Caso 2021-049N
Zurigo
Cronistoria della procedura | ||
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2021 | 2021-049N | Die Voraussetzungen für die Eröffnung einer Untersuchung sind nicht gegeben, weshalb auf die Anzeige nicht einzutreten und eine Nichtanhandnahme zu verfügen ist. |
Criteri di ricerca giuridici | |
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Atto / Fattispecie oggettiva | Art. 261bis CP / 171c CPM (nessuna specificazione della fattispecie) |
Oggetto della protezione | Etnia; Oggetto della protezione in generale |
Domande specifiche sulla fattispecie |
Parole chiave | |
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Autori | Persone private |
Vittime | Stranieri e appartenenti ad altri gruppi etnici |
Mezzi utilizzati | Scritti; Comunicazione elettronica |
Contesto sociale | Reti sociali |
Ideologia | Razzismo (nazionalità / origine) |
Der Beschuldigte teilte auf der Social Media Plattform «Facebook» zu dem Beitrag «Appell an den Bundesrat - Jetzt Menschen aus Afghanistan Schutz bieten!» den Kommentar «Ja genau holled die Schaffigger id Schwiiz damits da chönnd 13 jährigi Maitli vergewaltige.».
Die Voraussetzungen für die Eröffnung einer Untersuchung sind nicht gegeben, weshalb auf die Anzeige nicht einzutreten und eine Nichtanhandnahme zu verfügen ist.
Der Beschuldigten auf der Socialmedia Plattform Facebook zu dem von Y geteilten Beitrag "Appell an den Bundesrat - Jetzt Menschen aus Afghanistan Schutz bieten!" geschriebenen rassistische Kommentar «Ja genau holled die Schaffigger id Schwiiz damits da chônnd 13 jahrigi Maitli vergewaltige."
Ethnie im Sinne von Art. 261bis StGB ist ein Segment der Bevölkerung, das sich selbst als abgegrenzte Gruppe versteht (Selbstwahrnehmung) und das vom Rest der Bevölkerung als Gruppe verstanden wird (Fremdwahrnehmung). Die Gruppe muss eine gemeinsame Geschichte sowie ein gemeinsames zusammenhängendes System von Einstellungen und Verhaltensnormen (Tradition, Brauchtum, Sitte, Sprache etc.) haben, wobei die genannten Merkmale zur Abgrenzung verwendet werden müssen (Urteil BGer 68_610/2016 vom 13.04.2017 E. 2.3 m.w.H.).
Nationen und Nationalitäten werden als rechtliche Kategorien von Art. 261bis StGB nicht erfasst. Ist aber mit der Nationalität nicht der rechtliche Status, sondern die mit der Nation verknüpften ethnischen Charakteristika gemeint, ist Art. 261bis StGB anwendbar (Urteil BGer 68_610/2016 vom 13.04.2017 2.3 m.w.H.).
Nachfolgend ist der angezeigte «Facebook-Kommentar» auf dieser Grundlage auf seine Strafbarkeit zu prüfen, insbesondere, ob er sich gegen eine Gruppe im rechtlichen Sinne richtet.
Vorab gilt es festzuhalten, dass nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung auf den Sinn der Äusserung abzustellen ist, wie er sich für den unbefangenen Durchschnittsadressaten unter Beachtung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls ergibt (BGE 131 IV 24; 133 IV 312). Bei Äusserungen im Rahmen politischer Debatten gilt es ferner zu beachten, dass gewisse Vereinfachungen und Übertreibungen üblich sind (BGE 128 IV 53 E. 1a; 131 IV 28).
In der vorliegend zu beurteilenden Äusserung werden bestimmte Menschen - hier namentlich Menschen aus Afghanistan (vgl. dazu nachfolgend Erwägung 10) - pauschal und undifferenziert als «Schaffigger» und als Vergewaltiger von 13-jährigen Mädchen bezeichnet werden. Der Verfasser des Kommentars auf «Facebook» bezichtigt damit des sexuellen Missbrauchs von Tieren, namentlich Schafen, und von jungen Mädchen, stellt sie damit als Menschen abschätzig dar und setzt sie auf eine tiefere Stufe als andere Menschen. Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern sich diese menschenunwürdige Äusserung gegen eine rechtlich geschützte Personengruppe im Sinne von Art. 261bis StGB richtet.
