TANGRAM 34 Bulletin der EKR Dezember 2014 - page 49

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Humor, Satireund Ironie
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L’humour, la satireet l’ironie
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Umorismo, satira e ironia
RolledesHumors inderGesellschaft
Le rôlede l’humourdans la société
Il ruolodell’umorismonella società
Rohit Jain |Das Lachenüber die «Anderen»: Anti-Political-Correctness als Hegemonie
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12/2014
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TANGRAM34
Beharren auf «altenWitzen»nur zuoft zu ei-
ner nationalistischen Selbstvergewisserung
und zur Legitimation von Rassismus bei. Das
Versprechen von Humor nach Veränderung
und Kritik kann stattdessen nur durch dessen
institutionelle Pluralisierung und Demokrati-
sierung und durch eine rassismuskritischeAn-
eignungerfülltwerden.
«Täschligate»: Lachenüber «Rassismus-
hysterie»durch
Blackfacing
Als Ausgangspunkt der folgenden Über-
legungen soll der sogenannte «Täschligate»-
Sketch des Schweizer Fernsehens SRF die-
nen, der 2013 im satirischen Jahresrückblick
Endspott
des Deutschschweizer Fernsehens
ausgestrahltwurde.
Sie erinnern sich vielleicht an die so ge-
nannte «Täschligate»-Affäre: In einer US-Talk-
show erzählte OprahWinfrey, wie sie sich im
Sommer 2013 eine Designer-Handtasche in ei-
ner Zürcher Edelboutique ansehen wollte. Sie
äusserte dieMöglichkeit, dass die Verkäuferin
ihr die Tasche nicht zeigenwollte, weil Oprah
Winfrey schwarz sei und sich daher die Tasche
imWert von mehreren zehntausend Franken
wahrscheinlich nicht leisten könnte. Dieser
nebenbei geäusserte «Rassismusvorwurf» –
wie der
Blick
schrieb – löste in der Schweiz
nationale Entrüstung aus. In der öffentlichen
Debattewurde versucht, denmoralischen Ruf
der Schweiz durch implizite und explizite ras-
sistische Verleumdungen von Oprah Winfrey
wiederherzustellen. Der Vorfall beschäftigte
dieSchweizerVolksseele so stark,dass im satiri-
schen Jahresrückblick
Endspott
ein Sketch zum
Themaausgestrahltwurde. Darin spielteBirgit
Steinegger ihre schwarz angemalte Paradefi-
gur FrauMgubi, die in einem Kleidergeschäft
offensichtlich zuUnrecht für eineBerühmtheit
gehaltenwird. Aus Panik vor einemRassismus-
vorwurf behandelten die Verkäuferin und der
Manager sieabsurderweisewieeineVIP.
Das Lachenüber die «Anderen»:
Anti-Political-Correctness alsHegemonie
Rohit Jain
«DieKomik-Schublade», inder die Figuren
undCharaktere stecken, schützt undbewahrt
die Zuschauer davor, ihrenunbewusstenRas-
sismus einzugestehen. Sieprovoziert Demen-
tis.»
Stuart Hall, 1989, s.163
Humor ist eine faszinierende soziale Kom-
munikationsweise: Er erlaubt, ja dient sogar
dazu, ambivalente Stimmungen und Erfah-
rungen zu äussern, für die keine sozialen
Konventionen existieren oder solchen wider-
sprechen. Im Kontext von Migration haben
humoristische Praktiken daher das Potenzial,
hierarchische Ordnungen des Eigenen und
des Anderen (wieder)herzustellen, aber auch
neue, grenzüberschreitende Beziehungen zu
eröffnen. Wann aber ist Humor verbindend
und wann wirkt er ausschliessend? Wer hat
das Recht oder die Freiheit, über Andere zu
lachen und wer muss es sich gefallen lassen,
ausgelacht zuwerden?
Dieser Artikel reflektiert die Schweizer
Politik von Humor und Rassismus der letzten
20 Jahre aus einer sozial- und kulturwissen-
schaftlichen Perspektive. Im Fokus stehen die
Fragen, wie humoristische Bilder in Medien,
PolitikundAlltagzirkulierenundwiedadurch
schweizerische Hierarchien des Eigenen und
des Anderen konstruiertwurden.
Der Artikel argumentiert, dass Humor in
der Schweiz zu einer strategischen Plattform
und alltäglichen Praxis geworden ist, um die
Überlegenheit der schweizerischen Domi-
nanzgesellschaft zumarkieren. Demnach hat
sich seit den 1990er-Jahren ein Diskurs einer
Anti-Political-Correctness etabliert, der auf ei-
ner Metaebene das Sprechen über Rassismus
dominiert. Werden im Kampf ums Lachen
daher oft hehre Werte wie Meinungsäusse-
rungsfreiheit oder Satire – oder ganz einfach
Spass am Spass – gegen die angeblich prüde
Political Correctness ins Feldgeführt, trägtdas
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