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Humor, Satireund Ironie
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L’humour, la satireet l’ironie
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Umorismo, satirae ironia
Humor undReligionen
Humour et religions
Umorismoe religioni
TANGRAM 34
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12/2014
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Essay vonCharles Lewinsky | Der jüdischeHumor – einNachruf
sind mehr als nur brillant – beweisen nicht,
dass Juden ein besonders humorbegabter
Volksstamm sind. Sondern nur, dass fast zwei
Jahrhunderte lang eine gesellschaftliche
Konstellation existierte, in der es für sie Sinn
machte, witzig zu sein.
Tempora mutantur
–
unddie Fähigkeit zumHumor
mutatur in illis
.
Es macht also keinen Sinn, Vorträge zum
Thema «Deutscher Humor, französischer Es-
prit, jüdischer Witz» zu halten. (Ein Thema,
das am 10. Juli 1944 im Ghetto von Theresi-
enstadt auf dem Programm stand.) Es gibt
keinen volksspezifischen Humor. Es gibt nur
humorspezifische Situationen.
Wer noch nicht überzeugt ist und nach ei-
nem zusätzlichen Beleg sucht, der muss sich
nur ansehen, wie heute Auseinandersetzun-
gen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft
ausgetragen werden. Mit Witzen, brillan-
ten Formulierungen, treffenden Sarkasmen?
Schön wär’s. Nein, man argumentiert mit
einschläfernder Paragraphengläubigkeit und
haut sich statt PointenGeschäftsordnungsan-
träge um dieOhren.Wir haben es tatsächlich
geschafft, so bierernst und langweilig wie
alleandern zuwerden. Vielleicht ist das jadie
wahreEmanzipation.
Charles Lewinsky ist Dramaturg, Drehbuchautor und
Schriftsteller. Erwurde im Jahr 2000 für seinenRoman
Jo-
hannistag
mit dem Preis der Schweizerischen Schillerstif-
tung ausgezeichnet. 2008 erschien sein Roman
Melnitz
,
der die Geschichte einer jüdischen Schweizer Familie zwi-
schen 1871 und 1941 erzählt. Der Romanwar einGrosser-
folg,wurde inelf Sprachenübersetztund inFrankreichals
bester ausländischer Romanausgezeichnet.
Der vorliegende Artikel wurde am 31. August 2012 zum
erstenMal inder Zeitschrift
Tachles
veröffentlicht.