TANGRAM 35 Bulletin der EKR Juni 2015 - page 50

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StrafnormgegenRassendiskriminierung: unverzichtbar, aber ungenügend
Lanormepénale contre le racisme : indispensablemais insuffisante
Lanormapenale contro ladiscriminazione razziale: indispensabile,ma insufficiente
TANGRAM 35
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6/2015
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TarekNaguib undGiulia Reimann | 20 Jahre Rassismusstrafnorm – einBlick in die Rechtspraxis
straft wird der
Aufruf zu Hass
oder zur
Dis-
kriminierung
einer Gruppe (Abs. 1) sowie die
Verbreitung rassistischer Ideologien bzw. der
öffentliche rassistische Vorwurf eines gene-
rell unehrenhaftenVerhaltens (Abs. 2).
4
Straf-
bar ist bereits, wenn eine Propagandaaktion
nur geplant bzw. eine
systematische Vorbe-
reitungshandlung
begangen wird, mit dem
Ziel, zuHass oderDiskriminierungaufzurufen
oder eine rassistische Ideologie zu verbreiten
(Abs.3).
5
Strafbar ist des Weiteren die an ein
Individuum oder eine Gruppe gerichtete
Her-
absetzung
durchWort, Schrift,Bild,Gebärden,
Tätlichkeiten oder in anderer Weise (Abs. 4,
Halbsatz 1).
6
Nach Artikel 261
bis
StGB strafbar
ist auch die
diskriminierende Verweigerung
von Leistungen,
die für dieAllgemeinheit be-
stimmt sindwie etwaGüter, Dienstleistungen
und Mietangebote
7
(Abs. 5).
8
Verboten ist
schliesslich das
Leugnen, Verharmlosen oder
Rechtfertigen von Völkermord oder Verbre-
chen gegen dieMenschlichkeit
(Abs. 4, Halb-
satz 2).
9
Für die Beurteilung eines Vorfalles sind
nicht die tatsächlich verwendeten Ausdrücke
je für sich allein genommen entscheidend,
sondern die Aussage ist nach dem
Sinn
zu
würdigen, der sich aus dem
sozialen Gesamt-
kontext
ergibt.
10
Dabei sind die Äusserungen
aus der Sicht
unbefangener Durchschnitts-
adressaten
unter den konkreten Umständen
zu beurteilen.
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Strafbar sind sodann nur
Handlungen, die
öffentlich
erfolgen.
Wo liegendie zentralen
Problemstellungen?
Während der gut 20 Jahre war die Straf-
norm
von verschiedensten Seiten in der Kri-
tik.
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Vier Fragestellungen sind im Zentrum:
die erste betrifft das Verhältnis zwischen der
Meinungsäusserungsfreiheit und dem Schutz
vor Diskriminierung. Des Weiteren stellt sich
die Frage der Abgrenzung einer nach Artikel
Für Menschen, die von Rassismus betrof-
fen sind, ist die Rassismusstrafnormwichtig,
weil sieUnrechtbenennt. Interessenorganisa-
tionenunddieStrafrechtswissenschaft sehen
in ihr einen Beitrag zur Stärkung antirassisti-
scher Werte. Allerdings hat sie auch Schwä-
chen:DieDurchsetzung istnichtdurchgehend
gewährleistet, einzelne Rechtsfragenmüssen
noch geklärt werden. Die Staatsanwaltschaf-
ten und Gerichte entscheiden nicht in allen
Fragen einheitlich. Zudem kann mit dem
Strafrecht struktureller Rassismus nur unge-
nügenderfasstwerden.
Worin liegt der Zweckder Strafnorm?
Das primär geschützteRechtsgut der Straf-
norm ist dieMenschenwürde.
1
Siegehört zum
Kerngehalt der Grund- undMenschenrechte.
2
Unter Strafe steht jede Handlung, mit der
öffentlich gesagt wird, dass Menschen nicht
gleichberechtigt sind, weil sie als Fremde
wahrgenommen werden. Dies gilt unabhän-
gigdavon, obderAngriffdirektoder lediglich
mittelbar über das Kollektiv erfolgt. In zwei-
ter Linie soll durchArtikel 261
bis
StGBauchder
öffentliche Frieden
geschütztwerden.
3
Artikel 261
bis
StGB hat einerseits eine
re-
pressive Funktion,
indemer strafbares rassisti-
sches Verhalten sanktioniert. Andererseits soll
er auch
präventiv
wirken. Sodannhat dieRas-
sismusstrafnorm s
ymbolischen
Charakter. Sie
soll Unrechtserfahrung anerkennen und dazu
beitragen, dasmenschenrechtlicheundgrund-
rechtliche Prinzip der Nichtdiskriminierung als
gesellschaftlichenWert zu stabilisieren.
WelcheArt vonRassismus verbietet
dieStrafnorm?
Nicht jede Ausprägung des Rassismus ist
strafrechtlich verboten. Die Strafnorm be-
schränkt sich auf eine Reihe von typischen,
krassen
Formen von
Diskriminierungen auf-
grund von «Rasse, Ethnie oder Religion».
Be-
20 JahreRassismusstrafnorm –
einBlick indieRechtspraxis
BewährterMosaikstein zwischenHoffnungsträger und Feindbild
TarekNaguibundGiuliaReimann
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