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Humor, Satireund Ironie
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L’humour, la satireet l’ironie
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Umorismo, satirae ironia
RolledesHumors inderGesellschaft
Le rôlede l’humourdans la société
Il ruolodell’umorismonella società
TANGRAM 34
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12/2014
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Shpresa Jashari imGesprächmit Urs Güney | Humormussman ernst nehmen
Welche Konflikte werden in der Migrati-
onsgesellschaft humoristischbearbeitet?
Lassen Sie mich zunächst einen Witz er-
zählen: EinManngeht durchdie Strassenund
zieht fortwährend ein Seil hinter sich her. Ein
anderer spricht ihn an: «Was soll das?Warum
ziehst du ständig dieses Seil hinter dir her?»
«Was soll ichdenn tun?», antwortet der erste,
«vormir herstossenkann iches janicht.»
WashatdasmitderMigrationsgesellschaft
zu tun?
DerWitz veranschaulicht einegrundlegen-
deFunktionsweisevonKomik: Etwaswirktko-
misch, und zwar imdoppelten SinnedesWor-
tes, schlicht weil es «normalerweise» nicht so
ist oder nicht so sein sollte und deshalb auch
nicht erwartet wird. Dass Migranten unsere
hergebrachtenOrdnungsvorstellungendurch-
brechen, ist naheliegend – wie übrigens Zu-
gewanderten auch somanches Verhalten der
Aufnahmegesellschaft als «unordentlich» er-
scheint. ImunernstenModuswerdenNormen
in Frage gestellt, verhandelt oder manchmal
repariert, wenn sie gebrochen wurden. Der
Scherz bietet den Schutz, hinter das Gesagte
wieder zurücktreten zu können – es war ja
nicht ganz ernst gemeint.
Sehen Sie Humor als eine Waffe gegen
Rassismus?
Er kann sowohl Normen subvertieren wie
auch Herrschaftsverhältnisse stärken. Wird
man als Abweichung von der gängigen Ord-
nung taxiert, kann man ernsthaft dagegen
protestieren. Oder man reagiert mit Humor.
Letzteres hat einen konsolidierenden Effekt:
Man kann Vorurteile demaskieren, ohne die
Beziehung gleich in eine Krise zu stürzen. In
diesemSinn istHumoreineWaffe, oderbesser:
ein Instrument der Selbstermächtigung. Op-
fererfahrungen lassen sich in ein neues Licht
rücken. Man wird zum Urheber der eigenen
Geschichteund vereint die Lacher auf sich.
Die Sprachwissenschaftlerin Shpresa
Jashari hat den Einsatz von Komik in derMi-
grationsgesellschaft analysiert.
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Diesekommt
dann zum Zug, wenn überkommene Normen
durch die Zugewanderten in Frage gestellt
werden.
Migrationsfragen sind gemeinhin heiss
umstritten. Wie sind Sie dazu gekommen,
denDiskurs von seiner komischen Seite zube-
trachten?
ImMigrationsdiskurs marginalisierte Phä-
nomene faszinierten mich schon immer. Be-
vor man ausländische TV-Sender empfangen
konnte, schauten sich beispielsweise albani-
sche Migrantenfamilien Videokassetten mit
Musik und Sketches aus dem Herkunftsland
an. Sogar Reisebüros und sogenannte «Tür-
kenläden»vertriebendiese.DemMainstream-
diskurswar diesesMediumweitgehendunbe-
kannt, obwohl es fürMigranten eine enorme
Bedeutung hatte. Inmeinem Elternhaus wur-
den die Kassetten unter Spitzendecken im
Regal aufbewahrt und am Sonntaghervorge-
holt, wenn Besuch da war. Aus den Sketches
kannten meine Eltern
Running Gags
, die sie
mit den Verwandten in Mazedonien teilten.
Bei der Analyse dieses transnationalenMedi-
ums zeigte sich rasch, dass mittels Komik im-
mer auch ernste Auseinandersetzungen aus-
getragenwerden.
Humormussman ernst nehmen
Shpresa Jashari imGesprächmit Urs Güney
©EKR