Fall 2000-003N
St. Gallen
Verfahrensgeschichte | ||
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2000 | 2000-003N | Die zuständige Strafverfolgungsbehörde tritt auf die Strafanzeige nicht ein. |
Juristische Suchbegriffe | |
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Tathandlung / Objektiver Tatbestand | Aufruf zu Hass und Diskriminierung (Abs. 1); Herabsetzung oder Diskriminierung (Abs. 4 Hälfte 1) |
Schutzobjekt | keine Ausführungen zum Schutzobjekt |
Spezialfragen zum Tatbestand | Öffentlichkeit |
Stichwörter | |
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Tätergruppen | Politische Akteure |
Opfergruppen | Weitere Opfergruppe |
Tatmittel | Schrift |
Gesellschaftliches Umfeld | Vereine / Verbände / Organisationen |
Ideologie | Weitere Ideologien |
Eine politische «Bewegung» fordert mit einem Flugblatt den Erhalt des alemannischen Lebensraumes und einer alemannischen Schweiz und lehnt die lateinischsprachigen Landesteile der Schweiz ab.
Die Strafverfolgungsbehörde konnte keine strafrechtliche Herabsetzung oder Diskriminierung der lateinischsprachigen Bevölkerung der Schweiz im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 Hälfte 1 StGB erkennen. Ein Aufruf zu Hass liege ebenfalls nicht vor, weil das fragliche Flugblatt nur strafrechtlich nicht relevante ablehnende Gefühle zum Ausdruck bringe. Es erhebt keine Strafuntersuchung gegen die drei Angeschuldigten und tritt auf die Strafanzeige nicht ein.
Die drei angeschuldigten Personen sind Vorstandsmitglieder einer politischen «Bewegung», die im ganzen ca. 20 Mitglieder umfasst. Die Ziele dieser Bewegung seien u.a. die Bekämpfung der massiven Überfremdung, soziale Aspekte, der Umweltschutz, die Erhaltung der Kultur der Schweiz etc.
In Zusammenhang einer Informations- und Propagandakampagne der politischen Gruppierung wurden im November 1999 Flugblätter in Briefkästen von Schweizern und unter Scheibenwischer von Autos verteilt. Die drei Angeschuldigten hatten die Idee zu diesem Flugblatt und organisierten dessen Versand. Der Text des Flugblattes lautete:
«Die multiethnische Schweiz bekämpfen - den alemannischen Lebensraum erhalten
Die arrogante Behauptung von Angehörigen der lateinischen Volksgruppen, die alemannische Schweiz benötige die Romandie und das Tessin oder sei gar auf sie angewiesen, entbehrt jeder historischen oder kulturellen Grundlage. Denn Einflüsse von Volksgruppen, deren Mentalität sich so grundlegend von der unseren unterscheidet, schaden nur der ethnischen Integrität unseres Volkes. Darum lehnen wir dieses künstliche Gebilde mit den vier Sprachen und Kulturen entschieden ab. Stattdessen kämpfen wir für ein Volk in einer Heimat als einzige Alternative. Nur diese garantiert das Weiterleben unseres Volkes in Grenzen, die sich streng an den Sprach- und somit Lebensräumen der Volksgruppen zu orientieren haben.
Volksstaat JA Willensnation NEIN
Kämpfen Sie mit uns für die Wahrnehmung der alemannischen Überlebensinteressen!
Name: ............ Vorname: ............... Adresse: ...............
Einsenden an: [Bewegung X]"
Die Strafverfolgungsbehörde bejaht hier eindeutig das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung der öffentlichen Tatbegehung. Indem das Flugblatt in unbestimmt vielen, zufällig ausgewählten Briefkästen sowie an verschiedenen, ebenfalls zufällig ausgewählten Autoscheiben verteilt wurde, sei das Merkmal der Öffentlichkeit zweifellos gegeben. (E.3)
Sie verneint hingegen die Anwendung von Abs. 1 auf den hier vorliegenden Fall. «Hass» im Sinne von Abs. 1 wird definiert als das Entfachen einer emotional gesteigerten Feindschaft und Verachtung. Das Lebensrecht von Einzelnen oder von Gruppen in der Gesellschaft muss kategorisch und hasserfüllt bestritten werden. Somit seien ablehnende Gefühle noch kein Hass im Sinne von Abs. 1. Die Strafverfolgungsbehörde ist der Meinung, dass hier noch kein strafrechtlich relevanter Hass gegen die lateinischen Schweiz vorliege, sondern dass lediglich eine deutschsprachige Schweiz proklamiert werde.
Die Strafverfolgungsbehörde erachtet Abs. 4 Hälfte 1 als ebenfalls nicht erfüllt an, weil weder von Diskriminierung noch von Herabsetzung gesprochen werden kann, da die Angehörigen der lateinischen Schweiz durch die im Flugblatt getätigten Äusserungen in ihrer Menschenwürde nicht beeinträchtigt worden seien.
Die Strafverfolgungsbehörde eröffnet keine Strafuntersuchung gegen die drei Angeschuldigten, da der Tatbestand von Art. 261bis StGB bereits in objektiver Hinsicht nicht erfüllt ist.
Nichteintreten auf die Strafanzeige.