Fall 2005-025N
Aargau
Verfahrensgeschichte | ||
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2005 | 2005-035N | Die zuständige Strafverfolgungsbehörde verfügt ein Nichteintreten. |
2005 | 2005-025N | 1. kantonale Instanz heisst die Beschwerde gut: Die Vorinstanz wird angehalten, ein Strafverfahren zu eröffnen. |
2007 | 2007-014N | Die zuständige Strafverfolgungsbehörde verurteilt den Angeklagten. |
Juristische Suchbegriffe | |
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Tathandlung / Objektiver Tatbestand | Leugnung von Völkermord (Abs. 4 Hälfte 2) |
Schutzobjekt | keine Ausführungen zum Schutzobjekt |
Spezialfragen zum Tatbestand | keine |
Stichwörter | |
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Tätergruppen | Keine Angaben zur Täterschaft |
Opfergruppen | Juden |
Tatmittel | Schrift; Elektronische Kommunikation |
Gesellschaftliches Umfeld | Internet (ohne Soziale Medien) |
Ideologie | Antisemitismus |
Der Angeklagte veröffentlichte auf seiner Internet-Domaine einen Zeitungsartikel, in dem er das Holocaust-Denkmal in Berlin als «seelenzerstörende Perversion» bezeichnet. Ausserdem wurde das Denkmal für die Opfer in ein Denkmal für die Täter umgedeutet. In einer letzten Phase wurden mit der Bemerkung, dass bei veränderten Machtverhältnissen die Urheber des Denkmals in einer Straflagerzwangsarbeit ähnlichen Art ihr Denkmal wieder zu zerstören hätten, nationalsozialistische oder jedenfalls absolutistische Herrschaftsformen heraufbeschworen.
Die Strafverfolgungsbehörde trat nicht auf die daraufhin erfolgte Strafanzeige ein, wogegen der Anzeigeerstatter Beschwerde einreichte.
Die 1. Instanz hält fest, dass die Frage, ob der fragliche Artikel geeignet sein könne, den Völkermord an den Juden während des zweiten Weltkriegs zu leugnen, gröblich zu verharmlosen oder zu rechtfertigen, entgegen der Vorinstanz nicht offensichtlich verneint werden könne:
«Mit der Absprache der Kunstqualität an das Holocaust-Denkmal, dessen Umdeutung in ein Denkmal für die Täter und nicht für die Opfer und mit dem an der Formulierung unschwer erkennbaren Wunsch und der Heraufbeschwörung nationalsozialistischer oder jedenfalls absolutistischer Herrschaftsformen dahingehend, dass bei veränderten Machtverhältnissen die Urheber des Denkmals in einer Straflagerzwangsarbeit ähnlichen Art ihr Denkmal wieder zu zerstören hätten [...], werden Zusammenhänge hergestellt, die durchaus geeignet sein können, als gröbliche Verharmlosung des Holocaustes und des Völkermords oder Rechtfertigung desselben betrachtet zu werden.»
Die Beschwerde sei somit gutzuheissen und es sei auf die Anzeige einzutreten.
Der Angeklagte veröffentlichte auf seiner Internet-Domaine einen Zeitungsartikel über das Holocaust-Denkmal in Berlin. In einer ersten Phase sprach er darin dem Holocaust-Denkmal die Kunstqualität ab, indem der Begriff Kunst in Anführungs- und Schlusszeichen gesetzt wurde und das Geschaffene als «seelenzerstörende Perversion» bezeichnet wurde. Dem Werk wurde als «Nutzen» einzig eine «psychische Vergewaltigung des Betrachters» zugesprochen. Das Denkmal für die Opfer wurde in ein Denkmal für die Täter umgedeutet, indem ausgeführt wurde, «an welchen Mann man bei dieser Erinnerung zuerst denkt, muss dem Leser nicht weiter erklärt werden.» und indem bemerkt wurde, dass «erste Erklärungs und Deutungsversuche der 2711 Feldgrauen Stelen von 2700 Wehrmachtseinheiten im Verlauf des zweiten Weltkriegs ausgingen.» In einer letzten Phase des Artikels werden Gedanken geäussert, was «dereinst sein könnte». Anschliessend wird der Vorschlag gemacht, dass «eines Tages, wenn wieder ein anderer Wind in Berlin und im restlichen Europa herrsche, diejenigen Menschen, welche dieses Denkmal zu verantworten haben, mit einem Hammer ausgerüstet jeder einzelne dieser 2711 Betonklötze derart verkleinert, dass nur noch Staub übrig bleibt.» [sic]
Gegen den Angeklagten sowie gegen unbekannte Täterschaft wurde daraufhin Anzeige erstattet. Der Angeklagte wird in der Anzeige als Inhaber der Internet-Domaine und damit als Verfasser dieses Artikels bezeichnet. Zumindest wird angenommen, dass er dessen Verfasser kennen muss.
