Caso 2015-028N

Judenkostüm vor dem FC St. Gallen Match

San Gallo

Cronistoria della procedura
2015 2015-028N Die zuständige Strafverfolgungsbehörde tritt auf die Strafsache nicht ein.
Criteri di ricerca giuridici
Autorità/Istanza Autorità preposta al perseguimento penale
Atto / Fattispecie oggettiva Discredito o discriminazione (4° comma 1ª metà)
Oggetto della protezione
Domande specifiche sulla fattispecie Bene giuridico protetto;
Fattispecie soggettiva
Parole chiave
Autori Persone private
Vittime Ebrei
Mezzi utilizzati Gesti;
Altri mezzi utilizzati
Contesto sociale Luoghi pubblici;
Tempo libero / Sport
Ideologia Nessuna indicazione sull'ideologia

Sintesi

In St. Gallen fand während der Fasnachtszeit ein Spiel zwischen dem FC Luzern und dem FC St. Gallen statt. Viele FCL-Fans reisten verkleidet an (vorwiegend mit blau-weissen Perücken). Einer der Fans, der Beschuldigte, war als Jude verkleidet. Auf dem Weg vom Bahnhof bis zum Fussballstadion lief dieser der FCL-Fan-Truppe voraus. Mehrmals deutete ein FCL-Fan an, den Beschuldigten mit einer Stange schlagen zu wollen. Der Beschuldigte begann ausserdem zu tanzen, während die FCL-Fans hinter ihm sangen: „Und sie werden fallen, die Juden aus St. Gallen“. In der polizeilichen Befragung gab der Beschuldigte an, das Kostüm getragen zu haben, um das Klischee der St. Galler-Fans, welche schweizweit als Juden bezeichnet würden, darzustellen. Die Aktion des Stangenträgers sei nicht mit ihm abgesprochen gewesen (dies erachtet die Strafverfolgungsbehörde als glaubhaft). Er habe nicht damit gerechnet, dass die Aktion ein so grosses Medienecho hervorrufen würde (die Strafverfolgungsbehörde erachtet die Darstellung des Vorfalls in den Medien, es sei ein als Jude verkleideter Mann von den Luzerner Fans durch die Strassen getrieben worden, übrigens als offensichtlich falsch). Der Beschuldigte hat sich dann auch mit einem anonymen Schreiben an den Israelischen Gemeindebund entschuldigt.
Die Strafverfolgungsbehörde hält fest: Das Verhalten des Beschuldigten richtete sich nicht gegen Juden, sondern gegen St. Galler Fans. Sie und nicht die Juden sollten unmittelbar provoziert und beleidigt werden. Zu prüfen ist allerdings, ob sich die Aktion mittelbar in diskriminierender Weise gegen die Juden richtete und ob der Beschuldigte vorsätzlich handelte.
Gemäss der Strafverfolgungsbehörde ist die Bezeichnung der St. Galler Fans als „Juden“ für sich allein nicht diskriminierend. Sie prüft weiter, ob Rassendiskriminierung vorliegt, wenn sich jemand als Jude kostümiert und so benimmt, wie der Beschuldigte dies getan hat. Dabei kommt sie zum Schluss, die Kostümierung und das Verhalten des Beschuldigten hätten nicht zum Zweck gehabt, den Juden ihre Qualität als Menschen schlechthin abzusprechen. Das Verhalten des Stockschlägers sei dem Beschuldigten nicht anzurechnen. Auch im Gesamtkontext des Sprechtextes „Und sie werden fallen, die Juden aus St. Gallen“ erschiene das Verhalten des Beschuldigten nicht als diskriminierend. Dieser solle insgesamt die Hoffnung, dass der FC Luzern den FC St. Gallen besiegen werde, ausdrücken. Der Begriff „Juden“ sei als Synonym für St. Galler verwendet worden. Die Grenze einer strafbaren Diskriminierung der Juden im Sinn von Art. 261bis StGB wurde damit gemäss der Strafverfolgungsbehörde nicht erreicht.

In fatto

In St. Gallen fand ein Spiel zwischen dem FC Luzern und dem FC St. Gallen statt. Da dieser Match in die Fasnachtszeit fiel, reisten viele FCL-Fans verkleidet an (vorwiegend mit blau-weissen Perücken). Einer der Fans, der Beschuldigte, war als Jude verkleidet. Er trug ein Jackett, einen Hut mit Schläfenlocken, einen schwarzen Bart und eine Plastiknase mit Brille. Ebenfalls trug er um den Hals eine Kette mit einem Dollar-Zeichen sowie einen FCSG-Schal. Auf dem Weg vom Bahnhof bis zum Fussballstadion lief der Beschuldigte der FCL-Fan-Truppe voraus und grüsste Passanten. Mehrmals löste sich vom Beschuldigten unbemerkt ein FCL-Fan aus dem Fanwalk heraus und deutete an, den Beschuldigten mit einer Stange schlagen zu wollen. Der Beschuldigte drehte sich jeweils um, woraufhin der Mann mit der Stange von seinem Tun abliess.
Der Beschuldigte begann ausserdem zu tanzen, während die FCL-Fans hinter ihm sangen: „Und sie werden fallen, die Juden aus St. Gallen“. Danach verbeugte er sich vor den Luzerner Fans und zeigte den St. Galler Fans seine Locken. Die FCL-Fans skandierten nun: „Scheiss-St. Gallen, Scheiss St. Gallen“.
Noch vor der Eingangskontrolle legte der Beschuldigte das Kostüm ab. In der polizeilichen Befragung gab er an, er habe das Kostüm schon am Vorabend an der Luzerner Fasnacht getragen. Weil die St. Galler-Fans schweizweit als Juden bezeichnet würden, habe er die Verkleidung vor dem Fussballspiel getragen, um das Klischee der St. Galler-Fans darzustellen. Woher das Klischee komme, wisse er nicht. Das habe für ihn auch keine besondere Bedeutung. Die Aktion des Stangenträgers sei nicht mit ihm abgesprochen gewesen (dies erachtet die Strafverfolgungsbehörde als glaubhaft, da sich der Beschuldigte nicht wie ein getriebener Mann verhalten habe, sondern vielmehr in der Art eines stolzen Anführers an der Spitze des Fanwalks marschiert sei). Er habe nicht damit gerechnet, dass die Aktion ein so grosses Medienecho hervorrufen würde (die Strafverfolgungsbehörde erachtet die Darstellung des Vorfalls in den Medien, es sei ein als Jude verkleideter Mann von den Luzerner Fans durch die Strassen getrieben worden, übrigens als offensichtlich falsch). Der Beschuldigte hat sich dann auch mit einem anonymen Schreiben an den Israelischen Gemeindebund entschuldigt.

