Fall 1997-022N

Schnitzelbank mit antisemitischem Inhalt

Zürich

Verfahrensgeschichte
1997 1997-022N 1. Instanz verurteilt den Angeklagten.
Juristische Suchbegriffe
Tathandlung / Objektiver Tatbestand Herabsetzung oder Diskriminierung (Abs. 4 Hälfte 1)
Schutzobjekt keine Ausführungen zum Schutzobjekt
Spezialfragen zum Tatbestand keine
Stichwörter
Tätergruppen Privatpersonen
Opfergruppen Juden
Tatmittel Schrift
Gesellschaftliches Umfeld Kunst und Wissenschaft
Ideologie Antisemitismus

Kurzfassung

In der Fasnachtszeitung 1997 einer Gemeinde war u.a. eine antisemitisch gefärbte Schnitzelbank abgedruckt. Die Schnitzelbank wurde in der Folge in mehreren Restaurants singen vorgetragen.

Für die 1. Instanz stellt das öffentliche Singen eines antisemitischen Fasnachtsverses eine Herabsetzung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 Hälfte 1 StGB dar. Das Lächerlichmachen der religiösen Bräuche der Juden stelle eine Verletzung der Menschenwürde dar. Gleiches gelte für die Verwendung des Klischees vom «geldgierigen Juden», welches ein Kernansatz rassistischen Gedankengutes sei. Es gebe kein «Recht auf Fasnacht», das die Entgleisungen hätte rechtfertigen können. Die Angeschuldigten werden zu je einer Busse von Fr. 200.-- verurteilt.

Sachverhalt

In der Fasnachtszeitung 1997 einer Gemeinde wurde u.a. auch eine Schnitzelbank abgedruckt. Der fünfte Vers dieser Schnitzelbank lautete:

Uf de Bank da lyt jetzt Gäld parat

Für Jude wo mer hät vertrybe

Du liebe Ma, ich gib dir en Rat

Tue sofort dis Vorhüütli schniide

Mit dem Bewys fahrsch dänn uf Bern

Tuesch dis Schwänzli em Bundesrat zeige

Wänn das nöd langed, büezisch no en Stern

Uf's Füdli und tanzisch en Reige

Die Fasnachtszeitung mit diesem fünften Vers der Schnitzelbank wurde ca. 500 Mal verkauft. Im Januar 1997 wurde ferner die Schnitzelbank in ca. 5 Restaurants öffentlich vor Publikum gesungen.

Im vorliegenden Strafverfahren sind zwei Personen als Mittäter angeklagt, welche sich am Vorsingen der Schnitzelbank in verschiedenen Restaurants beteiligt hatten. Der Fasnachtsvers wurde jedoch von Drittpersonen geschrieben.

Rechtliche Erwägungen

Die 1. Instanz wendet auf diesen Fall Art. 261bis Abs. 4 Hälfte 1 StGB an. Zuerst hat sie abzuklären, ob der Inhalt des fraglichen Verses eine Herabsetzung der Juden darstellt: «Es wird unterstellt, der Bundesrat zahle den Juden Geld aus, einfach deshalb weil sie Juden sind. Der Bundesrat ist in dieser Darstellung gewissermassen auf die Juden hereingefallen. Letztlich gehen demgemäss die kritisierten bundesrätlichen Geldspenden auf nichts anderes als «jüdischer Geldgier» zurück. Die Vorstellung, dass die Schweiz zu Geldleistungen an die Juden schlicht «erpresst» worden sei, und das Klischee der Geldgier der Juden sind derart verbreitet, dass ein vernünftiger Mensch den unterschwelligen Hinweis auf die angebliche Geldgier der Juden ohne weiteres wahrnimmt. Durchaus scherzhaft gemeint ist sodann aber der in diesem Vers erteilte «Ratschlag» dafür, was man als Nichtjude tun muss, um für einen Juden gehalten zu werden: Mit diesen Bildern werden zunächst religiöse und kulturelle jüdische Bräuche ins Lächerliche gezogen, schliesslich aber auch der gelbe Stern, mit dem sich die Juden im Dritten Reich als Juden zu erkennen geben mussten, was schlimmste Diskriminierung und für die meisten den sicheren Tod bedeutete. Der Vers schöpft seine Lustigkeit damit zu einem grossen Teil daraus, dass er die Juden pauschal verunglimpft, lächerlich macht und verletzt." (E.II.2.c.bb)

