Fall 2010-024N
Basel-Stadt
Verfahrensgeschichte | ||
---|---|---|
2010 | 2010-024N | Die 1. Instanz verurteilt den Angeklagten. |
Juristische Suchbegriffe | |
---|---|
Tathandlung / Objektiver Tatbestand | Verbreiten von Ideologien (Abs. 2); Leugnung von Völkermord (Abs. 4 Hälfte 2) |
Schutzobjekt | Schutzobjekt allgemein |
Spezialfragen zum Tatbestand | keine |
Stichwörter | |
---|---|
Tätergruppen | Politische Akteure |
Opfergruppen | Juden |
Tatmittel | Schrift |
Gesellschaftliches Umfeld | Medien (inkl. Internet) |
Ideologie | Antisemitismus; Revisionismus |
Der Angeklagte ist Vorstandsvorsitzender der Partei X und veröffentlichte auf der parteieigenen Internetseite einen Artikel unter dem Titel «Die Lügen um Anne Frank». Darin stellte er die Echtheit des Tagebuchs in Frage, bezeichnete es als «auf einem Lügengebilde» basierend und insinuierte, dass wenn der Holocaust tatsächlich stattgefunden hätte, dieses Geschick auch Anne Frank und ihrer Familie hätte widerfahren müssen. Des weiteren erwähnte er, das traurige Schicksal eines Mädchens eigne sich wie kein zweites zur «Holocaus-Indoktrination junger, unbedarfter Kinder» und unterstellte damit, beim Holocaust handle es sich um eine gezielte Manipulation von Menschen, nicht aber um eine historisch belegte Tatsache.
Das Gericht erklärt den Angeklagten wegen gröblicher Verharmlosung von Völkermord und Verbreiten von Ideologien, die auf die systematische Verleumdung von Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet waren, gemäss Art. 261bis Abs. 2 und Abs. 4 StGB für schuldig. Er wird zu einer unbedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je CHF 120.00 verurteilt.
Der Angeklagte ist Vorstandsvorsitzender der Partei X und veröffentlichte auf der parteieigenen Internetseite unter dem Titel «Die Lügen um Anne Frank» einen Artikel folgenden Wortlauts:
«In Birsfelden gibt es nun einen Anne-Frank-Platz», schön und gut für Birsfelden. Doch basiert das Tagebuch von ihr auf einem Lügengebilde.
Anne Frank wurde im September 1944 nach Auschwitz deportiert, aber bereits einen Monat später wegen der herannahenden Ostfront nach Bergen-Belsen evakuiert. Dort verschlechterten sich die Versorgungsverhältnisse dramatisch, was insbesondere auf die Bombardierung ziviler Ziele durch die Alliierten «Befreier» zurückzuführen ist. So schrecklich das Schicksal der Anne Frank auch gewesen sein mag, eine Frage muss dennoch gestellt werden: Wenn, wie so oft betont wird, Juden nach Auschwitz gebracht wurden, um dort möglichst schnell und effizient ermordet zu werden, warum wurde Anne Frank mitsamt ihrer Familie nach Bergen-Belsen evakuiert? (Immerhin eine Distanz von über 800 Kilometern). Medien und Historiker weichen auf solche unangenehmen Fragen gerne aus und ziehen es stattdessen vor, das Tagebuch der Anne Frank plakativ als «Symbol und Dokument für den Völkermord an den Juden» (Fischer Taschenbuch-Verlag) hinzustellen. Dieses Buch ist seit Jahrzehnten Pflichtlektüre für so ziemlich jeden Schüler der westlichen Welt. Denn das traurige Schicksal eines Mädchens eignet sich wie kein zweites zur Holocaust-Indoktrination junger, unbedarfter Kinder.
