TANGRAM 35 Bulletin der EKR Juni 2015 - page 33

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20 Jahre
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Kampagne zum20-Jahr-Jubiläumder EKR
Une campagnepour les 20ans de laCFR
Una campagnaper i 20anni dellaCFR
MicheleGalizia |20 Jahre «Rassismus» inder Schweiz
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6/2015
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TANGRAM 35
ker noch immer die Überbringer schlechter
Nachrichten als Verursacher des Problems
oder zumindest Nestbeschmutzer. Doch ver-
fügt die Schweiz auf nationaler, kantonaler
und Gemeindeebene über immer tragfähige-
reStrukturen, gezielteundeffektivePräventi-
onsarbeit zu leisten.
Michele Galizia ist seit 2001 Leiter der Fachstelle für Ras-
sismusbekämpfung FRB. Von 1995 bis 2000war er verant-
wortlich für Forschung, Tagungen und Publikationen der
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Die FRB hat die wichtigsten Forschungsergebnisse des
NFP 40+ in kurzer, leicht lesbarer Form publiziert: «Stra-
tegien gegen Rechtsextremismus in der Schweiz» gibt
einen Überblick über die Forschungslage, und in zwei
Broschüren werden die wichtigsten Resultate von fünf
Projekten dargelegt: «Jugendliche und Rechtsextremis-
mus: Opfer, Täter, Aussteiger» und «Rechtsextremismus
bekämpfen:wirksameMassnahmenundgriffigeArbeits-
instrumente für Gemeinden».
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Bundesratsbeschluss vom27. Juni 2001.
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Der Bundesrat gabder FRBam22. August 2007denAuf-
trag zur Erarbeitung eines Instruments zur Erhebung
von rassistischen, antisemitischenundmuslimfeindlichen
Tendenzen in der Schweiz, mit dem Ziel, aussagekräfti-
ge Informationen zu rassistischen Einstellungen in der
Schweizer Bevölkerung, deren Ursachen sowie zur Wir-
kung von Integrations- und Antidiskriminierungsmass-
nahmen zuerhalten.
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«Übersicht und Handlungsfelder - Bericht der Fachstelle
für Rassismusbekämpfung 2012»; «Rassistische Diskrimi-
nierung inder Schweiz –Bericht der Fachstelle für Rassis-
musbekämpfung 2014».
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Kurzbericht «Zusammenleben inder Schweiz2010-2014»
Verbreitung und Entwicklung von Rassismus, Fremden-
feindlichkeit, Muslimfeindlichkeit und Judenfeindlich-
keit. Studie im Auftrag der Fachstelle für Rassismusbe-
kämpfung, Dezember 2014.
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Bundesratsbeschluss vom11. Februar 2015.
So stellt sich etwadie Frage, weshalb trotz
der Zunahme von aggressiven Äusserungen
gegenüber Jüdinnen und Juden im Sommer
2014 die kurz danach erfolgte telefonische
(Kontroll-)Umfrage keine erhöhtenWerte bei
denantisemitischenEinstellungenergab;oder
ob es nebenden «traditionellen»Ausprägun-
genneueFormendesAntisemitismusgibt, die
besser erfasstwerdenmüssen. BezüglichMus-
limfeindlichkeit legen die klar unterschiedli-
chen Einstellungen gegenüber Musliminnen
undMuslimen einerseits und gegenüber dem
Islam andererseits nahe, dass ein undifferen-
ziertes Konzept wie «Islamophobie» nicht
geeignet ist, die reale Lage zu erfassen. Auch
hier stellt sich die Frage nach geeigneteren
Analyseinstrumenten.
Eine wesentliche Erkenntnis aus der Pilot-
studie ist schliesslich, dass der Begriff «Rassis-
mus», wie er bisher diskutiert und verwendet
wurde, dieaktuellenPhänomenenicht (mehr)
zureichend zu erklären vermag. Erklärungs-
konzepte wie Autoritarismus, autoritärer
Charakter, politische Entfremdung oder Ano-
mie greifen zumindest für die Schweiz zu
kurz.Vielmehr scheinendieUrsachenvonRas-
sismus – verstanden als Stereotypisierungund
Entindividualisierung vonMenschen, dieman
als «fremd» erachtet, für minderwertig hält
und deshalb ausgrenzen darf – nicht allein
weltanschaulicher Natur zu sein. Es handelt
sich vielmehr um situativ zu interpretierende
Folgender sozialenVerhältnisse, der Einschät-
zung derMigrations- und Integrationspolitik,
aber auch der Präsenz von Diskriminierung
und Gewalt imAlltag. Auf dieser nun solide-
ren Grundlage werden FRB und EKR sowie
weitere Interessierte den Rassismusbegriff
alltagsnäher weiter vertiefen können. Denn
heute ist dieWahrnehmung von rassistischer
Diskriminierungals gesellschaftliches Problem
nicht mehr auf ein paar Aktive beschränkt.
Zwar betrachten einige Vogel-Strauss-Politi-
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