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Editorial
MartineBrunschwigGraf
Präsidentinder EKR
Kannman über alles lachen? Die Frage ist
berechtigt, unddieAntwort ist nicht einfach.
Spontan möchte man Ja sagen, denn die
Freiheit, zu lachen und andere zum Lachen
zubringen,muss garantiert seinunderhalten
bleiben. Doch so einfach ist es leider nicht.
Andere zum Lachen zu bringen, hat nichts
Unschuldiges an sich. Die Zielscheibe des Hu-
mors, dieWorte, dieGesten, derTonfall –alles
kann kontrovers betrachtet werden. Deshalb
befasst sich die EKR in der vorliegenden Aus-
gabe des TANGRAM mit dem Humor, seiner
Rolle und seinem Einfluss imKontext der Ras-
sismusbekämpfung.
«Der aufgeklärte Mensch enthält sich des
Lobes und der Zensur; Er weiss, dass in der
Kunst, im Geist und im Geschmack, Das Ur-
teil eines Einzelnen nicht das Gesetz aller ist,
DassWartenmitVerdiktendiebesteRegel ist,
Und dass der Richterspruch des Publikums als
einziger von Dauer ist», schrieb der französi-
sche Dichter Jean-Baptiste Gresset 1747. Die-
ser Gedanke hat nichts von seiner Aktualität
verloren und passt auch in die gegenwärtige
Debatte rund um die Auftritte des Komikers
Dieudonné, der in Frankreich wegen seines
antisemitischen Humors mehrfach verurteilt
wurde.
Muss ein Auftritt verboten werden, bei
dem man von vornherein annehmen kann,
dass darin rassistische Elemente vorkommen
werden? Frankreich hat klar so entschieden;
in der Schweizwurde bislang auf eine Zensur
apriori verzichtet, imWissen, dass aposteriori
immernochdurchgegriffenwerdenkann.Ne-
ben den rechtlichenMotiven führte zu dieser
grösseren Zurückhaltung gewiss auch die Be-
fürchtung, dass die von der Zensur angegrif-
fenenMeinungen letztlichbestärktwerden.
Doch es stellen sich noch weitere Fragen:
Wie weiss man beispielsweise, dass man es
nichtmehrmit Humor, sondernmit Rassismus
zu tun hat? Wie kann man sicher sein, dass
derjenige, denman des Rassismus bezichtigt,
diesen nicht selber entlarvt, auch wenn die
Form grob ist und das Gegenteil vermuten
lässt?
Es gibt keine absolute Regel, denndieAb-
sicht und der Kontext spielen bei dieser Ein-
schätzungeinezentraleRolle.DerHumordarf
weder zur Verletzung der menschlichenWür-
de, noch zur Verbreitung erniedrigender und
ablehnender Haltungenmissbrauchtwerden.
«Es gibt keine Komik ausserhalb dessen,
was wahrhaft menschlich ist», schreibt Berg-
son. Humor ist etwas zutiefst Menschliches.
Von Menschen wird er geschaffen, an Men-
schen ist er direkt oder indirekt gerichtet. La-
chenkönnenundandere zum Lachenbringen
erfordert Kenntnis seiner selbst und grossen
Respekt gegenüber denandern.
EchterHumor kanndaher nichtmittelmäs-
sig sein, weder in seinem Gehalt noch in sei-
nemGeist undHerz. Lachen und andere zum
Lachen zu bringen, erfordert Intelligenz und
Sensibilität.
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Editoriale
TANGRAM 34
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12/2014