Cas 2021-007N
Zurich
Historique de la procédure | ||
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2021 | 2021-007N | Das Obergericht spricht den Beschuldigten vom Vorwurf der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 StGB frei. |
Critères de recherche juridiques | |
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Acte / Eléments constitutifs objectifs | Négation d'un génocide (al. 4 2ème phrase) |
Objet de protection | Race; Religion |
Questions spécifiques sur l'élément constitutif | Publiquement (en public); Elément constitutif subjectif de l'infraction |
Mots-clés | |
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Auteurs | Particuliers |
Victimes | Juifs |
Moyens utilisés | Ecrits; Communication électronique |
Environnement social | Médias sociaux |
Idéologie | Antisémitisme; Révisionnisme |
Der Beschuldigte habe auf seinem öffentlich einsehbaren Facebook-Profil einen Beitrag über den Holocaust geteilt und einen Zeitzeugenbericht von einer der 7 Millionen Überlebenden kommentiert. Der Beschuldigte wird vom Vorwurf der Rassendiskriminierung freigesprochen.
Der Beschuldigte habe auf seinem öffentlich einsehbaren Facebook-Profil einen Beitrag geteilt über «Alltag in Auschwitz: Die überlebende Hedi Fried erinnert sich» der deutschen Tageszeitung «Die Welt», ein Interview mit der Auschwitz-Überlebenden Hedi Fried über den Alltag im Konzentrations-und Vernichtungslager Auschwitz. Er hat den Beitrag mit den Worten «Zeitzeugenbericht von einer der 7 Millionen überlebenden ...» kommentiert sowie diesen Kommentar mit dem Emoticon «Man Facepalming» versehen. Dieser Beitrag sei samt Kommentierung des Beschuldigten während rund zweier Monate für die Öffentlichkeit sichtbar bzw. einsehbar gewesen, was der Beschuldigte gewusst und gewollt habe.
Décision 2021-007N
Das Facebook-Profil des Beschuldigten lässt den Schluss auf einen zumindest dem rechten Gedankengut nicht abgeneigten Eigentümer zu. So finden sich darauf Bilder mit der Aufschrift «Defend Europe», wobei im Hintergrund einer der Ritter-Brüder zu sehen ist, welche deutschlandweit, vor allem über die Reportagen von Stern TV, Bekanntheit wegen ihres offenkundigen Ausländerhasses erlangten. Obwohl der Beschuldigte sich nicht als Neonazi bezeichnet, streitet er eine politisch rechte Gesinnung dennoch nicht ab. Zudem sprechen die Tätowierungen des Beschuldigten eine eindeutige Sprache, welche ihn unweigerlich der rechten Szene zuordnen. Der betreffende Kommentar des Beschuldigten ist demnach in diesem Zusammenhang als zugehöriger Umstand der Äusserung zu interpretieren und die Tatbestände sind entsprechend vor diesem Hintergrund zu würdigen.
Öffentlichkeit
Das Facebook-Profil des Beschuldigten war öffentlich einsehbar. Entsprechend war es jedermann möglich, den Beitrag des Beschuldigten auf dessen Facebook-Profil einzusehen.
Verharmlosung eines Völkermords
Der Tatbestand des Leugnens setzt nicht voraus, dass ein Völkermord wörtlich geleugnet wird. Ebenso wenig müssen notwendigerweise bestimmte Begriffe oder Bezeichnungen verwendet werden. Entscheidend ist, dass sich aus der Form, dem Zusammenhang und den sonstigen Umständen der Äusserung die Leugnung ergibt (BGer 6B _ 1024/2010 vom 24. Februar 201 l, E. 4.1 ). Eine Leugnung liegt bereits dann vor, wenn ein Völkermord durch Pseudoargumente angezweifelt, als Mythos oder Ähnliches bezeichnet, oder an seiner Existenz gezweifelt wird (BSK StGB-SCHLEIMINGERIMETTLER, N 65 zu Art. 261bis). Beim Tatbestand des gröblichen Verharmlosen wird ein Völkermord zwar nicht in seiner gesamthaften Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit bestritten. Es erfolgt aber eine teilweise Bestreitung, bei welcher regelmässig das Ausmass, namentlich die Zahl der Opfer oder die Begehungsweise der Verbrechen herabgesetzt wird. Insbesondere indem behauptet wird, der angerichtete Schaden, der bewirkte Nachteil oder die zugefügten Schädigungen seien deutlich geringer gewesen, als von der Allgemeinheit angenommen (BSK StGB-SCHLEIMINGER METTLER, N 66 zu Art. 261bis). Eine Verharmlosung findet sodann statt, wenn die zu beurteilende Aussage die Opferzahl der im Holocaust ermordeten Juden unterschreitet (BGer 6S.719/1999 vom 22. März 2000, E. 2.d.bb). Aufgrund der Aktenlage kommt der Tatbestand des Rechtfertigens vorliegend nicht in Betracht, weshalb sich diesbezügliche Ausführungen erübrigen.
