TANGRAM 34 Bulletin della CFR Dicembre 2014 - page 90

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Humor, Satireund Ironie
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L’humour, la satire et l’ironie
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Umorismo, satirae ironia
Humor undReligionen
Humour et religions
Umorismoe religioni
TANGRAM 34
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12/2014
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ThomasMeyer imGesprächmit Urs Güney |«Oft wirdHumormit Spott verwechselt»
im Tram fahren durften und dann nur noch
imGüterwagen. Diese Passage irritiert an Le-
sungen die Zuhörer oft. Dabei ist es einfach
meine Art, mit dem Thema umzugehen. Imi-
tieren abermeine Freunde dieseArt, machen
sie auch solche Sprüche, bin ich der Irritierte.
Da ziehe ichdieGrenze einiges enger.
Ihr Roman arbeitet stark mit Klischees,
etwaderRolleder jüdischenMutteroderdem
Kaufverhalten der Orthodoxen. Haben Sie
keine Angst, durch das Spiel
mit Stereotypen jene zu be-
stärken, diees ja schon immer
gewusst habenwollen?
Sehen Sie, diese Überle-
gung impliziert, dass der An-
tisemit nachWahrheit undVernunft operiert,
dass man ihn also quasi mental aushungern
kann und er dann eines Tages kein Antise-
mit mehr ist. Antisemiten haben aber immer
genug Futter. Sie produzieren es schliesslich
selbst. Vor allemwidertmichderGedankean,
dass es bei den Juden läge, den Antisemitis-
museinzuschränken. Siehaben ihn schliesslich
nicht erfunden. Es spielt keine Rolle, wie ich
mein Buch geschrieben habe –wer die Juden
hasst, wird darin Anlass für weiteren Hass
finden, und wenn es mein Buch nicht gäbe,
so fände er den Anlass für seine beschissene
Geisteshaltung anderswo.
Für die meisten Leser und Leserinnen ste-
henwohl eherder Einblick indie jüdischeKul-
turunddieBegegnungmitdem Jiddischen im
Vordergrund.
Das wurde mir immer wieder gesagt und
natürlich freue ich mich, wenn ich Neugier
geweckt habe. Aber damit wir uns richtig
verstehen: Ich habe kein Buch zur Völkerver-
ständigung geschrieben. Das würde ich als
anmassend empfinden. Ich bin lediglich einer
Eingebung gefolgt, die mich bis zum letzten
Satz des Romans getragen hat. Das ist natür-
Parodie ist liebevoll. Und wenn das jemand
anders sieht, dann muss ich mit seiner Mei-
nung leben.
WiewarendenndieReaktionen?
Bei den Orthodoxen wird niemand zuge-
ben, dass er das Buch gelesen hat. Für From-
me, die es gelesen haben, ist sehr vieles un-
vollständig oder schlicht falsch, diemonieren
beispielsweise, dass der Vater von Motti das
Tachles
liest, die jüdische Wochenzeitschrift.
Die wollen halt das Juden-
tum realistisch abgebildet se-
hen. Für die zweite Auflage
habe ich diverse Anregungen
aufgenommen, aber beileibe
nicht alle. Es ist ja ein Roman,
keineDoku.
Mordechai Wolkenbruch ist ein Indivi-
duum im inneren und äusseren Konflikt mit
der Gemeinschaft, der Roman behandelt die
Spannung zwischen Emanzipation und Exklu-
sion. Hätten Sie sich vorstellen können, ihn
«im vollen Ernst» zu schreiben?
Natürlich, aber Humor gehört zu meinem
Schreiben wie zum Leben. Das heisst nicht,
dass es bei mir immer etwas zu kichern gibt.
Humor ist letztlich sehr privat, ein Perspek-
tivenwechsel weg vom persönlichen Drama.
Wir kennen ja alle die Phase, in der wir glau-
ben, es gäbe kein schwereres Schicksal als das
eigene. Irgendwann muss man sich sagen:
«Du irrst dich, deine Unbill ist ein Bruchteil
dessen, was andere täglich erleben.» Wer
fliessendWasserhat,müssteeigentlichbereits
die Schnauzehalten. Humor ist alsoaucheine
Entscheidung.
Wo liegen für SiedieGrenzendesHumors?
Wolkenbruchs Vater verkauft Versicherun-
genmit demArgument: «Manweiss ja nie!»,
und hat damit, so steht es im Buch, Erfolg
bei Leuten, deren Vorfahren erst nicht mehr
Humor gehört zu
meinem Schreiben
wie zum Leben.
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