TANGRAM 34 Bulletin der EKR Dezember 2014 - page 53

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Humor, Satireund Ironie
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L’humour, la satireet l’ironie
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Umorismo, satira e ironia
RolledesHumors inderGesellschaft
Le rôlede l’humourdans la société
Il ruolodell’umorismonella società
Rohit Jain |Das Lachenüber die «Anderen»: Anti-Political-Correctness als Hegemonie
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12/2014
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TANGRAM34
ja der politischen und kulturellen Repräsen-
tation überhaupt mangelt es in der Schweiz.
Der Kampf der Mehrheitsgesellschaft darum,
den einen alten Witz doch lustig finden zu
dürfen, ist verräterisch. Die aufgebauteDroh-
kulisse einer Lawine der Political Correctness,
die einem den kulturellen Boden des Ge-
wohntenunter den Füssenwegreissenwürde,
wenn imEinzelfall nachgegebenwürde, führt
in eine ethische undhumoristische Sackgasse.
Stattdessen liesse sich fragen, welche neuen
Formen von Humor und sozialen und inter-
kulturellen Beziehungen entstehen könnten,
wennwir dieses Beharren aufgebenwürden.
Die Schweiz ist zwar keine Sklavenhalter-
gesellschaft, jedoch ist auch sie von einer se-
gregierten Öffentlichkeit geprägt. Nicht nur
hat knapp ein Fünftel der volljährigen Bevöl-
kerung keine politischen Rechte. Auch be-
züglichdermedialenRepräsentationherrscht
eine Segregation vor. Über Ausländerinnen
und Ausländer wird unterproportional und
vor allem problemorientiert berichtet. Men-
schen mit Migrationshintergrund haben we-
niger Artikulationschancen und sind in der
Produktion, inder Redaktionund imAgenda-
SettingderMedienkaumoderdurchhegemo-
niale Positionen vertreten. Die Ignoranz ge-
genüber einer schweizerischen Bevölkerung
mit Migrationshintergrund zeigt sich auch
in der SRF-Comedy-Kultur: Es wird gar nicht
daran gedacht, dass schwarze Menschen die
Sendung schauen und sich an
Blackfacing
dem Symbol rassistischer US-Segregation per
se – stören könnten. Und wenn doch, dann
sind siehalt immernochnicht integriert.Kurz:
Kritikprovoziert Dementis.
Was ist das Fazit dieser Überlegungen?
Lachen ist frei, aber nicht unpolitisch. Hu-
mor ist subtil, aber nicht einfach persönlich.
Jedes noch so idiosynkratische Lachen ist im-
mer auch Produkt einer Humorhierarchie, die
imRampenlicht der Primetime die hegemoni-
aleUnterscheidung in liberal-humorvolle und
traditionell-unassimilierbare Türken.
Der europaweite Höhepunkt der doppel-
ten Verquickung von Rassismus und Humor,
von Rassismus der neuen Rechten und eth-
nischer Comedy der Mitte, waren zweifellos
die dänischen Mohammed-Karikaturen. Auf
einen Schlag konnte durch gezielten, rassia-
lisierten Humor glaubhaft gemacht werden,
dass vielen Musliminnen und Muslimen Mei-
nungsäusserungsfreiheit, Humor und Satire
fremd sind. Und umgekehrt legitimierte die
politische Debatte den rassialisierten Humor
als strategische Plattform im «Kampf der Zi-
vilisationen».
DemokratischeRepräsentationspolitik
undVielfalt desHumors
Dem Humor – sogar in Form einer domi-
nanzgesellschaftlichen, stereotypen Parodie
des «Anderen» – wohnt durchaus das Poten-
zial inne, interkulturelle Hierarchien zu ver-
schieben undGrenzen abzubauen.WennHu-
mor als Raum für vielfältige, ja karnevaleske
Gemeinschaft dienen soll, muss er erstens ei-
nenBlick von aussen zulassenund selbstrefle-
xiv sein und sich entschuldigen können, statt
sich reflexartig und aggressiv zu verteidigen.
Das grenzüberschreitende und utopische Po-
tenzial des Humors wird sofort ins Gegenteil
verkehrt, wenn dieOffenheit des Humors für
diepolitische SelbstvergewisserungderDomi-
nanzgesellschaft geschlossen wird. Zweitens
muss sichdashumoristischeVersprecheneiner
vielfältigen Gemeinsamkeit auch in den sozi-
alen Beziehungen und Institutionen nieder-
schlagen. Die«Fremden» sollenauchüber das
«Eigene» und alle zusammen über einander
lachen können – im Staatsfernsehen, in der
Familie und auf der Strasse oder wo sonst
auch immer. An dieser ästhetischen und insti-
tutionellen Vielfalt des Lachens, des Humors,
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