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6/2015
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TANGRAM35
Editorial
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Editorial
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Editoriale
Editorial
MartineBrunschwigGraf
Präsidentinder EKR
Am 25. September 1994 haben 54,6% der
Stimmenden die Einführung einer Norm ins
Strafgesetzbuch und ins Militärstrafgesetz-
buch angenommen, die eine Bestrafung von
Rassismus, rassistischen Äusserungen, Aufru-
fen zu Rassenhass und Leugnung von Völker-
mord erlaubt. DerWortlaut ist, wie immer in
derSchweiz,dasResultateinesKompromisses.
Die Strafnorm gilt nur für den öffentlichen
Raum und/oder wenn der Wille zur Verbrei-
tung rassistischer Ideennachgewiesenwird.
Trotz des deutlichen Entscheids des Par-
laments wurde die Abstimmungskampagne
äusserst engagiert geführt, was sich auch im
Ergebnis der Volksabstimmung widerspiegel-
te. 20 Jahre später darf man sich fragen, ob
die Vorbehalte der Gegner berechtigt waren,
derenHauptargumentgegenArtikel 261
bis
die
Befürchtung eines Beitritts zur UNO «durch
die Hintertür» war. Heute wissen wir, dass
nicht die Strafnorm zur Annahme der Volks-
initiative vom 3. März 2002 zum Beitritt der
Schweiz zur UNOgeführt hat!
Die Gegner von damals waren imÜbrigen
derAnsicht,Artikel 261
bis
richte sichgegendie
Schweizer Bürgerinnen und Bürger. Sie be-
fürchteten, dassdieBevorzugungvonSchwei-
zerinnen und Schweizern auf dem Arbeits-
oder Wohnungsmarkt eine Strafverfolgung
bewirken könnte. Betrachtet man die aktuel-
le Situation, siehtman, dasswirweit entfernt
sind! Derzeit fehlen sogar Bestimmungen im
Strafgesetz, um beispielsweise gegen die Dis-
kriminierung bei der Anstellung oder bei der
Wohnungssuche aus Gründen der Hautfarbe
oder des fremdklingendenNamens vorgehen
zu können! Undman sieht Slogans ins Kraut
schiessen, die die nationale oder kantonale
Bevorzugung auf dem Arbeitsmarkt propa-
gieren, ohnedass sich jemanddaran stösst.
Die weiteren Befürchtungen der dama-
ligen Gegner, dass bestraft würde, wer die
Asyl- und Einwanderungspolitik kritisiert,
haben sich bei der Umsetzung der Strafnorm
nicht bewahrheitet. Die Praxis ist hier so res-
triktiv, dass auch gegen äusserst umstrittene
politische Plakate nie gerichtlich vorgegan-
genwurde.
Ein anderes Gegnerkomitee fürchtete
1994 um die Meinungsäusserungsfreiheit.
Die Überprüfung der in den vergangenen
20 Jahren ausgesprochenen Urteile zeigt je-
doch, dass dieMeinungsfreiheit vondenRich-
tern stets berücksichtigt wurde, und dies bis-
weilen so weitgehend, dass man die Folgen
der restriktiven Umsetzung ernsthaft bedau-
ern muss, beispielsweise im Zusammenhang
mit demHitlergruss auf der Rütliwiese.
Man könnte mit vielen weiteren Darstel-
lungen belegen, dass die damaligen Befürch-
tungen unbegründet waren. Die Antirassis-
mus-Strafnorm war und bleibt unerlässlich.
Der Hauptgrund liegt nicht in unseren inter-
nationalen Verpflichtungen, auch wenn die-
se wichtig sind. Viel wichtiger ist die Norm,
weil sie uns alle schützt, Schweizerinnen und
Schweizer, Ausländerinnen und Ausländer,
Frauen undMänner jeglicher Herkunft, Gläu-
bige und Ungläubige. Sie ist ein unentbehr-
liches Instrument unseres Rechtsstaates, denn
sie setzt dieGrenze, jenseitswelcher dieMen-
schenwürde durch Taten und Worte verletzt
wird.
Artikel 261
bis
könnte vielleicht verbessert
oder gar verschärft werden. An Ideen man-
gelt es nicht. Doch heute geht es vor allem
um die Bestätigung, dass der Entscheid vom
25. September 1994 richtigundwichtigwar.