Fattispecie oggettiva | Discredito o discriminazione (4° comma 1ª metà) |
Oggetto della protezione | Etnia |
Domande specifiche sulla fattispecie |
Parole chiave | |
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Autori | Persone politiche |
Vittime | Jenisch, Sinti/Manouches, Rom |
Mezzi utilizzati | Scritti; Documenti sonori / immagini |
Contesto sociale | Reti sociali |
Ideologia | Antiziganismo |
Mitglieder einer Jungpartei haben einen Beitrag auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht. Der Facebook-Beitrag zeigt einerseits eine Karikatur mit einem Transitplatz für Fahrende, auf dem sich stinkender Abfall türmt und eine Person ihre Notdurft im Freien verrichtet, wobei sich im Vordergrund ein Mann mit einem Schweizer „Sennenkäppi» die Nase zuhält und darüber grossbuchstabig steht „Millionenkosten für Bau und Unterhalt, Schmutz, Fäkalien, Lärm, Diebstahl, etc. Gegen den Willen der Gemeindebevölkerung». Unter dem Cartoon steht in Grossbuchstaben „Wir sagen NEIN zu Transitplätzen für ausländische Zigeuner. Wählen Sie XXX-Kandidaten in den Grossen Rat!".
Das kantonale Obergericht spricht die beiden Mitglieder der Jungpartei gemäss Art. 261bis Abs. 1 und Abs. 4 StGB der Rassendiskriminierung schuldig.
Eine Jungpartei aus dem Kanton Bern veröffentlichte in einem «Facebook»-Beitrag und auf ihrer Homepage nachfolgenden Text und eine Karikatur:
Partei […]-Kandidaten wählen – Transitplätze für Zigeuner verhindern!
Die neue Legislatur wird eine wichtige Weichenstellung sein. Im Seeland und im Berner Mitteland macht man sich Sorgen um die geplanten Transitplätze für ausländische Zigeuner. Wollen wir Kanton Bern solch teure und schädliche Transitplätze, welche die Lebensqualität in der entsprechenden Region verschlechtern?
Genau diese Frage wird sich in den nächsten vier Jahren stellen. Die Junge […] Kanton Bern ist bisher die einzige Kantonalpartei, welche sich klipp und klar gegen solche Pläne ausgesprochen hat. Umso wichtiger, dass ihre Kandidaten unterstützt werden. Das Motto lautet also: […] wählen – Transitplätze verhindern!
Die Karikatur zeigt einen Schweizer im Sennenchutteli vor einem Müllberg, im Hintergrund eine Wagenburg. Er hält sich angewidert die Nase zu, nebenan erleichtert sich ein Mann in den Büschen. «Millionenkosten für Bau und Unterhalt, Schmutz, Fäkalien, Lärm, etc. Gegen den Willen der Bevölkerung» steht auf dem Flyer. «Wir sagen Nein zu Transitplätzen für ausländische Zigeuner!»
Zudem haben verschiedene Organisationen wegen dieser Publikation der fraglichen Jungpartei bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern Strafanzeige wegen Verletzung von Art. 261bis des Schweizerischen Strafgesetzbuches erstattet.
Auf der Grundlage dieser Berichte eröffnet die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland ein Ermittlungsverfahren gegen die beiden der Rassendiskriminierung beschuldigten Personen.
Die Staatsanwaltschaft erliess gegen die beschuldigten Personen einen Sanktionsbescheid nach Artikel 261bis Absatz 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuches. Der Angeklagte erhob Einspruch. Die Beklagten sind die beiden Co-Präsidenten der Jungpartei. Das Regionalgericht Bern-Mitteland erkannte die beiden Politiker mit Urteil für schuldig. Gegen dieses Urteil legten die beiden Politiker Berufung ein. Die Beschuldigten bestreiten in Bezug auf die Veröffentlichung einzig, aus rassendiskriminierenden Beweggründen gehandelt zu haben. Sie hätten sich nicht gegen Zigeuner allgemein gewendet, sondern nur gegen «ausländische Zigeuner» und zudem sei es ihnen primär um die Transitplätze gegangen und nicht um die Menschen, die sie benützen würden.
Die zuständige Behörde der zweiten Instanz erklärt, dass wegen «Rassendiskriminierung» gemäss Art. 261bis StGB unter anderen bestraft wird, wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft oder wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert. Welches der Inhalt einer Äusserung ist, sei Tatfrage. Welcher Sinn einer Äusserung zukommt, sei hingegen Rechtsfrage, die das Bundesgericht im Verfahren der Beschwerde in Strafsachen frei prüfe. Massgebend sei dabei der Sinn, welchen der unbefangene Durchschnittsleser der Äusserung unter den gegebenen Umständen beilege. Äusserungen im Rahmen politischer Auseinandersetzungen seien nicht strikt nach ihrem Wortlaut zu messen, da bei solchen Auseinandersetzungen Vereinfachungen und Übertreibungen üblich seien. Bei der Auslegung von Art. 261bis StGB sei der Meinungsäusserungsfreiheit Rechnung zu tragen. In einer Demokratie sei es von zentraler Bedeutung, dass auch Standpunkte vertreten werden können, die einer Mehrheit missfallen oder für viele schockierend wirken. Die Rassismusstrafnorm bezwecke unter anderem, die angeborene Würde und Gleichheit aller Menschen zu schützen. Im Lichte dieser Zielsetzung erscheinen als Herabsetzung oder Diskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 erster Teilsatz StGB alle Verhaltensweisen, durch welche den Angehörigen einer Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer Rasse, Ethnie oder Religion die Gleichwertigkeit als menschliche Wesen oder die Gleichberechtigung in Bezug auf die Menschenrechte abgesprochen oder zumindest in Frage gestellt werde. Der Begriff des «Aufrufens» im Sinne von Art. 261bis Abs. 1 StGB umfasse auch das «Aufreizen». Erfasst werden damit auch die allgemeine Hetze oder das Schüren von Emotionen, die auch ohne hinreichend expliziten Aufforderungscharakter Hass und Diskriminierung hervorrufen können.
