Tarek Naguib ist Jurist und Experte für Antidiskriminierungsrecht. Er koordiniert die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz und ist Leiter des Bereichs Beratung der isa – Fachstelle Migration.
tarek.naguib@gmail.com
Die Zeit ist reif für ein Antidiskriminierungsgesetz
Vor bald 20 Jahren wurde auf politischer Ebene erstmals der Vorschlag für ein allgemeines Gleichbehandlungsgesetz in der Schweiz lanciert. Nun ist der Moment gekommen, beim Schutz vor Diskriminierung einen wichtigen Schritt vorwärtszumachen.
Im März 2007 reichte der damalige St. Galler Nationalrat Paul Rechsteiner (SP) eine parlamentarische Initiative ein, mit der er ein Gleichbehandlungsgesetz forderte. Der Vorstoss wurde in der vorberatenden Kommission für Rechtsfragen mit 14 zu 8 Stimmen abgelehnt und hatte auch im Nationalrat keine Chance (117 Nein gegen 55 Ja). Die dagegen vorgetragenen Argumente sind kurz zusammengefasst: Es gebe bereits gesetzliche Grundlagen, das geforderte Gesetz würde lediglich Symbolfunktion haben bzw. nur der Prävention dienen. Zudem würde mit einem Ausbau des Rechts der Grundsatz der Vertragsfreiheit geschwächt.
Gut drei Jahre später lancierte der Verein humanrights.ch im Sommer 2010 eine Konsultationsreihe für ein Projekt, das sich für einen umfassenden und gerechten Schutz vor Diskriminierung einsetzt. Die zivilgesellschaftlichen Stimmen waren sich darin einig, dass die aktuelle Rechtslage unvollständig und ungenügend ist. Differenzen gab es allerdings in der Beurteilung, ob ein solches Projekt politisch hilfreich ist. Befürchtet wurde insbesondere, dass ein Ausbau der rechtlichen Grundlagen nicht mit einem Ausbau der zu ihrer Umsetzung erforderlichen Mittel einhergeht – sondern das Gegenteil bewirkt: Bestehende Fortschritte etwa in der Gleichstellung der Frauen könnten noch mehr unter Druck geraten als sie es schon sind. Zudem seien die Probleme zu unterschiedlich, um sie unter einen Hut zu bringen. In der Diskussion wurde rasch klar, dass die Mitglieder der Arbeitsgruppe vor allem ihre eigenen Ziele vorwärtsbringen wollen – zum Beispiel die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes oder der Einsatz für die Rechte von Transpersonen oder Schwulen und Lesben.
Das zivilgesellschaftliche Projekt wurde 2012 aufgrund der fehlenden gemeinsamen Stossrichtung ad acta gelegt. Daraufhin initiierte humanrights.ch über den damaligen Nationalrat Martin Naef ein Postulat. Darin wurde der Bundesrat aufgefordert, einen Bericht vorzulegen, der die Potenziale des geltenden Bundesrechts zum Schutz vor Diskriminierung aufzeigen soll. Beauftragt wurde das damalige Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR), das 2015 dazu eine gross angelegte Studie veröffentlichte. Das SKMR verzichtet explizit auf die Empfehlung für die Schaffung eines allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes, das alle Diskriminierungsbereiche zusammenbringen und die bestehende Spezialgesetzgebung ersetzen würde. Dies mit der folgenden Begründung: «Die vorliegende Studie zeigt deutlich die stark unterschiedliche Lagerung der Problematik in den verschiedenen Diskriminierungsbereichen und legt damit nahe, dass es schwierig sein dürfte, übergreifende Normen zu schaffen, welche allen Bereichen gerecht werden.»
Neuer Anlauf auf breiter Basis
Damit wurde der politischen Forderung nach einem Antidiskriminierungsgesetz erneut eine Absage erteilt, dieses Mal wissenschaftlich akkreditiert. In einem Beitrag 2016 kritisierte ich diese Schlussfolgerung und machte mit Verweis auf ausländische Erfahrungen wie zum Beispiel dem britischen Equality Act 2010 deutlich, «dass ein spezialgesetzlicher Diskriminierungsschutz und ein allgemeines Antidiskriminierungsgesetz einander nicht ausschliessen, sondern eine fruchtbare Ergänzung bedeuten können». Auch den Autorinnen und Autoren der SKMR-Studie selbst war offenbar nicht so recht wohl bei ihrer defensiven Haltung. In der Folge zeigte sich das SKMR nur kurze Zeit später dazu bereit, gemeinsam mit der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz einen erneuten Versuch für einen breiten Ausbau des Antidiskriminierungsrechts zu unterstützen. Schliesslich fanden in den Jahren 2020 und 2021 zwei Tagungen zur inhaltlichen, strategischen und methodischen Stärkung des Diskriminierungsschutzes in der Schweiz statt. Daraufhin gründete die NGO-Plattform die Arbeitsgruppe Diskriminierungsschutz.
