Die Juristin Alma Wiecken arbeitet seit 2012 für die EKR, seit 2019 leitet sie das Sekretariat der Kommission.
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Gleichwertigkeit und Menschenwürde für alle sind die Fundamente des Zusammenlebens. Diskriminierungserfahrungen verletzen diese Prinzipien und destabilisieren die Gesellschaft. Ein umfassendes Gleichbehandlungsgesetz, wie es die EKR fordert, schliesst bestehende Lücken und stärkt den Rechtsstaat.
Diskurs ist polarisiert. In diesem Kontext ist es der EKR wichtig, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und sich gleichzeitig den essenziellen Fragen zuzuwenden: Worum geht es bei unserer Arbeit? An welchen Grundwerten orientieren wir uns? Wenn wir die Grundprinzipien einer diskriminierungsfreien Gesellschaft zu Ende denken, ist die Schlussfolgerung klar: Es braucht ein umfassendes Gleichbehandlungsgesetz, welches alle Formen der Diskriminierung einschliesst und davor schützt.
Seit ihrer Gründung im Jahre 1995 setzt sich die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) für den Schutz vor Diskriminierung ein. Bereits 2010 zeigte sie in einer umfassenden Analyse zum aktuellen Recht gegen rassistische Diskriminierung auf, wo das Recht funktioniert, wo es Lücken gibt und welche Verbesserungen nötig wären, um den zivilrechtlichen Schutz vor rassistischer Diskriminierung zu stärken. 2015 kam das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte in einer Studie über den Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Auch diese Empfehlungen blieben ohne gesetzgeberische Folgen. Ein klarer politischer Wille zur Veränderung blieb aus. Wir sind heute nicht entscheidend weiter als 2010.
Deshalb ist für die Kommission jetzt der Zeitpunkt für einen substanziellen Fortschritt im Schutz vor Diskriminierung gekommen. Das anlässlich des 30-Jahre-Jubiläums lancierte Manifest für ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz soll eine breite gesellschaftliche Diskussion anregen. Menschenwürde ist ein universeller Wert. Diskriminierungserfahrungen widersprechen den Menschenrechten und dürfen nicht toleriert werden.
Fehlendes Diskriminierungsverbot im Zivilrecht
In der Schweiz fehlt es bis heute an einem expliziten Diskriminierungsverbot im Zivilrecht. Dies heisst, dass nirgends ausdrücklich festgehalten ist, dass zum Beispiel bei der Vergabe einer Stelle eine Bewerberin oder ein Bewerber nicht rassistisch diskriminiert werden darf. Heute kann ein solcher Sachverhalt einzig über eine Verletzung des Persönlichkeitsschutzes eingeklagt werden. Ohne gesetzliche Definition von rassistischer Diskriminierung ist die rechtliche Anwendung problematisch.
Weiter kennt die Schweiz im Zivilrecht keine Beweislasterleichterung bei rassistischer Diskriminierung. Anders als im Strafrecht muss ein solcher Sachverhalt bewiesen werden, was sehr schwer ist. Drittens fehlt ein Verbandsbeschwerderecht. Dies führt dazu, dass eine Einzelperson bei einem Rechtsverfahren ein hohes finanzielles Risiko eingeht, obwohl möglicherweise weitere Arbeitnehmende betroffen sind.
Beratungspraxis zeigt Handlungsbedarf
Diese rechtlichen Lücken sorgen bei den Betroffenen für Unsicherheit und viele Fragen: Kann ich überhaupt rechtlich gegen eine Diskriminierung vorgehen und was bedeutet dies? Aufgrund der fehlenden Rechtsprechung ist der Ausgang kaum abzuschätzen. Ohne Beweislasterleichterung lässt sich eine rassistische Diskriminierung selten beweisen.
Die wenigen Urteile stehen im starken Gegensatz zu den zahlreichen Fällen rassistischer Vorfälle am Arbeitsplatz und missbräuchlichen Kündigungen aus der Beratungspraxis. Für Fälle rassistischer Diskriminierung ist der arbeitsrechtliche Persönlichkeitsschutz nur schwierig heranzuziehen. Deutlich besser ist die Rechtslage bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, wo das Gleichstellungsgesetz greift. Auch auf dem Wohnungsmarkt sind Diskriminierungen empirisch belegt, doch die rechtlichen Möglichkeiten sind noch geringer. Die meisten Diskriminierungen geschehen im privaten Raum – ohne rechtliche Handhabe. Häufig ziehen sich Menschen mit Rassismuserfahrung zurück, weil sie das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren haben. Dies destabilisiert die Gesellschaft.
Grundprinzipien materialisieren
Ein Gleichbehandlungsgesetz gibt Betroffenen die Möglichkeit, wirksam zu werden. Gegen erlebte Ungerechtigkeit etwas tun zu können, ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis. Es ist zudem ein Zeichen dafür, auf welchen Grundprinzipien eine Gesellschaft basiert. Der gesellschaftliche Konsens in der Schweiz lautet: Gleichwertigkeit und Menschenwürde für alle.
Doch die Bundesverfassung bindet primär den Staat und ist nicht direkt zwischen Privaten anwendbar. Für von Rassismus Betroffene fehlt ein solcher Schutz im Zivilrecht. Mit der Forderung nach einem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geht die EKR einen Schritt weiter: Ein Wandel gelingt nur, wenn alle Betroffenen sich solidarisieren. Alle Menschen haben ein Recht auf gleiche Behandlung und gleiche Chancen.
Startschuss für breite Diskussion
Wir befinden uns erst am Anfang der Diskussion. Verschiedene Vorschläge liegen bereits vor, und ein Aushandlungsprozess wird Jahre dauern. Die Forschung zeigt, dass umfassende Ansätze – wie in Schweden oder Norwegen – klare Vorteile bieten. Andere Länder sind beim Schutz vor Diskriminierung bereits deutlich weiter.
Gesetze wirken auch auf die Gesellschaft: Sie ziehen eine rote Linie dessen, was akzeptiert wird und was nicht. Beispiele zeigen, dass gesetzliche Materialisierung Diskriminierung sichtbarer macht und präventive Wirkung entfaltet.
Das Manifest für ein Gleichbehandlungsgesetz soll der Startschuss für eine breite Auseinandersetzung sein. Alle Akteure der Zivilgesellschaft sind eingeladen, sich daran zu beteiligen.