Eine herabsetzende oder diskriminierende Äusserung sei nur dann tatbestandsmässig im Sinne von Art. 261bis StGB, wenn eine Person oder eine Personengruppe von der Äusserung wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion angegriffen werde. Hier seien offensichtlich die «ausländischen Zigeuner» angesprochen. Es stelle sich die Frage, ob es sich dabei um eine Ethnie handle, die unter den Schutz von Art. 261bis StGB fällt.
Bei einer Ethnie handle es sich um eine Gruppe von Menschen, die sich durch eine gemeinsame Geschichte und ein gemeinsames System von Einstellungen und Verhaltensnormen von anderen Menschen unterscheiden. Nach der Rechtsprechung sei eine Ethnie im Sinne von Art. 261bis StGB ein Segment der Bevölkerung, das sich selbst als abgegrenzte Gruppe verstehe und das vom Rest der Bevölkerung als Gruppe verstanden werde. Sie müsse eine gemeinsame Geschichte sowie ein gemeinsames zusammenhängendes System von Einstellungen und Verhaltensnormen (Tradition, Brauchtum, Sitte, Sprache) haben, wobei die genannten Merkmale zur Abgrenzung verwendet werden müssten. Auch eine Mehrheit von Ethnien, die unter einem Sammelbegriff zusammengefasst werden werde vom Begriff der «Ethnie» im Sinne von Art. 261bis StGB erfasst. In BGE 143 IV 193 E. 2.3 seien etwa «Kosovaren» als Sammelbegriff verschiedener im Kosovo lebender Ethnien anerkannt worden.
Zigeuner sei ein Synonym für Fahrende. Fahrende wiederum seien ein Sammelbegriff für die Gruppen der Jenischen, Sinti, und Roma. Ausländische Fahrende seien dagegen meist Roma und Sinti aus Frankreich und Italien. Alle diese Gruppen zeichnen sich durch eine ungebundene, weil eben fahrende, Lebensweise aus und die mit dieser Mobilität verbundenen typischen Erwerbstätigkeiten und einer eigenständigen Kultur. Der Bundesrat habe die Fahrenden im Rahmen des nationalen Rahmenabkommens vom 1. Februar 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten als nationale Minderheit anerkannt und damit den Charakter als Ethnie bekräftigt.
In seinem Entscheid BGE 143 IV 193 habe das Bundesgericht den Begriff der «Kosovaren» als Sammelbegriff für die verschiedenen Ethnien im Kosovo ebenfalls dem Schutz von Art. 261bis StGB unterstellt. Diese Ausführungen würden den Schluss nahelegen, den Begriff der Fahrenden und damit das Synonym der Zigeuner als Sammelbegriff verschiedener Ethnien der Roma, Sinti und Jenischen ebenfalls dem Schutz von Art. 261bis StGB zu unterstellen.
Wenn aber «Zigeuner» als Sammelbegriff für verschiedene Ethnien zu verstehen sei, folge daraus, dass dies auch für die «ausländischen Zigeuner» gelte. Der Begriff «ausländische Zigeuner» oder «ausländische Fahrende» werde offensichtlich als Sammelbegriff für nichtschweizerische Sinti und Roma, mithin anerkannte Ethnien, verstanden, und falle deshalb in den Schutzbereich von Art. 261bis StGB. Diese Überlegungen überzeugen deshalb, weil der unbefangene Durchschnittsleser sich unter «ausländische Zigeunern» jedenfalls ebenfalls Zigeuner vorstelle, die im Unterscheid zu den Schweizer Zigeunern einfach keinen helvetischen Pass besässen, aber ebenso ein Segment der Gesellschaft bilden, das sich als abgegrenzte Gruppe verstehe und verstanden werde und über ein spezielles System von Einstellungen und Verhaltensnormen im Bereich der Traditionen, Brauchtum, Sitte, Sprache etc. verfügen. Komme hinzu, dass sich auch die Beschuldigten keiner genauen Sprache bedienen, sei der Post doch betitelt mit «[…]-Kandidaten wählen – Transitplätze für Zigeuner verhindern». Von einer Beschränkung auf die «ausländischen Zigeuner» könne hier nicht die Rede sein.
Die zuständige Behörde der zweiten Instanz spricht die Beschuldigten gemäss Art. 261bis Abs. 1 und Abs. 4 StGB der Rassendiskriminierung schuldig. Der Beschuldigte A. wird bestraft mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je CHF 160.00, bedingt erlassen bei einer Probezeit von 2 Jahren. Die Hälfte der Kosten des Verfahrens bis CHF 4’200.00 werden dem Beschuldigten A. auferlegt. Der Beschuldigte B. wird bestraft mit einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je CHF 120.00, bedingt erlassen bei einer Probezeit von 2 Jahren. Die Hälfte der Kosten des Verfahrens bis CHF 4’200.00 werden dem Beschuldigten B. auferlegt.