Die beiden unterschiedlichen Handschriften im Original lassen vermuten, dass dieses Machwerk genauso authentisch ist, wie die Tagebücher von Adolf Hitler. 1980 wurde das Manuskript des Tagebuchs der Anne Frank in einem Labor des Bundeskriminalamtes (BKA) untersucht. Das Ergebnis sorgte für ziemliche Aufregung, denn laut BKA waren einige Passagen «mittels schwarzer, grüner und blauer Kugelschreiberpaste niedergeschrieben». Der Spiegel (Nr. 41/1980) berichtete über den Befund des BKA und folgerte, die Echtheit des Tagebuches sei fraglich, denn der Kugelschreiber wurde erst 1951 erfunden.
Genauso wie andere Lügen über Deutschland in der Zeit von 1933-1945, ist auch das Tagebuch der Anne Frank eine geschichtliche Lüge!"
Das Gericht hält fest, dass der Angeklagte mit der Behauptung, die schlechten Versorgungsverhältnisse in Bergen-Belsen seien von den Alliierten verschuldet gewesen und die Nationalsozialisten hätten die Häftlinge wegen der herannahenden Ostfront aus dem Lager Auschwitz «evakuiert», die Absichten der Nationalsozialisten auf groteske Weise verkehre und die Alliierten als Gefahr für die in Auschwitz gefangenen Juden darstelle, vor welcher sie durch die Nationalsozialisten in Sicherheit gebracht worden seien. Die Darstellung des Angeklagten stelle zweifellos eine gröbliche Verharmlosung des systematischen Massenmordes der Nationalsozialisten an den Juden dar. Der publizierte Text verstosse damit gegen Art. 261bis Abs. 4 StGB.
Der Angeklagte habe mit seinen Behauptungen nicht nur die systematische Ermordung der Juden in Nazi-Deutschland geleugnet, sondern insbesondere den Angehörigen von Anne Frank die Fälschung eines Tagebuchs unterstellt, das seither angeblich der «Holocaus-Indoktrination» diene. Das Gericht erklärt, das Tagebuch der Anne Frank sei Symbol für das Schicksal von Millionen von Juden im zweiten Weltkrieg. Indem der Angeklagte die Echtheit des Buches anzweifle und im gleichen Artikel behaupte, es sei den Nationalsozialisten offenbar nicht um die möglichst effiziente Vernichtung der Juden gegangen, so bezichtige er die Juden im Allgemeinen und die Angehörigen von Anne Frank im Speziellen der Geschichtsfälschung. Durch diese Verleumdung unter Nennung pseudowissenschaftlicher Scheinargumente (so habe beispielsweise die BKA bereits 2006 festgestellt, dass das Gutachten von 1980 keine Zweifel an der Echtheit der Anne Frank-Tagebücher begründe und dass es sich bei den Zusatzaufschriften mit Kugelschreiber um Anmerkungen eines späteren Bearbeiters handle) habe der Angeklagte auch den Tatbestand von Art. 261bis Abs. 2 StGB erfüllt.
Die schriftlichen Äusserungen des Angeklagten seien im gleichen Artikel erfolgt und als eine einzige, auf demselben Willensentschluss basierende Handlung zu betrachten, weshalb das Gericht keinen Schuldspruch wegen mehrfacher Rassendiskriminierung erlasse.
Das Verschulden des Angeklagten wiege nicht leicht. So habe er sich bezüglich der strafrechtlichen Relevanz des Artikels völlig uneinsichtig gezeigt, und der Text habe sich zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch immer auf der Internetseite befunden. Auch habe er in einer polizeilichen Befragung im Jahr 2006 schon bekannt, er fühle sich «dem dritten Reich zugeneigt». Es müsse ihm daher eine schlechte Legalprognose gestellt werden, weshalb der bedingte Strafvollzug ausser Betracht falle.
Das Gericht erklärt den Angeklagten wegen gröblicher Verharmlosung von Völkermord und Verbreiten von Ideologien, die auf die systematische Verleumdung von Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion gerichtet waren, gemäss Art. 261bis Abs. 2 und Abs. 4 StGB für schuldig. Er wird zu einer unbedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je CHF 120.00 verurteilt.