TANGRAM 35 Bulletin der EKR Juni 2015 - page 53

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20 Jahre
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20ans
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20 anni
StrafnormgegenRassendiskriminierung: unverzichtbar, aber ungenügend
Lanormepénale contre le racisme : indispensablemais insuffisante
Lanormapenale contro ladiscriminazione razziale: indispensabile,
ma insufficiente
TarekNaguib undGiulia Reimann | 20 Jahre Rassismusstrafnorm – einBlick in die Rechtspraxis
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6/2015
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TANGRAM35
eher bereit, sich als gleichwertige Mitglieder
der Gesellschaft andieser zubeteiligen.
Voraussetzung für die Relevanz der Straf-
norm ist jedoch, dass Verstösse bis zu einem
gewissen Grad auch sanktioniert werden.
Insgesamt betrachtet, haben
die
Strafuntersuchungsbe-
hörden gute Arbeit geleistet.
Allerdings gibt es eine Reihe
von Gründen (z. B. fehlendes
Interesse, mangelnde Res-
sourcen), die dazu führen,
dass Rechtsverstösse nicht
adäquat untersucht werden
bzw. Verfahren gar nicht ein-
geleitet werden. Neben möglichem Fehlver-
haltender Strafuntersuchungsbehördenman-
gelt es bei den Betroffenen an genügender
Kenntnis über den Verfahrensablauf. Zudem
besteht trotzdeman sicheinfachenVerfahren
einungünstigesVerhältnis vonAufwandbzw.
Risiken, dieein Strafverfahrenmit sichbringt,
und dem Nutzen daraus
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. Das Anzeigever-
halten in der Bevölkerung liegt mutmasslich
tief. Ferner können sich viele keinen Anwalt
leisten. Auch bestehen bei den Betroffenen
Ängste, sichmit einerAnzeige zuexponieren.
Häufig sind sodann prozessuale Hindernisse:
WährendAnzeigenvonalleneingereichtwer-
dendürfen, braucht es für dieBeteiligungam
Strafverfahren, insbesondere am Weiterzug
eines Urteils, die Geschädigtenstellung des
Beschwerdeführers. Dies ist vielfach nicht der
Fall.
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Ausreichende Beweise sindnicht immer
einfach zu erbringen, insbesondere bei mut-
masslichen Verstössen wegen diskriminieren-
der Verweigerungeiner öffentlichen Leistung
(z.B. bei der Ablehnung des Zutritts in eine
Diskothek).
Wieweitermit der Strafnorm?
DieAusführungenhabengezeigt, dass sich
dieAnwendungder Strafnorm trotz verschie-
rechtswissenschaftlichen Literatur geht davon
aus, dass solche Bezeichnungen auch unter
Artikel 261
bis
StGB fallen, wenn sie als Sam-
melbegriff für verschiedene Ethnien, Rassen
oder Religionen verwendetwerden.
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Wiewirddie Strafnorm
umgesetzt?
TrotzeinerbeachtlichenAn-
zahl an Rechtsfällen – die EKR
hat in Ihrer Urteilssammlung
seit 1995 665 Rechtsverfahren
dokumentiert – zeigen sich
bedeutende Schwierigkeiten
in der Umsetzung von Artikel
261
bis
StGB. Zwei zentraleProb-
leme sind die
mangelhafte Abschreckungswir-
kung
sowiedie
HürdenunddieZurückhaltung
bei derDurchsetzung
derVerbote
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.
Oft wird vorgebracht, Artikel 261
bis
StGB
nütze überhaupt nichts, Rassismus bestehe
nach wie vor. Bezeichnenderweise wird ein
solches Argument nie in Zusammenhang mit
dem Verbot von Diebstahl gebracht, welches
indieser Hinsicht noch viel weniger präventiv
wirkt als die Rassismusstrafnorm. Allerdings
hat auchdie kriminologische Forschung Skep-
sis gegenüber der Abschreckungswirkung
von Strafnormen geäussert. Immerhinwissen
wir, dass im Zuge der ersten Verfahren ge-
gen Holocaustleugner in den 1990er-Jahren
das öffentliche Leugnen, Verharmlosen oder
Rechtfertigen des Holocaust eingedämmt
wurde. Ob dies überhaupt auf die Strafnorm
zurückzuführen ist und inwieweit dies auch
für andere Tatbestände gilt, bleibe dahinge-
stellt.Hingegen leistetbereitsdieExistenzder
Rassismusstrafnorm einen gewichtigen Bei-
trag im Kampf gegen Rassendiskriminierung.
Den von Rassismus Betroffenen wird signali-
siert, dass das Unrecht als solches anerkannt
wirdund ingewissemMasseeinAusgleichder
Tat stattfindet. Dadurch sind viele Betroffene
Es bestehenbei
denBetroffenen
Ängste, sichmit
einer Anzeige zu
exponieren.
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