Bei der zu beurteilenden Äusserung handelt es sich um einen Kommentar zu dem auf «Facebook» geteilten Appell an den Bundesrat, Menschen aus Afghanistan Schutz zu bieten. Konkret heisst es im Appell: «[...] Die Nachrichten und Bilder, die uns aus Afghanistan erreichen, machen tief betroffen. Wenn wir an all die Menschen denken, die sich in diesem Moment in unvorstellbarer Angst vor den Taliban verstecken oder bereits auf der Flucht sind, fühlen wir uns hilflos und wie gelähmt. In dieser dramatischen Situation wollen und dürfen wir als Gesellschaft und als Land aber nicht untätig bleiben. Wir appellieren daher an den Bundesrat: Verleiht allen Afghan:innen in der Schweiz unverzüglich den Schutzstatus, rettet ihre Familien aus dem Kriegsgebiet, nehmt zusätzlich 10'000 gefährdete Menschen auf - insbesondere Frauen und Mädchen - und verstärkt die humanitäre Hilfe in den Nachbarländern! [...]» Es ist diesbezüglich zunächst zu berücksichtigen, dass dieser Appell erfolgte, nachdem die Taliban nach dem Abzug der NATO-Truppen innerhalb kurzer Zeit im August 2021 die Kontrolle über das Land Afghanistan übernommen hatten, mit der Folge hoher Sicherheitsrisiken im ganzen Land (vgl. Reisehinweise des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) für Afghanistan). Gemäss den Reisehinweisen des EDA ist die Sicherheit in Afghanistan nicht gewährleistet. Dabei können Gefechte und Anschläge jederzeit und überall stattfinden. Die täglichen Anschläge richten sich hauptsachlich gegen die Behörden sowie gegen die Sicherheitskräfte, aber auch zivile Ziele werden immer wieder angegriffen. Die Anschläge sind demnach nicht gezielt gegen einzelne Bevölkerungsgruppen in Afghanistan gerichtet. Entsprechend wird auch im erwähnten Appell an den Bundesrat verlangt, dass «allen» Menschen aus Afghanistan Schutzstatus verleiht wird. Angesichts dieser Feststellungen und mangels gegenteiliger Hinweise bezieht sich zumindest nach dem Verständnis eines Durchschnittsadressaten auch die vorliegend zu beurteilende Äusserung pauschal auf Menschen aus Afghanistan.
Dazu ist zunächst festzuhalten, dass Afghanistan ein Vielvölkerstaat ist. Der Bevölkerung des Landes fühlt sich eine Vielzahl an ethnischen Gruppen und Stammen zugehörig. Die grösste und einflussreichste Ethnie sind die Paschtunen (ca. 40 %), nach denen Afghanistan auch benannt ist. Die Paschtunen waren früher Nomaden, heute sind sie jedoch sesshaft und leben vor allem im Osten des Landes. Sie sprechen Paschtu. Auch-ein Grossteil der Taliban-Bewegung ist paschtunisch. Daneben gibt es die Tadschiken. Sie sind mit etwa 25 % die zweitgrösste ethnische Gruppe und machen die Mehrheit der Stadtbevölkerung aus. Sie sprechen Persisch. Die drittgrösste Gruppe ist die Hagara. Sie haben eine mongolische Abstammung. Sie sprechen wie die Tadschiken persisch, gehören aber, anders als die sunnitische Mehrheit des Landes, der schiitischen Konfession an. Neben diesen iranischen Völkern gibt es in Afghanistan sogenannte Turkvölker, insbesondere die Usbeken sowie die Turkmenen. Sie machen zusammen knapp 15 % der Bevölkerung von Afghanistan aus. Daneben gibt es mehrere weitere kleine Völker mit eigenen Sprachen und Kulturen. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Afghanistan sind untereinander teilweise verfeindet und es kommt immer wieder zu ethnischen Konflikten. Es existiert in weiten Teilen von Afghanistan kein Nationalgefühl und viele Bewohnende fühlen sich unterdrückt und möchten nicht als «Afghanen» (persisch für «Paschtunen») bezeichnet werden (vgl. https://de.wikipedia:org/wiki/Ethnien_in_Afghanistan, zuletzt abgerufen am 26.10.2021).
Im Weiteren ist zu berücksichtigen, dass es die in Afghanistan vertretenen Bevölkerungsgruppen nicht nur in Afghanistan gibt. So leben die meisten Paschtunen, obschon sie in Afghanistan zwar den grössten Teil der Landbevölkerung ausmachen, nicht in Afghanistan, sondern in Pakistan (vgl. https:/Îde.wikipedia.org/wiki/Paschtunen, zuletzt abgerufen am 26.10.2021). Die Tadschiken leben insbesondere auch in Tadschikistan (vgl. https://de.wikipedia.org/wikiffadschiken, zuletzt abgerufen am 26.10.2021). Die Turkvölker leben ebenfalls nicht nur in Afghanistan, sondern auch in anderen zentralasiatischen Ländern.
Aus den rechtlichen Erwägungen folgt, dass die vorliegende Diskriminierung von Menschen aus Afghanistan sich ausschliesslich auf die nationale Zugehörigkeit dieser Personengruppe stützt. Die Nationalität wird vorliegend nicht als Synonym für eine (oder mehrere) ethnische Gruppen verwendet. Somit qualifizieren im vorliegenden Einzelfall die Menschen aus Afghanistan nicht als Ethnie im Sinne von Art. 261bis StGB und sind entsprechend nicht Schutzobjekt des Tatbestandes, weshalb das Verfassen des eingangs zitierten Kommentars auf «Facebook» nicht tatbestandsmassig im Sinne von Art. 261bis StGB ist. Eine fremdenfeindliche und die Menschenwürde verletzende Äusserung – wie sie im verfassten Kommentar vorkommt – genügt für die Erfüllung des objektiven Tatbestandes der Diskriminierung und Aufruf zu Hass nicht. Ob der Beschuldigte der Verfasser des angezeigten Kommentars ist und ob gegebenenfalls der subjektive Tatbestand erfüllt wäre, kann damit offenbleiben
Die Voraussetzungen für die Eröffnung einer Untersuchung sind damit nicht gegeben, weshalb auf die Anzeige nicht einzutreten ist. Vorbehalten bleibt eine spätere Eröffnung, wenn die Voraussetzungen hierfür eintreten oder bekannt werden.