Fall 1999-029N
Graubünden
Verfahrensgeschichte | ||
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1998 | 1998-045N | 1. Instanz verurteilt den Angeklagten. Der Beurteilte hat beim urteilenden Gericht die Aufhebung des Abwesenheitsurteils und die Durchführung des ordentlichen Gerichtsverfahrens verlangt. |
1999 | 1999-029N | 1. Instanz verurteilt den Angeklagten. Das urteilende Gericht bestätigt das Abwesenheitsurteil. |
2000 | 2000-001N | 2. Instanz heisst die Berufung teilweise gut. Sie reduziert die Gefängnisstrafe. |
Juristische Suchbegriffe | |
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Tathandlung / Objektiver Tatbestand | Aufruf zu Hass und Diskriminierung (Abs. 1); Herabsetzung oder Diskriminierung (Abs. 4 Hälfte 1) |
Schutzobjekt | Ethnie |
Spezialfragen zum Tatbestand | Öffentlichkeit |
Stichwörter | |
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Tätergruppen | Privatpersonen |
Opfergruppen | Ausländer und Angehörige verschiedener Ethnien |
Tatmittel | Wort; Schrift |
Gesellschaftliches Umfeld | Öffentliche Orte |
Ideologie | Rassismus (Nationalität / Herkunft) |
Der Angeklagte bedruckte zwei T-Shirts mit der Aufschrift «We ♥ Portugeses» auf der Vorderseite. Auf der Rückseite war ein Messer im Rücken mit klaffender Wunde und Blutlache abgebildet. Dieses T-Shirt zeigte er verschiedenen Bargästen. Zudem rief er in einem Restaurant «Ihr Scheissportugiesen», «Scheissportugiese, euch müsste man alle rauswerfen» und «Alle Portugiesen sind Scheisse».
Die 1. Instanz erachtete in beiden Fallkonstellationen die Tatbestände nach Abs. 1 und Abs. 4 Hälfte 1 des Art. 261bis StGB als erfüllt an. Der Angeklagte wurde wegen mehrfacher Begehung der Rassendiskriminierung und weiterer Delikte, wie z.B. Ausnützung der Notlage und Körperverletzung, zu 6 Monaten Gefängnis unbedingt verurteilt.
Die 2. Instanz heisst die Berufung teilweise gut; die Verurteilung wegen mehrfacher Begehung der Rassendiskriminierung wird bestätigt.
a.) Im März 1996 beauftragte der Angeklagte eine Textilfirma, zwei T-Shirts wie folgt zu bedrucken:
Vorderseite: «We ♥ Portugeses»
Rückseite: Messer im Rücken, klaffende Wunde und Blutlache
Eines der T-Shirts legte der Angeklagte im Hotel-Office, zu dem die Gäste keinen Zugang haben, auf und zeigte es verschiedenen Hotelangestellten. Das zweite T-Shirt wurde in der Hotelbar hinter der Theke an einem Kleiderbügel so aufgehängt, dass nur die Vorderseite (We ♥ Portugeses) zu sehen war.
An einem Abend nahm der Angeklagte dieses zweite T-Shirt und zeigte es mindestens zwei Bargästen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch ca. 15 weitere Personen in einem anderen Teil der Bar. Einem der Gäste schenkte er es schliesslich und forderte ihn auf, es in einem anderen Restaurant zu tragen.
b.) Zwischen Oktober und November 1996 rief der Angeklagte anlässlich eines Besuchs in einem anderen Restaurant «Ihr Scheissportugiesen», «Scheissportugiese, euch müsste man alle rauswerfen» sowie «Alle Portugiesen sind Scheisse». Zu diesem Zeitpunkt hielten sich ca. 20 bis 30 Personen im Lokal auf.
Die Vorinstanz verurteilte den Angeklagten u.a. wegen mehrfacher Diskriminierung nach Art. 261bis Abs. 1 und 4 Hälfte 1 StGB zu 6 Monaten Gefängnis.
Der Angeklagte legte gegen dieses Urteil Berufung ein und beantragte u.a. Freispruch im Angklagepunkt der mehrfachen Rassendiskriminierung.
Entscheid 1998-045N
Verurteilung zu 6 Monaten Gefängnis wegen Ausnützung der Notlage (Art. 193 Abs. 1 StGB), Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB), mehrfacher Rassendiskriminierung (Art. 261bis Abs. 1 und 4 StGB), mehrfacher Drohung (Art. 180 StGB) etc. Die Probezeit wird um ein Jahr verlängert.