Weiter geht die 1. Instanz der Frage nach, unter welchen Voraussetzungen eine Herabsetzung die Menschenwürde verletzt, bzw. ob der Nennung der «Menschenwürde» in Art. 261bis Abs. 4 Hälfte 1 StGB überhaupt eine eigenständige Bedeutung zukommt. Sie dokumentiert zuerst die verschiedenen Lehrmeinungen, bevor sie auf den vorliegenden Sachverhalt eingeht: «Ein Verstoss gegen die Menschenwürde liegt demnach vor, wenn behauptet wird, eine Menschengruppe sei minderwertig oder unterwertig, beispielsweise durch die Gleichsetzung mit einem Tier oder Werkzeug oder durch die Reduktion auf bestimmte Eigenschaften, indem nur noch bestimmte äussere Zwecke anerkannt werden (Niggli, a.a.o., N 186 ff. und 934 ff.). Strafbar ist es deshalb auch, wenn eine Personengruppe im beschriebenen Sinn als unterwertig dargestellt oder wenn in der Darstellung einer Personengruppe ihre Unterwertigkeit vorausgesetzt wird. Im übrigen ist auch das Diskriminieren strafbar, das darin besteht, dass eine Personengruppe als minderwertig behandelt wird (Rehberg, Strafrecht I, Zürich 1996, S.184). Es sind somit alle Verhaltensweisen strafbar, durch welche den Angehörigen einer bestimmten Rasse, Ethnie oder Religion Verachtung entgegengebracht, sie dem Gespött preisgegeben oder sonst in ihrem Anspruch verletzt werden, als gleichwertige Menschen unter Menschen zu leben und geachtet zu werden." (E.II.2.c.cc, S.9)

Die 1. Instanz wertet das lächerlich Machen der religiösen Bräuche der Juden als einen Verstoss gegen die Menschenwürde. Nach seiner Auffassung gehört der Anspruch auf Achtung der religiösen Überzeugung und Betätigung zu den wichtigsten Rechten, welche dem einzelnen Menschen kraft seiner Person zustehe.

Zum gleichen Ergebnis kommt sie bezüglich der Verwendung des Klischees vom «geldgierigen Juden». (E.II.2.c.cc, S.10)

Als erschreckende Geringschätzung sieht die 1. Instanz auch das Sich-lustig-machen über den gelben Stern an, welcher das klassische Symbol der Judenverfolgung sei. Es werde vermittelt, dass man mit dem gelben Stern (= Symbol für den Holocaust) Geld machen könne und dadurch werde die Judenverfolgung bagatellisiert. (E.II.2.c.cc, S.11)

Zusammenfassend kommt die 1. Instanz zum Ergebnis, dass der hier zu beurteilende Vers die Juden in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 Hälfte 1 StGB herabsetze. Die restlichen Elemente des objektiven Tatbestands, Öffentlichkeit und geschützte Gruppe, und des subjektiven Tatbestands seien ohne weiteres gegeben.

Zu guter Letzt hat die 1. Instanz zu prüfen, ob ein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Die Verteidigung brachte vor, es gäbe allenfalls ein «Recht auf Fasnacht», was als Rechtfertigungsgrund ausgelegt werden könnte.

Als Rechtfertigungsgrund käme für die 1. Instanz vorliegend nur «die Wahrung berechtigter Interessen» in Frage: «Bei diesem Rechtfertigungsgrund geht es darum, dass das Recht Freiräume für rechtliche, publizistische, wissenschaftliche, künstlerische etc. Aktivitäten (hier: eine gewisse Narrenfreiheit) anerkennen muss, ohne welche die «berechtigten Interessen» im Einzelfall nicht wahrgenommen werden könnten. Damit ist nicht die Frage einer Güterabwägung im engeren Sinne gemeint, sondern die Frage eines mehr oder minder «liberalen» Umgangs mit den Beschränkungen der individuellen Freiheit. Die Erfordernisse der «Wahrnehmung berechtigter Interessen» entsprechen weitgehend denjenigen des rechtfertigenden Notstands. Sie sind dann gegeben, wenn die Tat zur Erreichung des berechtigten Ziels ein notwendiges und angemessenes Mittel ist, sie insoweit den einzig möglichen Weg darstellt und offenkundig weniger schwer wiegt, als die Interessen, die der Täter zu wahren sucht (vgl. BGE 120 IV 213; 117 IV 177; 113IV 7)." (E.II.3.a)

Die 1. Instanz ist der Meinung, dass die Fasnacht auch ohne herabsetzende Sprüchen gegen die Juden in ihrer typischen Weise gefeiert werden könne. Es bestünden genügend andere Möglichkeiten, das Bedürfnis nach Entgleisungen und «political incorrectness» auszuleben.

Entscheid

Verurteilung zu je einer Busse von Fr. 200.--; Löschung des Eintrages im Strafregister nach einer Probezeit von 1 Jahr. (Zwei separate Strafverfahren gegen zwei Mittäter. Die Ausführungen des Gerichts sind identisch.)