TANGRAM 34 Bulletin der EKR Dezember 2014 - page 50

50
Humor, Satireund Ironie
|
L’humour, la satireet l’ironie
|
Umorismo, satirae ironia
RolledesHumors inderGesellschaft
Le rôlede l’humourdans la société
Il ruolodell’umorismonella società
TANGRAM 34
|
12/2014
|
Rohit Jain |Das Lachen über die «Anderen»: Anti-Political-Correctness als Hegemonie
anderen Ländernmit schwarzer Bevölkerung
und verschiedenen aktuellen europäischen
Kampagnen gegen
Blackfacing
in der Popu-
lär- und Hochkultur. Die Kritik provozierte –
wie auch beim «Täschligate»-Skandal selbst –
auf der Stelle Dementis: Kunstfreiheit, Mei-
nungsäusserungsfreiheit, Spassfeindlichkeit
und Intellektualismus.
Wie sollenwir Urweiders und Schwarz, In-
tervention deuten? Macht diese historische
Genealogie die Praxis des
Blackfacing
in der
ethnischen Comedy in der heutigen Schweiz
automatisch zu einer rassistischen Praxis?
Nein, das vielleicht nicht. Interessantwirdder
historischeVergleich jedoch,wennwir fragen,
welche soziale Bedeutung und Funktion die-
ses parodistische Lachenüber das «Andere» –
und in diesem Fall das
Blackfacing
– in den
Hierarchien zwischen dem Eigenen und dem
Andereneinnimmt.
Wie Christoph Gebel, Chef der SRF-Unter-
haltungsabteilung, erklärte, sollte der Sketch
die angebliche offensichtliche «Rassismus-
hysterie» auf die Schippe nehmen. Warum
brauchte es dazu die Kunstfigur FrauMgubi?
Würde da nicht lediglich eine Szene im Back-
office ausreichen, wo Verkäuferin undMana-
ger angesichts einer angeblichen, schwarzen
Berühmtheit in Panik verfallen? Es liegt die
Interpretationnahe, dassdieVerkleidungund
die schwarzeMaskederMgubi zur humoristi-
schen Pointe gehörten: Das unerwarteteAuf-
tauchen der schwarzen Frau in der weissen
und kulturell homogenen Schweiz war selbst
das Spektakel! Durch die Überschreitung der
rassialisierten, kulturellen und sprachlichen
GrenzedurchFrauMgubi imSchweizerLaden–
und Birgit Steinegger als Frau Mgubi – kam
die Schweiz in einen aufregenden Kontakt
mit ihren «Anderen». Zudem funktionierte
die Pointe nur, weil die als dümmlich und un-
zivilisiert dargestellte Frau Mgubi keinesfalls
Schriftsteller Raphael Urweider und Thea-
terregisseur Samuel Schwarz beklagten sich
daraufhin beim Schweizer Radio und Fernse-
henSRFüberdas imSketchverwendete
black-
facing
, eine kulturelle Praxis mit einschlägig
rassistischer Geschichte.
Blackfacing
wareinedermeistverbreiteten
Repräsentationen von Rasse in der US-ameri-
kanischen und britischen Populärkultur des
19. und 20. Jahrhunderts. Indem spezifischen
Genre der
Blackface minstrelsy
verkleideten
und schminkten sich weisse Bohemiens als
schwarze Entertainer, Sklaven oder Vagabun-
den. Sie parodierten eine imaginierte schwar-
zeAlltagskultur undmimten schwarzeMusik-
tradition. Im Übergang von der segregierten
Sklavenhalter- zur durchmischten industriali-
sierten Gesellschaft diente die Identifikation
mit dem schwarzen Müssiggang sowohl als
kathartischer Übertritt in eine andere ferne,
aber ersehnte Welt als auch zur moralischen
Selbstvergewisserung gegenüber diesen «An-
deren». «It appears that during this sketch of
American cultural history the intercourse be-
tween racial cultureswas at once soattractive
and so threatening as to require a cultural
marker or a visible sign of cultural interac-
tion.» (Lott, 1993, s. 6). Das Charakteristische
und auch Schockierende an der amerikani-
schen Geschichte des
Blackfacing
ist die Tat-
sache, dass die weisse Dominanzgesellschaft
stets das Begehren verspürte, das «schwarze
Andere» als Fiktion zu konsumieren und ihm
nahe zu seinundes zukennen, aber realeBe-
gegnungen inder stark segregiertenundhie-
rarchischen Gesellschaft mied. Die
Blackface
minstrelsyshow
prägtediekommerzielleweis-
se Populärkultur bis zu ihrer Ächtung im
civil
rightsmovement
inden 1960er-Jahren.
Mit ihrer Klage befanden sich Urweider
und Schwarz zwar durchaus im Einklang mit
der Ächtung dieser Praxis in den USA und
1...,40,41,42,43,44,45,46,47,48,49 51,52,53,54,55,56,57,58,59,60,...118
Powered by FlippingBook