Entscheid 1999-029N
a.) Die 1. Instanz subsumiert diese Handlungen unter Abs. 1 und Abs. 4 Hälfte 1.
Nach Abs. 1 macht sich strafbar, wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft.
Die Portugiesen bilden eine Ethnie. Die Handlungen des Angeklagten müssen zudem öffentlich vorgenommen worden sein, was die 1. Instanz unter Verweis auf den Sachverhalts ohne weiteres annimmt. Ein Aufrufen zu Hass oder Diskriminierung liegt erst dann vor, «[...] wenn sich der Täter derart eindringlich an die Öffentlichkeit wendet, dass er ein Gefühl der Feindschaft gegenüber einer bestimmten Volksgruppe oder einer Person hervorrufen oder den Eindruck der Minderwertigkeit von Menschen oder Gruppen anderer Rasse, Ethnie oder Religion vermitteln kann. Dabei muss zum Ausdruck kommen, dass die angegriffenen Menschen nicht in gleichem Masse wie andere Grundrechte wahrnehmen sollen. Dies ist vorliegend bei der gewählten T-Shirt-Bedruckung zweifelsfrei der Fall.[...] Gleichzeitig hat er mit seinem Verhalten Art. 261bis Abs. 4 [Hälfte 1] StGB objektiv erfüllt, werden doch in casu Personen wegen ihrer Ethnie in einer gegen die Menschenwürde verstossende Weise herabgesetzt bzw. diskriminiert. Die gewählte Darstellung kann nämlich keinesfalls mehr als geschmackloser Witz aufgefasst werden.» (S.7)
Die 1. Instanz erachtet ebenfalls den subjektiven Tatbestand erfüllt und somit ist der Angeklagte bezüglich der inkriminierten T-Shirts wegen Rassendiskriminierung im Sinne von Abs. 1 und Abs. 4 Hälfte 1 schuldig.
b.) Die 1. Instanz kommt bezüglich der getätigten Äusserungen gegenüber Portugiesen zum gleichen Schluss wie in Punkt a.). Der Angeklagte hat sich hier ebenfalls der Rassendiskriminierung im Sinne von Abs. 1 und Abs. 4 Hälfte 1 schuldig gemacht.
Verurteilung zu 6 Monaten Gefängnis wegen Ausnützung der Notlage (Art. 193 Abs. 1 StGB), Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB), mehrfacher Rassendiskriminierung (Art. 261bis Abs. 1 und 4 StGB), mehrfacher Drohung (Art. 180 StGB) etc. Die Probezeit wird um ein Jahr verlängert.
Entscheid 2000-001N
Der Angeklagte begründet seine Berufung gegen die Verurteilung wegen mehrfacher Begehung der Rassendiskriminierung damit, dass es sich beim T-Shirt lediglich um einen Scherz gehandelt habe.
Die 2. Instanz bestätigt das vorinstanzliche Urteil bezüglich dieses Berufungspunktes und führte dazu aus: «Die vom Berufungskläger gewählte T-Shirt-Bedruckung ist zweifelsohne geeignet, ein Gefühl der Feindschaft gegenüber den Portugiesen allgemein hervorzurufen und gleichzeitig den Eindruck der Minderwertigkeit von Menschen dieser Ethnie zu vermitteln. Die Herabsetzung beziehungsweise die Diskriminierung in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise ist in casu erfüllt, indem mit der Darstellung der Eindruck geweckt wird, dass alle «lieben» Portugiesen am besten umgebracht werden." (E.6.b)
«Wer zudem Menschen einer anderen Staatsangehörigkeit öffentlich beschimpft, sie als «Scheisse» behandelt und gleichzeitig eindringlich proklamiert, man müsste sie alle aus der Schweiz rauswerfen, ruft explizit zur Diskriminierung auf und bringt zum Ausdruck, diese Menschen sollten nicht im gleichen Masse wie andere der Grundrechte teilhaftig werden." (E.6.c)
Teilweise Gutheissung der Berufung; die Verurteilung wegen mehrfacher Begehung der Rassendiskriminierung wird bestätigt. Das Kantonsgericht reduziert die Gefängnisstrafe von 6 Monaten unbedingt nicht.