Die zuständige Strafverfolgungsbehörde trat auf die Strafanzeige nicht ein.
Daraufhin erhob der Anzeigeerstatter Beschwerde.
Entscheid 2005-035N
Die zuständige Strafverfolgungsbehörde verfügt ein Nichteintreten.
Entscheid 2005-025N
Die 1. Instanz hält fest, auf eine offensichtlich grundlose Strafanzeige sei nicht einzutreten. Dies liege vor, wenn zum vornherein, und ohne dass es irgendwelchen Abklärungen bedürfte, klar feststehe, dass ein Straftatbestand in rechtlicher oder tatsächlicher Beziehung nicht erfüllt sei. Ein Entscheid auf Nichteintreten dürfe nur bei äusserst klaren Verhältnissen erfolgen. Diese Voraussetzungen seien aber im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Es könne als notorisch gelten, dass das Holocaust-Denkmal in Berlin als Denkmal für den Völkermord an den Juden in Europa während des zweiten Weltkriegs errichtet worden sei. Entgegen der Vorinstanz könne die Frage, ob der fragliche Artikel geeignet sein könne, diesen Völkermord zu leugnen, gröblich zu verharmlosen oder zu rechtfertigen, nicht offensichtlich verneint werden:
«Mit der Absprache der Kunstqualität an das Holocaust-Denkmal, dessen Umdeutung in ein Denkmal für die Täter und nicht für die Opfer und mit dem an der Formulierung unschwer erkennbaren Wunsch und der Heraufbeschwörung nationalsozialistischer oder jedenfalls absolutistischer Herrschaftsformen dahingehend, dass bei veränderten Machtverhältnissen die Urheber des Denkmals in einer Straflagerzwangsarbeit ähnlichen Art ihr Denkmal wieder zu zerstören hätten (sowie Juden in Straf- und Vernichtungslagern im zweiten Weltkrieg gröbste körperliche Arbeiten mit primitivsten Mitteln hatten verrichten müssen), werden Zusammenhänge hergestellt, die durchaus geeignet sein können, als gröbliche Verharmlosung des Holocaustes und des Völkermords oder Rechtfertigung desselben betrachtet zu werden.»
Von einer offensichtlichten Nichterfüllung des Straftatbestands der Rassendiskriminierung könne daher nicht ausgegangen werden, die Beschwerde sei gutzuheissen und es sei auf die Anzeige einzutreten.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Vorinstanz wird angehalten ein Strafverfahren gegen den Angeklagten sowie unbekannte Täterschaft zu eröffnen.
Entscheid 2007-014N
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Beschuldigte das Holocaust-Denkmal weder als Kunstobjekt noch als Erinnerung an die damals im zweiten Weltkrieg ermordeten Juden sieht, sondern als Denkmal an die Gesamtheit der Wehrmachtseinheiten, beziehungsweise an das während des zweiten Weltkrieges an der Macht befindende Regime.
Die zuständige Strafverfolgungsbehörde stellt fest, dass der Beschuldigte mit diesen Äusserungen den Völkermord an den Juden während des zweiten Weltkrieges gröblich verharmlost, beziehungsweise den Völkermord an diesen zu rechtfertigen versucht. Dieses Verhalten erfülle den Tatbestand von Art. 261bis Abs. 4 Hälfte 2 StGB.
Die zuständige Strafverfolgungsbehörde verurteilt den Angeklagten zu einer bedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je CHF 90.-, insgesamt CHF 4'500.-, und einer Busse von CHF 1'000.-.
Es wird angeordnet, dass der Artikel «Kürzlich in Berlin» aus dem Internet zu entfernen ist.