Der Beschuldigte ist jedoch der Ansicht, seine Aussagen seien fehlinterpretiert worden und empfindet den Vorwurf der Rassendiskriminierung als Schikane. Was ihn gestört habe, sei das gebetsmühlenartige Wiederkauen der Verbrechen des Nationalsozialismus, während in Deutschland aktuellere Probleme unbeachtet verblieben. Der Bundesgerichtshof habe festgehalten, dass sechs Millionen Juden ermordet worden seien, was er nie in Frage gestellt habe. Es habe jedoch ausserhalb des nationalsozialistischen Machtgebietes Juden gegeben, welche den Holocaust überlebt hätten. Deren Zählung sei schwierig, da die Juden vor der Gründung Israels keinen eigenen Staat gehabt hätten und auf der ganzen Welt verteilt gewesen seien. Er glaube aber, irgendwo gelesen zu haben, dass weltweit sieben Millionen Juden den Holocaust überlebt hätten. Der Beschuldigte verbindet den Zusammenhang zwischen Hedi Fried und Auschwitz mit Terror, Leid, Verzweiflung und täglicher Überlebensangst. Zum Wikipedia-Artikel über den Holocaust, wonach 5.6 bis 6.3 Millionen europäische Juden systematisch umgebracht worden seien, äussert er, das seien Fakten und Verbrechen an der Menschlichkeit, es sei widerlich und er verurteile alle Taten, bei welchen «die Menschen nicht gezählt» hätten. Er glaube, dass die Zahl der Todesopfer stimme. Die Bilder von Konzentrationslagern oder getöteten Menschen lösten bei ihm Abscheu, Ekel und Trauer aus; man sei ein Stein oder ein Sadist, wenn man nicht so empfinde. Anlässlich der gerichtlichen Einvernahme an der Hauptverhandlung vom 23. Juni 2020 wiederholte der Beschuldigte seine Aussagen.
Die Anklägerin wertet den Kommentar dahingehend, als dass der Beschuldigte damit zum Ausdruck bringen wollte, dass zu viele Juden den Holocaust überlebt hätten und er sich darüber lustig machen und seine Abneigung zum Ausdruck bringen wollte. Der Beschuldigte habe damit zumindest in Kauf genommen, den Holocaust zu relativieren oder zu verharmlosen.
Der vom Beschuldigten geteilte Bericht befasst sich mit den Erlebnissen von Hedi Fried im Konzentrationslager Auschwitz zur Zeit des Nationalsozialismus. Der Kommentar des Beschuldigten lässt den Schluss zu, dass er mit dem Bericht über die Erfahrungen von Hedi Fried in irgendeiner Form nicht einverstanden war. Unschwer der rechten Szene zuzuordnende Bilder seitlich des Beitrages auf dem Facebook-Profil verstärken den Eindruck des potentiellen Lesers, dass es sich vorliegend um einen politisch motivierten Beitrag handelt. Am Ende des Satzes in der Überschrift des Zeitzeugenberichts unterstreicht ein Emoticon, welches ein Gesicht mit auf die Stirn gehaltener Hand zeigt, das Unverständnis des Beschuldigten über den Bericht mit Hedi Fried. Während des Zweiten Weltkrieges kamen unbestrittenermassen mehr als sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens ums Leben. Der Beschuldigte anerkennt sowohl die Zahl der Todesopfer als auch den Holocaust an sich. Er wollte nach seinen Angaben damit seinem Ärger Luft machen, da es nach seinem Empfinden allzu häufig Berichte über den Holocaust gibt. Diese Äusserung sollte aber nicht gegen diese Zeit und den Holocaust an sich gerichtet sein, sondern viel mehr darauf abzielen, dass es andere Probleme gäbe, mit welchen sich befassen mehr lohnen würde (vgl. Ziff. 11.3.3.6). Dies stellt durchaus eine plausible Auslegung des Kommentars des Beschuldigten dar.
Der Kommentar des Beschuldigten könnte aber auch eine Verharmlosung des Holocausts und seinen Folgen darstellen, indem der Kommentar des Beschuldigten dahingehend auslegt wird, dass mit der Angabe der Anzahl überlebenden der Opferzahl an Bedeutung abgesprochen wird. Das vom Beschuldigten zusätzlich verwendete Facepalming Emoticon kann Fassungslosigkeit, Scham, Verlegenheit, Skepsis, Frustration, Ekel oder Unglück zum Ausdruck bringen. Vor dem Hintergrund des Profils muss das Emoticon klar zu Ungunsten des Beschuldigten interpretiert werden, sodass damit vorwiegend Skepsis, Frustration und Ekel den Leser des Kommentars erreichen. Es ist jedoch unklar, gegen was sich diese zum Ausdruck gebrachten und durch das Emoticon verkörperten Gefühle des Beschuldigten richteten.[RGG1]
Der vom Beschuldigten verfasste Kommentar ist insgesamt wenig konkret. Aus diesem Grund lässt er wie gesehen verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu. Eine Verurteilung wegen Rassendiskriminierung setzt eine gröbliche Verharmlosung mit einer klaren Aussage voraus. Zugunsten des Beschuldigten muss davon ausgegangen werden, dass vorliegend aufgrund der verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten des Kommentars keine klare Interpretation möglich ist, weshalb der Beschuldigte vom Vorwurf der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 StGB freizusprechen ist. Die zuständige Strafverfolgungsbehörde spricht den Beschuldigten frei.
[RGG1]Das alles zu “rechtliche Erwägungen”
Der vom Beschuldigten verfasste Kommentar ist insgesamt wenig konkret. Aus diesem Grund lässt er wie gesehen verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu. Eine Verurteilung wegen Rassendiskriminierung setzt eine gröbliche Verharmlosung mit einer klaren Aussage voraus. Zugunsten des Beschuldigten muss davon ausgegangen werden, dass vorliegend aufgrund der verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten des Kommentars keine klare Interpretation möglich ist, weshalb der Beschuldigte vom Vorwurf der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 StGB freizusprechen ist. Die zuständige Strafverfolgungsbehörde spricht den Beschuldigten frei.