Fall 2011-032N
Polizist beschimpft Mann als „Drecksasylant“
Basel-Stadt
Verfahrensgeschichte
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2011 |
2011-032N |
Das kantonale Strafgericht spricht den Beschuldigten der Rassendiskriminierung schuldig (Art. 261bis Abs. 4). |
2012 |
2012-043N |
Das kantonale Appellationsgericht spricht den Beschuldigten der Rassendiskriminierung schuldig (Art. 261bis Abs. 4). |
2014 |
2014-018N |
Das Bundesgericht heisst die Berufung des Angeklagten gut und weist die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück. |
2014 |
2014-046N |
Das kantonale Appellationsgericht spricht den Beschuldigten von der Anklage der Rassendiskriminierung frei. |
Juristische Suchbegriffe |
Tathandlung / Objektiver Tatbestand |
Herabsetzung oder Diskriminierung (Abs. 4 Hälfte 1) |
Schutzobjekt |
keine Ausführungen zum Schutzobjekt |
Spezialfragen zum Tatbestand |
Geschütztes Rechtsgut;
Öffentlichkeit;
keine |
Stichwörter |
Tätergruppen |
Angestellte im öffentlichen Dienst |
Opfergruppen |
Ausländer und Angehörige verschiedener Ethnien |
Tatmittel |
Wort;
Tätlichkeiten |
Gesellschaftliches Umfeld |
Öffentliche Orte |
Ideologie |
Rassismus (Hautfarbe) |
Kurzfassung
Der angeklagte Polizist beschimpfte an der Uhren- und Schmuckmesse in Basel einen algerischen Asylbewerber mit „Sauausländer“ und „Dreckasylant“. Ausserdem verabreichte er dem aufgrund seiner Handfesseln völlig wehrlosen Beschuldigten mehrere Fusstritte gegen das Schienbein und drohte ihm, dass er gleich «ein paar an die Löffel» bekommen werde.
Die zuständige Strafverfolgungsbehörde sprach den Angeklagten der Rassendiskriminierung (Art. 261bis Abs. 4 StGB) schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von Fr. 200.-, mit bedingtem Strafvollzug unter Auflegung einer Probezeit von 2 Jahren. Die 2. Instanz bestätigte den erstinstanzlichen Entscheid. Gegen den Entscheid der 2. Instanz erhob der Angeklagte beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Das Bundesgericht hält fest, dass der Angeklagte durch seine Äusserungen den Tatbestand von Art. 261bis Abs. 4 erste Hälfte StGB nicht erfüllt habe, da er dadurch den Betroffenen nicht wegen dessen Rasse, Ethnie oder Religion herabsetzte und jedenfalls nicht in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise. Das Bundesgericht heisst die Berufung des Angeklagten gut und weist die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Sachverhalt
Der angeklagte Polizist nahm am 16. April 2007 an der Uhren- und Schmuckmesse in Basel gemeinsam mit einem Kollegen einen algerischen Asylbewerber wegen Verdacht auf Taschendiebstahl fest. In Anwesenheit einer anwachsenden Menschenmenge beschimpfte der Angeklagte den Festgenommenen lautstark mit „Sauausländer“ und „Drecksasylant“. Ausserdem verabreichte er dem aufgrund seiner Handfesseln völlig wehrlosen Beschuldigten mehrere Fusstritte gegen das Schienbein und drohte ihm, dass er gleich «ein paar an die Löffel» bekommen werde.
Entscheid 2011-032N
Das kantonale Strafgericht spricht den Beschuldigten der Rassendiskriminierung schuldig (Art. 261bis Abs. 4).
Rechtliche Erwägungen
Zunächst hält das Gericht fest, dass drastische Beschimpfungen wie «Asylantendrecksau» und «Dreckausländer» zweifelslos eine gegen die Menschenwürde des Adressaten verstossende Herabsetzung darstellen.
Mit Hinblick auf das Kriterium der Öffentlichkeit komm das Gericht zum Schluss, dass die Beschimpfungen im öffentlichen Raum fielen. Denn öffentlich im Sinne der Strafnorm seien nach der bundesgerichtliehen Rechtsprechung Äusserungen, die nicht im privaten Rahmen, d.h. nicht im Familien- oder Freundeskreis oder sonst in einem durch persönliche Beziehungen oder besonderes Vertrauen geprägten Umfeld, erfolgen, sondern von unbestimmt vielen Personen oder von einem grösseren, nicht durch persönliche Beziehungen zusammenhängenden Personenkreis wahrgenommen werden können. So wurde die Öffentlichkeit einer Aussage etwa bei lautstarken Äusserungen auf der Strasse eines belebten Wohnquartiers bejaht.
