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20 Jahre
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20ans
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20 anni
StrafnormgegenRassendiskriminierung: unverzichtbar, aber ungenügend
Lanormepénale contre le racisme : indispensablemais insuffisante
Lanormapenale contro ladiscriminazione razziale: indispensabile,
ma insufficiente
TarekNaguib undGiulia Reimann | 20 Jahre Rassismusstrafnorm – einBlick in die Rechtspraxis
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6/2015
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TANGRAM35
gesamt Breite die Aussage «Kosovaren schlit-
zen Schweizer auf».
Direkt darüber steht inkleiner Schrift «Das
sind die Folgen der unkontrolliertenMassen-
einwanderung». Zur bildlichen Untermau-
erung der Bedrohung von aussen befinden
sich unter dem Schriftzug grosse, schwarz
gekleidete Beine, die über einenmitweissem
Schweizerkreuzmarkierten rotenBodenbelag
herein schreiten. Darunter steht dieAufforde-
rung«Masseneinwanderungstoppen!».Rechts
vom Bild findet sich in sehr kleiner Schrift die
längere Beschreibung eines Messerangriffes
von zwei Kosovaren gegen die «Schwinger-
Freunde»RolandG. (38) undKari Z. (45).
Bei genauemHinsehen und Lesen könnte
der Eindruck entstehen, dass mit dem Plakat
vor allemdie beschriebenenVorfälle unddie
Kriminalität kritisiert werden sollten. Wäre
dem so, hättemitBlickaufdiedemokratische
Funktion die Meinungsäusserungsfreiheit
Vorrang. Allerdings zeigt sich die Wahrneh-
mungweitausweniger differenziert. Sower-
den Kosovaren mittels heftiger Sprache in
grossen Buchstaben pauschal in die Ecke der
Kriminalität gerückt («Kosovaren schlitzen
Schweizer auf»). Auf dieseWeise erscheinen
sie in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit
zwangsläufig als grundsätzlich problemati-
scheGruppe, gegen die etwas getanwerden
müsse. Daher ist es richtig, dass die Einzel-
richterin die angeklagten SVP-Kader im Ur-
teil vom 30. April 2015 schuldig sprach. (Das
schriftlicheUrteil standbei Redaktionsschluss
noch aus.)
Wann ist eine rassistischeHandlung
öffentlich?
Eine zentrale Voraussetzung für die Straf-
barkeit gemäss Rassismusstrafnorm ist, dass
die rassistischeHandlung
öffentlich
begangen
wird. Seit einem wegweisenden Urteil des
261
bis
StGB nicht strafbaren
privaten
rassisti-
schen Handlung von einer
öffentlichen
Straf-
tat. Ferner ist zu klären, welcheGruppen von
der Strafnormgeschützt sind, d.h. aufwelche
Gruppen ein Angriff erfolgenmuss, damit er
als rassendiskriminierend im Sinne der Straf-
norm gilt. Schliesslich ist der grundsätzlichen
Fragenachzugehen,wiedie Strafnormumge-
setzt wird, ob sie wirksam ist bzw. was eine
Strafnormunddas Recht insgesamt imKampf
gegenRassismus überhaupt leistenkönnen.
Wieweit geht dieMeinungsäusserungs-
freiheit?
Bei der Anwendung der Rassismusstraf-
norm muss die
Meinungsäusserungsfreiheit
respektiert werden. Sie dient dem ungehin-
derten Fluss von Informationen undMeinun-
gen. Insbesondere impolitischenDiskurswird
ihr einhohesGewicht verliehen
13
.Meinungen
dürfen irritieren, provozierenund stören. Ver-
einfachungen und Übertreibungen
14
, ja gar
Generalisierungen, die Personengruppen in
ein negatives Licht rücken
15
, sindmöglich, so-
weit sie von durchschnittlichen Dritten ohne
Schwierigkeiten als solche erkannt werden
können und nicht hetzerisch wirken
16
. Eine
rassistische Äusserung soll erst dann sanktio-
niert werden, wenn durch sie erkennbar zu
rassistischer Gewalt, Hass oder Diskriminie-
rungaufgerufenoder Vorbereitungshandlun-
gen zu solchen Handlungen vorgenommen
werden. Eine Einschränkung der Meinungs-
äusserungsfreiheit ist zudem zulässig, wenn
ein Individuum in seiner Persönlichkeit bzw.
Integrität verletztwird.
17
Ein aktuelles Beispiel steht im Zusammen-
hang mit dem Abstimmungskampf über die
Masseneinwanderungsinitiative. Das Regio-
nalgericht Bern-MittellandhatteeinPlakat zu
beurteilen, das bereits imVorfeldder Abstim-
mungskampagne in einzelnen Printmedien
erschienen war. Das Inserat enthält über die