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20 anni
Kampagne zum20-Jahr-Jubiläumder EKR
Une campagnepour les 20ans de laCFR
Una campagnaper i 20anni dellaCFR
MicheleGalizia |20 Jahre «Rassismus» inder Schweiz
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6/2015
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TANGRAM 35
dung des Rassismusbegriffs auf die schwei-
zerische Gesellschaft. Verschiedene gesell-
schaftliche Lebensbereiche – Jugend, Gender,
Religion, Recht, Forschung, Medien, Arbeits-
welt –, spezifische Ausformungen von Rassis-
mus und die Sicht potentieller Opfer – Juden,
Farbige, «Zigeuner», Muslime – wurden nach
und nach thematisiert. Arbeitstagungen und
darauf aufbauende Themenausgaben des
neuen Publikationsorgans der Kommission,
dem
Tangram
, dientendazu, sichdifferenziert
mit den unterschiedlichen Ausformungen,
SensibilitätenundmöglichenPräventionsstra-
tegien auseinanderzusetzen: Juden undAnti-
semitismus, Muslime und Antiislamismus mit
demerstenAuftritt vonTarekRamadan inder
Deutschschweiz, Jenische, Manusch bzw. Fah-
rende – die damals auf ihrenWunsch hin im
Tangram
kämpferisch als «Zigeuner» bezeich-
netwurden.
Die Mehrheit der Kommission ging von
einem theoretischen, auf dem Entkolonisie-
rungsdiskurs beruhenden und kulturalistisch
erweiterten Rassismusbegriff aus. Es war er-
hellend, doch manchmal auch schmerzhaft,
von Vertreterinnen und Vertretern potentiel-
lerOpfergruppenzuerfahren,wie siedasabs-
trakteKonstrukt in ihremAlltagerlebtenund
was das für die Sensibilisierungsarbeit bedeu-
ten konnte und musste. Denkwürdig, als ein
Vertreterder Schwarzen sichvehementgegen
kulturalistische Rassismuskonzepte mit den
Wortenwandte: «WenndieKinder von Italie-
nern, SerbenundTürkenSchweizergeworden
sind, werdenmeine Kinder und Kindeskinder
immer noch schwarz sein.» Oder der Vertre-
ter der Jenischen, der nach einer längeren
Ausführung zur Ethnogenese der Jenischen
in den letzten zwei Jahrhunderten aufstand
und zu denWissenschaftlern gewandt mein-
te, wenn er sie recht verstehe, existiere er gar
nicht. Entlarvend aber auch die Reaktionen
der Kommissionsmitglieder, als bei der jährli-
20 Jahre «Rassismus» inder Schweiz
MicheleGalizia
Mit dem Abstimmungskampf zur Antiras-
sismus-Strafnorm fandder Begriff des Rassis-
mus Eingang indie sozialpolitischeAuseinan-
dersetzung inder SchweizerGesellschaft. Die
EidgenössischeKommissiongegenRassismus
trug mit ihren Diskussionen und Publikatio-
nen zur Vertiefung und Differenzierung des
Konzepts bei. Auf dieser Basis konnte die
Fachstelle für Rassismusbekämpfung ihre
pragmatische Sensibilisierungs- und Präven-
tionsarbeit aufbauen und ihre systematische
Monitoringberichterstattungentwickeln.
1994, mit der Abstimmung zur Antirassis-
mus-Strafnorm, fand der Begriff «Rassismus»
den Weg in die Schweiz. Auswertungen der
Medien zeigen es auf: Erst mit dem Abstim-
mungskampf wurde der Begriff auch in der
Schweiz systematisch zur Beschreibung hiesi-
ger gesellschaftlicher Zustände verwendet.
1995, nachAnnahmeder Strafnorm, konn-
te die Schweiz dem Internationalen Überein-
kommengegenRassismusCERDbeitreten.Mit
der Gründung der EKR verfügte sie erstmals
über eine staatliche Stelle, die «Rassismus»
im Namen trug und die Aufgabe hatte, die
schweizerische Gesellschaft systematisch un-
ter diesemGesichtspunkt zu beobachten und
zu analysieren. Zwar war der Begriff punktu-
ell schon in den sechziger Jahren gebraucht
worden, doch beschränkt als Kampfbegriff
gegendieAusgrenzungundErniedrigungder
arbeitenden, italienischen«Gäste».
Herantasten anein schwieriges
Phänomen
Das Besondere einer ausserparlamentari-
schenKommissionwie der EKR ist die Zusam-
menführung von Sensibilitäten, Engagement
und Fachwissen unterschiedlichster Prägung.
In den ersten Jahrenwidmeten sich die Kom-
missionsmitglieder engagiert und kontrovers
der systematischen Abklärung bzw. Anwen-