Cas 2003-002N

Flugblätter bezeichnen die chinesische Besetzung Tibets als «friedliche Befreiung» und Demokratisierung

Zurich

Historique de la procédure
2003 2003-002N Die zuständige Strafuntersuchungsbehörde stellt das Strafverfahren ein.
Critères de recherche juridiques
Acte / Eléments constitutifs objectifs Négation d'un génocide (al. 4 2ème phrase)
Objet de protection
Questions spécifiques sur l'élément constitutif Publiquement (en public);
Elément constitutif subjectif de l'infraction
Mots-clés
Auteurs Acteurs collectifs
Victimes Autres victimes
Moyens utilisés Ecrits
Environnement social Lieux publics
Idéologie Autres idéologies

Synthèse

Der Angeschuldigte, ein in der Schweiz lebender chinesischer Staatsangehöriger, wurde gestützt auf Art. 261bis Abs. 4 Hälfte 2 StGB angezeigt wegen Publikationen die er öffentlich an einem Stand aufgelegt hatte. In den Broschüren wurde die chinesische Besetzung Tibets als «friedliche Befreiung» und Demokratisierung bezeichnet. Dieselben Schriften soll er an Interessierte und an unbekannte Personen verschickt haben. Die Texte waren ebenfalls auf einer Homepage veröffentlicht.

Die Strafuntersuchungsbehörde hielt fest, dass in den fraglichen Schriften wohl ein Leugnen, eine gröbliche Verharmlosung oder eine Rechtfertigung der chinesischen Taten in Tibet zu erkennen sei. Diese Taten anerkannte die Untersuchungsbehörde als schwere Menschenrechtsverletzungen. Die Voraussetzung der Tathandlung in der Öffentlichkeit sah die Behörde als erfüllt an. Hingegen erachtete sie den subjektiv nötigen Vorsatz zur Rassendiskriminierung nicht als gegeben an. Sie begründete dies damit, dass der Angeklagte sein ganzes Leben in der Volksrepublik China verbracht habe, ohne in seiner langjährigen Tätigkeit jemals mit Kritik an der chinesischen Tibetpolitik konfrontiert worden zu sein. In der Schweiz lebe er erst seit drei Jahren, wo er bis zum vorliegenden Verfahren nie negative Reaktionen auf diese Schriften erfahren habe.

Das Verfahren wurde wegen fehlender subjektiver Tatbestandsmässigkeit im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 Hälfte 2 StGB eingestellt.

En fait / faits

Eine Institution versandte an interessierte wie an unbekannte Leute Broschüren und Faltprospekte, in welchen die chinesische Besetzung Tibets als «friedliche Befreiung» und Demokratisierung bezeichnet wurde. Ebenso wurden die Broschüren öffentlich an einem Stand aufgelegt, die Art der fraglichen Veranstaltung ist aus vorliegendem Urteil nicht ersichtlich. Dieselben Texte waren in englischer Sprache auf einer Homepage veröffentlicht.

In diesem Zusammenhang wurde Anzeige wegen Rassendiskriminierung gemäss Art. 261bis Abs.4 Hälfte 2 erstattet. Der Anzeigeerstatter verzeigte sechs Personen, von welchen nur eine im März 2002 einvernommen werden konnte. Die anderen fielen entweder nicht in den örtlichen Zuständigkeitsbereich der Schweizer Behörde, oder es war eine Anzeige gegen Unbekannt. Die Einvernommene Person war ein in seit drei Jahren in der Schweiz lebender Chinese, der sich an der Standaktion beteiligt hatte.

En droit / considérants

  • Als erstes die Untersuchungsbehörde die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen. Zur Frage, ob eine strafrechtlich relevante Handlung vorliegt, verwies sie auf eine 1996 vom deutschen Bundestag verabschiedete Resolution, in welcher der Einmarsch Chinas in Tibet als «unmenschliche Militäraktion» und «gewaltsame Unterdrückung» bezeichnet worden war. Die Resolution bezeichnete schwere Menschenrechtsverletzungen und massive Benachteiligungen wirtschaftlicher, sozialer, rechtlicher wie politischer Art als eine direkte Folge der chinesischen Repressionspolitik in Tibet. Unter der Prämisse der Richtigkeit dieser in der Resolution wiedergegebenen Vorwürfe müsste demnach in casu in den untersuchungsrelevanten Schriften ein Leugnen, eine gröbliche Verharmlosung oder eine Rechtfertigung der chinesischen Handlungen gemäss Art. 261bis Abs. 4 Hälfte 2 StGB gesehen werden.
  • Die Strafverfolgungsbehörde erachtete die Öffentlichkeit als Voraussetzung für eine nach Art. 261bis StGB strafbare Handlung als gegeben. Die Homepage sei jedermann, bzw. einem nicht kontrollierbaren Personenkreis zugänglich gewesen. Gleiches gelte für die öffentlich aufgelegten Prospekte, sowie «vermutlich gar für den Versand an unbekannte Personen».

  • Des Weiteren untersuchte die Strafverfolgungsbehörde die Frage, wie weit der Angeschuldigte für die fraglichen Schriften verantwortlich sei - stets unter der Annahme, die Broschüren seien rassendiskriminierend. Mit dem Inhalt der Publikationen habe der Angeklagte nichts zu tun gehabt. Er habe sie jedoch aufgelegt und versandt, womit er sie öffentlich gemacht und damit den objektiven Tatbestand erfüllt habe. Schuldhaft und strafbar sei das Verhalten aber nur, wenn die Handlung vorsätzlich vorgenommen wurde. Zur Erfüllung des subjektiven Tatbestandes müsste sich der Angeschuldigte demnach bewusst gewesen sein, was eine objektiv rassendiskriminierende Handlung kennzeichnet. Überdies müsste er eine ebensolche tatbestandsmässige Handlung gewollt haben, was beim Angeklagten fraglich ist. Seine Biografie zeige auf, dass er ausschliesslich als Staatsangestellter in der Volksrepublik China gelebt habe. Seit 1998 lebe er in der Schweiz, arbeite weiterhin als Staatsangestellter, sei verheiratet mit einer Landsfrau und verkehre privat ausschliesslich mit Landsleuten. Er habe geltend gemacht, dass er in seiner 20-jährigen Tätigkeit nie negative Reaktionen auf die fraglichen Publikationen erlebt habe, was unter den konkreten Umständen glaubhaft erscheine. Es sei fraglich, wie weit der Angeschuldigte überhaupt Kenntnis der Kritik an der chinesischen Tibetpolitik habe, sei doch davon auszugehen, dass diese in der VR China nicht vernommen werde. Scheinbar sei er auch in der Schweiz nie mit solcher Kritik konfrontiert gewesen, was sich indessen mit der Rechtskraft dieser Einstellungsverfügung ändern werde.
  • Zusammenfassend sei daher davon auszugehen, bzw. sei das Gegenteil nicht anklagegenügend belegbar, dass der Angeschuldigte die fraglichen Publikationen verschickt habe ohne sich der Problematik bewusst gewesen zu sein. Er habe deshalb den subjektiven Tatbestand der Rassendiskriminierung nicht erfüllt.
  • Décision

    Unter den vorliegenden Umständen ist das Verfahren mangels subjektiver Tatbestandserfüllung gemäss Art. 261bis Abs. 4 Hälfte 2 StGB gegen den Angeschuldigten und die weiteren Angeklagten einzustellen.