TANGRAM 34 Bulletin der EKR Dezember 2014 - page 59

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Humor, Satireund Ironie
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L’humour, la satireet l’ironie
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Umorismo, satira e ironia
RolledesHumors inderGesellschaft
Le rôlede l’humourdans la société
Il ruolodell’umorismonella società
SemihYavsaner (aliasMüslüm) imGesprächmit Shpresa Jashari |Die humoristische ErziehungdesMenschen
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12/2014
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TANGRAM 34
eine Figur hätte, die allenKlischees entspricht,
sich falsch verhält, in der Anfangsphase ihrem
Trieb unterlegen ist und soweiter?Was wäre,
wenn der sich zum Vorzeigemigranten entwi-
ckelnwürde, der nur soböseaussieht?
Wie ein Orang-Utan, wie
es in einem der Songs auf
Ihrem Album heisst (Textzei-
le: «Die Leute schauen mich
hier an, alswär icheinOrang-
Utan»).
Ja, genau. Dass so ein
Mensch, der schon rein ästhe-
tisch von dieser Gesellschaft
ausgegrenzt wird, plötzlich
trotzdem eine Chance be-
kommt. Dass eineBegegnungoder gar einDi-
alog stattfinden kann zwischen ihm und Leu-
ten, die ihn sonst nur aus Boulevardblättern
kennen.
Mir als Linguistin fällt auf, dass Müslüm
nicht eins zu eins die Sprache der türkischen
Einwanderer spricht. Auchwennes klingtwie
bei den Migranten erster Generation, den
«Gastarbeitern», sind der Wortschatz, be-
stimmteAusdrucksweisenusw. sehruntypisch.
Etwa wenn er abstrakte Begriffe wie Zivilisa-
tion und Komplexe oder den berndeutschen
Ausdruck
Äkchegstabi
(Anm.: Nackenstarre)
verwendet. Auch die Verkleinerungsform -li
setzt er inflationär ein. Zum Beispiel wenn
der ruppige Supermacho verniedlichend von
seinen
Zechänägeli
(Zehennägelein) spricht,
danngehtesdochauchdarum,dasSchweizer-
deutsche auf die Schippe zu nehmen. Ich fra-
gemich also, wie sehr ist Müslüm überhaupt
Türke, undwas an ihm ist schweizerisch?
All das, auf das jeder Schweizer stolz ist –
und dort bediene ichmichmeiner Schweizer
Seite. NämlichwennMüslüm sagt, er liebt die
Natur dieses Landes, er liebt Produkteaus der
Region, er liebt denBauern, er liebt, wieman
genund legitimiert, dieSchadenzufügen,wie
etwa das Rauchen, Gewalt und anderes. Das
gilt als cool. Es ist generell angesagt, wenn
man böse zueinander ist, sag ich mal. Und
das Egowirdgestreichelt undgefüttert: Jeder
streichelt nur noch sein Ego, aber nie seinen
Nächsten. Und dann kommt
dieser Müslümmit seiner Lie-
besphilosophie, die eigentlich
in unserem Universum, unse-
rermodernenWeltgarkeinen
Platzhat. Sie ist sozusagenun-
möglich, diese Haltung, und
das macht es wiederum umso
möglicher.
Müslüm war ja nicht im-
mer so. In seinen Jugendjahren bei Radio
RaBewar er noch ziemlich aggressiv ...
Ichhabe bald erkannt, was für ein Privileg
es ist, zu einer bunteren, toleranteren Reali-
tät beitragen zu können. Anders als diejeni-
ge, diehier überall durchdiesePoster der SVP
generiert worden ist. Mir ist das wichtig, mit
gutem Beispiel voranzugehen. Aber ich sehe
schon, dieDramatik ist ja, dass die Figur auch
von ihren Fehltritten lebt. Irgendwannwerde
ich einen falschen Schritt machen. Ichmeine,
Müslüm hat früher seine Freundin noch ge-
schlagen. Er sagtedazu, er habe sie «mit dem
Ellenbögeli gestreichelt». Ich fanddas damals
witzig, dieses Stereotyp zubringen.
Ist dieseVeränderungnicht auch eineKon-
sequenz IhrerPopularität?MüssenSienichtge-
mässigter spassen, nunwoMüslüm sobekannt
ist und vielleichtmehrVerantwortung trägt?
Ich denke, wenn man sich ein wenig be-
wusst ist, dass man hier eine Möglichkeit in
denHändenhält, zumAbbaueinesFeindbildes
beizutragen, ist das etwas Schönes. Für mich
war das ein Anreiz, das, was es so interessant
gemachthat.Unddarumhabe ichmichmitder
Frage beschäftigt: Wie wär’s denn, wenn ich
Es geht umeine
Liebesphilosophie.
Diese kann aber ...
nur ankommen,
weil er cool ist,
einVorbild.
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