TANGRAM 34 Bulletin der EKR Dezember 2014 - page 89

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Humor, Satireund Ironie
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L’humour, la satireet l’ironie
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Umorismo, satira e ironia
Humor undReligionen
Humour et religions
Umorismo e religioni
ThomasMeyer imGesprächmit Urs Güney |«Oft wirdHumormit Spott verwechselt»
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12/2014
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TANGRAM 34
Ja. Neulich hat mich jemand darauf auf-
merksam gemacht, dass es überproportional
viele jüdische Nobelpreisträger gebe. Wenn
das wahr ist: So what? Viel interessanter ist
die Frage nach demMotiv, warumman sich
also überhaupt bei diesem Aspekt aufhält.
Selbst wenn die Juden halb Hollywood re-
gieren, wieman oft hört, sowird die andere
HälftevonNichtjuden regiert,wobeidasdann
aber nicht als Griff nachderWeltmacht ange-
sehenwird, sondernals kommerzielles Talent.
Meiner Meinung nach ist der Rassist einfach
ein Paranoiker. Er glaubt an verquere Dinge
und sieht sie überall bestätigt. Wie eben die
Allmacht der Juden oder auch nur schon ih-
ren Humor. Widerlegt man seine Ansichten,
istmanentweder schlecht informiertoder Teil
der Verschwörung.
Worüber können Siedenn lachen?
Über derben und über originellen, klugen
Humor; wie etwaMonty Python. Leider wird
in der Schweiz Humor häufig mit Spott ver-
wechselt. Über andere herzuziehen ist aber
nicht lustig, sondern herabwürdigend und
peinlich.
Mussten Sie sich viele geschmacklose Ju-
denwitze anhören?
Inder Primarschule habendie Buben zahl-
reiche solcheWitzeerzählt.Auchüber andere
Minderheiten. Bei diesenWitzen bedient sich
die Pointe eines so furchtbaren Bildes, wie
beispielsweise Gaskammern, dass nur jemand
ohne Gewissen bereit ist, siewiederzugeben.
Ein gereifter Charakter profiliert sich nicht
dermassen auf Kosten anderer.
Ihr erster Roman spielt im orthodoxenMi-
lieu Zürichs und parodiert dieses. Darf man
das?
Was heisst dürfen? Es gibt ja kein Gesetz
dagegen. Und auch hier ist wieder die Frage
nach demMotiv interessant. Ich finde, meine
«OftwirdHumormit Spott verwechselt»
ThomasMeyer imGesprächmit Urs Güney
Der Roman «Wolkenbruchs wunderliche
Reise indieArmeeiner Schickse»hat Thomas
Meyer den Ruf eines jüdischen Schriftstellers
mit viel Humor eingetragen. Wie diese At-
tribute zusammenhängen und wo der Spass
aufhört.
Gibt es jüdischenHumor?
Vom jüdischen Humor höre ich eigentlich
nur von Nichtjuden. Wenn ich sie frage, was
sie damit meinen, liefern sie eine Definiti-
on von Humor, die für mich nichts Jüdisches
hat: beispielsweise die Fähigkeit, über das ei-
gene Schicksal zu lachen. Die Diskussion hat
für mich aber ohnehin etwas Anbiederndes:
Schau, ich bin keinAntisemit, ich habe euren
tollenHumor erkannt und verstanden.
Und doch fassen wir Woody Allen, Sarah
Silverman, Jerry Seinfeldund vieleandereun-
ter diesem Label zusammen. Haben sie nichts
gemeinsam?
Doch, sie sind jüdisch und lustig. Aber da
gibt es meines Erachtens keine Korrelation.
Genau dies glauben viele: dass es Eigenschaf-
tengebe, die Juden zwingendhabenunddie
demzufolge vererbbar sind. Beispielsweise
Geldgier und Verschlagenheit, aber auch In-
telligenz und Humor. Interessanterweise sagt
bei einem nichtjüdischen erfolgreichen Ge-
schäftsmann aber keiner: moment mal, der
müsstedoch Jude sein?
Bei «jüdischem Humor» schrillen also Ihre
Alarmglocken?
© Lukas Lienhard
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