Das Gericht folgert deshalb, dass in casu die Öffentlichkeit der fraglichen Äusserungen nicht zweifelhaft sein kann, nachdem gleich mehrere Tatzeugen zu berichten vermochten, dass der Angeschuldigte den Verhafteten inmitten zahlreicher Messeangestellter wiederholt beschimpft hat. Damit sei auch das Tatbestandserfordernis der öffentlichen Herabsetzung mit Worten gegeben.
- Vorliegen eines Schutzobjektes
Weiter führt das Gericht aus, dass der Beschuldigte auf die fremde ethnische Zugehörigkeit des Angeschuldigten abzielte, indem er ihn als «Ausländer» und «Asylant» beschimpfte. Ob ein Täter diese explizit benennt oder überhaupt kennt, ist gemäss Gericht irrelevant, wenn die Strafbarkeit nicht von Zufälligkeiten wie der Wortwahl des Täters bzw. seinem Bildung- / Kenntnisstand abhängig gemacht werden soll. Die Strafnorm müsse nach verbreiteter Auffassung in der Lehre auf die Herabsetzung «der Ausländer» und «der Asylanten» anwendbar sein, sofern diese Kategorien entweder synonym für bestimmte Rassen oder Ethnien oder auch nur generell als Sammelbegriff für andere Rassen oder Ethnien verwendet werden. Tatsächlich erscheint es gemäss Gericht mit Blick auf den letztgenannten Fall inkonsequent und mit der ratio legis kaum vereinbar, zwar die öffentliche Herabsetzung bestimmter bzw. bestimmbarer einzelner Ethnien, Rassen oder Religionen unter Strafe zu stellen, nicht aber die pauschale Herabsetzung mehrerer dieser Gruppen.
Unter diesen Erwägungen hat sich der Angeschuldigte der Rassendiskriminierung nach Art. 261
bis Abs. 4 StGB schuldig gemacht.
Entscheid
Der Beschuldigte wird der Rassendiskriminierung schuldig gesprochen und verurteilt zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu CHF 200.--, mit bedingtem Strafvollzug, unter Auferlegung einer Probezeit von 2 Jahren, in Anwendung von Art. 261bis Abs. 4 Strafgesetzbuches.
Der Beschuldigte wird hingegen vom Vorwurf des Amtsmissbrauchs freigesprochen.
Der Beschuldigte trägt die Verfahrenskosten im Betrage von CHF 7 45.15 sowie eine Urteilsgebühr von CHF 450.-
Entscheid 2012-043N
Das kantonale Appellationsgericht spricht den Beschuldigten der Rassendiskriminierung schuldig (Art. 261bis Abs. 4).
Entscheid
X ist der Rassendiskriminierung schuldig gesprochen worden (Art. 261bis Abs. 4). Er wird mit einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen à CHF 200.- pro Tag bestraft.
Entscheid 2014-018N
Das Bundesgericht heisst die Berufung des Angeklagten gut und weist die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Rechtliche Erwägungen
Das Bundesgericht prüft, ob der angeklagte Polizist durch seine Äusserungen den Betroffenen wegen seiner Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossende Weise herabgesetzt oder diskriminiert hat (Art. 261bis Abs. 4 erste Hälfte StGB).
Das Bundesgericht hält fest, dass bei der strafrechtlichen Beurteilung einer Äusserung i.S.v. Art. 261bis StGB der Sinn massgebend ist, welchen ihr der unbefangene Dritte unter den gesamten konkreten Umständen beilegt.
- Vorliegen eines Schutzobjektes
Art. 261
bis Abs. 4 erste Hälfte StGB ist nur erfüllt, wenn, der Täter den Betroffenen deshalb herabsetzte, weil dieser einer bestimmten Rasse, Ethnie oder Religion angehört. Das Bundesgericht hält fest, dass bei Äusserungen wie „Dreckjugo“, „Saujude“ oder „schwarze Sau“ der Bezug zu einer bestimmten Rasse, Ethnie oder Religion zweifellos gegeben sei. Bei Äusserungen wie „Sauausländer“ oder „Drecksasylant“ fehle jedoch der Bezug zu einer bestimmten Rasse, Ethnie oder Religion, da unter die Begriffe „Ausländer“ und „Asylanten“ ganz unterschiedliche Personengruppen fallen.