In diritto

Gemäss der Strafverfolgungsbehörde richtete sich das Verhalten des Beschuldigten nicht gegen Juden, sondern gegen St. Galler Fans. Sie und nicht die Juden hätten unmittelbar provoziert und beleidigt werden sollen. Zu prüfen sei allerdings, ob sich die Aktion mittelbar in diskriminierender Weise gegen die Juden gerichtet habe und ob das von den Betroffenen beabsichtigt gewesen sei oder zumindest in Kauf genommen wurde (Rassendiskriminierung ist ein Vorsatzdelikt). Die Strafverfolgungsbehörde prüft, ob die Bezeichnung der St. Galler Fans als „Juden“ für sich allein diskriminierend ist und kommt zum Schluss, dass dies nicht nachgewiesen werden könne. In einem nächsten Schritt prüft sie, ob Rassendiskriminierung vorliegt, wenn sich jemand als Jude kostümiert und so benimmt, wie der Beschuldigte dies getan hat. Die Kostümierung und das Verhalten wären nur strafbar, wenn sie zum Zweck hätten, den Juden ihre Qualität als Menschen schlechthin abzusprechen (so das Bundesgericht in BGer 6P 132/1999). In vorliegendem Fall hatte das theatralische Verhalten des Beschuldigten nicht annäherungsweise eine Qualität gehabt, welche den Juden ihre Existenzberechtigung absprechen würde, so die Strafverfolgungsbehörde, gerade auch, da er nichts mit dem Stockschläger zu tun hatte. Das Verhalten dessen könne dem Beschuldigten nicht zugerechnet werden. Weiter müsse das Tragen der Kette mit einem Dollarzeichen nicht als Anspielung auf Geldgier oder Geiz missverstanden werden, da solche Ketten üblicherweise von erfolgreichen Rappern getragen würden und dort einen positiv verstandenen Reichtum signalisierten (Verweis auf EKR-Urteil 2003-28N). Ausserdem habe der Beschuldigte nicht die Absicht gehabt, ein solches Klischee zu bedienen. Ein deutlich anderes Bild würde sich ergeben, wenn sich der Beschuldigte tatsächlich durch die Strassen hätte treiben lassen und damit das Bild vermittelt hätte, dass man Juden vertreiben oder misshandeln solle. Dies sei aber nicht der Fall. Schliesslich prüft die Strafverfolgungsbehörde, ob das Verhalten des Beschuldigten im Gesamtkontext des Sprechtextes „Und sie werden fallen, die Juden aus St. Gallen“, welcher von Luzerner Fans gegenüber St. Galler Fans seit längerer Zeit verwendet wird, anders zu beurteilen ist. Mit dem Sprechtext sei gemeint, die St. Galler müssten fallen, wie die Juden im zweiten Weltkrieg, weil ihnen die Existenzberechtigung abzusprechen sei. Er solle insgesamt die Hoffnung, dass der FC Luzern den FC St. Gallen besiegen werde, ausdrücken. Der Begriff „Juden“ sei hier als Synonym für St. Galler verwendet worden. Die Grenze einer strafbaren Diskriminierung der Juden im Sinn von Art. 261bis StGB wurde damit laut Strafverfolgungsbehörde nicht erreicht. Der einzige offensichtliche und beabsichtigte Bezug zwischen dem gesungenen Lied und der Aktion des Beschuldigten sei die Verwendung des Begriffs „Juden“ als Synonym für die St. Galler Fans. Auch im Gesamtkontext könne nicht behauptet werden, die ganze Aktion habe sich mittelbar auch gegen die Juden gerichtet und ihnen die Existenzberechtigung abgesprochen; erst recht sei der Nachweis nicht zu erbringen, dass dies dem Beschuldigten klar gewesen wäre und dass er einen solchen Sinn der Aktion gebilligt hätte. Insgesamt kommt die Strafverfolgungsbehörde also zum Schluss, dass das Verhalten des Beschuldigten den Tatbestand der Rassendiskriminierung nicht erfüllt.

Decisione

Die zuständige Strafverfolgungsbehörde tritt auf die Strafsache nicht ein (Nichtanhandnahmeverfügung). Die Kosten des Ermittlungsverfahrens in Höhe von CHF 400.00 trägt der Beschuldigte, die Entscheidgebühr geht zu Lasten des Staates.