Das Bundesgericht verweist jedoch auf die herrschende Lehre, nach welcher auch Begriffe wie „Asylant“ und „Ausländer“ von Art. 261
bis StGB erfasst werden, wenn sie als Synonym für bestimmte Rassen oder Ethnien oder als Sammelbegriff für eine Mehrzahl konkreter einzelner Rassen oder Ethnien verwendet werden. Entgegen der Meinung der Vorinstanz waren die Bezeichnungen „Asylant“ und „Ausländer“ laut Bundesgericht nicht zwingend als Sammelbegriffe beziehungsweise Synonyme für aussereuropäische Rassen und Ethnien zu verstehen, bloss weil der Betroffene offensichtlich nordafrikanischer Herkunft ist. Die Auffassung der Vorinstanz widerspreche dem strafrechtlichen Legalitätsprinzip (Art. 1 StGB) und der Maxime
in dubio pro reo (Art. 10 StPO).
Laut Bundesgerichts sei es ebenso gut möglich, dass nach dem Eindruck eines unbefangenen Dritten der Angeklagte den Betroffenen nicht aufgrund seiner Rasse, Ethnie oder Religion beschimpfte, sondern weil er Ausländer und Asylbewerber ist. Der rechtliche Status als Ausländer und Asylbewerber sei nicht vom Schutzbereich von Art. 261
bis Abs. 4 erste Hälfte StGB erfasst.
- Verletzung der Menschenwürde
Das Bundesgericht hält fest, dass selbst wenn der angeklagte Polizist den Betroffenen aufgrund seiner Rasse, Ethnie oder Religion beschimpfte, der Tatbestand von Art. 261
bis Abs. 4 erste Hälfte StGB nicht erfüllt sei. Laut Bundesgericht werden die Begriffe „Sau“ und „Dreck“ im deutschen Sprachgebrauch als blosse Beschimpfungen i.S.v. Art. 177 StGB und nicht als Angriffe auf die Menschenwürde empfunden. Dies gelte auch, wenn diese Begriffe in Verbindung mit bestimmten Nationalitäten beziehungsweise Ethnien verwendet werden.
Auch wenn die Äusserungen des angeklagten Polizisten in einem besonderen Masse deplatziert und inakzeptabel waren, sei der Tatbestand von Art. 261
bis Abs. 4 erste Hälfte StGB nicht erfüllt.
Das Bundesgericht hält fest, dass der Angeklagte den Betroffenen durch seine Äusserungen nicht wegen dessen Rasse, Ethnie oder Religion herabsetzte und jedenfalls nicht in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise.
Entscheid
Das Bundesgericht heisst die Berufung des Angeklagten gut und weist die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
Entscheid 2014-046N
Das kantonale Appellationsgericht spricht den Beschuldigten von der Anklage der Rassendiskriminierung frei.
Rechtliche Erwägungen
Der Beurteilte hat somit im zivilrechtlichen Sinne widerrechtlich und schuldhaft gehandelt (i.S.v. Art. 28 ZGB). Es fehlt hingegen der Kausalzusammenhang zwischen seinem zivilrechtlich vorwerfbaren Handeln und den Kosten des Strafverfahrens. Da von Anfang kein Strafantrag des Verletzten vorhanden war, ist richtigerweise kein Verfahren wegen Ehrverletzung eingeleitet worden. Hätte die bundesgerichtliche Präzisierung der Rechtsprechung zum Straftatbestand der Rassendiskriminierung bereits im Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens bestanden, wäre auch das diesbezügliche Verfahren mangels Erfüllung des Tatbestandes überhaupt nicht an die Hand genommen resp. eingestellt worden. Die Kosten des Strafverfahrens sind daher aufgrund einer unrichtigen Beurteilung der Rechtslage durch die Strafverfolgungsbehörden und der kantonalen Gerichte entstanden und können infolgedessen dem Beurteilten nicht auferlegt werden.
Entscheid
Das kantonale Appellationsgericht spricht den Beschuldigten von der Anklage der Rassendiskriminierung frei.