Im Zuge der Arbeiten der Arbeitsgruppe kam es nun erstmals in der Schweiz zur Forderung eines umfassenden Schutzes vor Diskriminierung: Im Februar 2025 legte humanrights.ch einen konkreten Entwurf für ein Rahmengesetz zur Bekämpfung von Diskriminierung vor, der sich auf die Grundlagen rechtssoziologischer Erkenntnisse aus dem In- und Ausland stützt. «Es soll individuelle, institutionelle und strukturelle Diskriminierung verhindern, verringern und beseitigen. Zudem bildet es den Rahmen für weiterführende gesetzliche Regelungen und administrative Massnahmen, welche das Diskriminierungsverbot mit Blick auf alle betroffenen Gruppen, Lebensbereiche und Probleme konkretisieren», hält humanrights.ch fest. Gestützt wird die Forderung auch durch das Manifest für ein allgemeines Gleichbehandlungsgesetz der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR), das im Juni 2025 veröffentlicht wurde.
Das Manifest orientiert sich an einer von der EKR in Auftrag gegebenen Studie (Pärli/Naguib 2025), die zu folgendem Schluss kommt: «Mit einem umfassenden Antidiskriminierungs- oder Gleichbehandlungsgesetz, das neben rassistischer auch andere Diskriminierungen erfasst, werden im Vergleich zu einem Spezialgesetz, welches lediglich rassistische Diskriminierungen erfasst, Massnahmen eingeführt, mit denen strukturelle Diskriminierungen von Menschen mit Migrationsgeschichte, Schwarze Menschen und People of Color auf umfassende Weise bekämpft werden. Ausserdem würde mit einer breiten Lösung den Forderungen internationaler Menschenrechtsüberwachung entsprochen.»
Elemente eines umfassenden rechtlichen Diskriminierungsschutzes Regelungen zur Tragweite des Schutzes vor Diskriminierung:
• rechtliche und tatsächliche Verwirklichung der Gleichbehandlung und Bekämpfung von Diskriminierung;
• Definition von Diskriminierung und Gleichbehandlung;
• erfasste Lebensbereiche (insbesondere Arbeits- und Mietverhältnisse);
• Verhältnis des Gesetzes zum kantonalen und kommunalen Recht;
• Formen von Diskriminierung, Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen. Effektive Regeln zu Rechtsschutz und Sanktionierung:
• Rechtsansprüche;
• Verbandsklagerecht;
• Beweiserleichterung;
• einem Gerichtsverfahren vorgeschaltete Schlichtungs- und allenfalls auch Mediationsverfahren;
• Reduktion der Kostenrisiken (z.B. Unentgeltlichkeit des Verfahrens);
• Anspruch auf unentgeltliche juristische und psychosoziale Beratung. Regelungen zum Abbau struktureller und institutioneller Diskriminierung:
• Verpflichtung des Staates sicherzustellen, dass Entscheide von Regierung und Parlament Diskriminierung verhindern, ver ringern und beseitigen;
• Verpflichtung von privatrechtlichen Organisationen mit Mehrheitsbeteiligung der öffentlichen Hand, über ihre Massnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung Bericht zu erstatten;
• spezifische Regelungen zu neuen Herausforderungen (z.B. Prävention von algorithmischer Diskriminierung);
• Verankerung eines Anspruchs auf unentgeltliche oder kostengünstige Überprüfung von Abläufen und Prozessen für Unter nehmen bis zu einer gewissen Grösse. Institutionelle Vorkehrungen zur Durchsetzung des Diskriminierungsverbots:
• Fachstellen mit dem Auftrag, zu informieren, zu sensibilisieren, Programme zu entwickeln, Projekte zu fördern, Analysen und Untersuchungen vorzunehmen sowie Akteure zu koordinieren;
• unabhängige staatliche Gremien (wie z.B. eidgenössische Kommissionen), welche gesellschaftlich verbreitete und neue For men von Diskriminierung analysieren und Empfehlungen abgeben;
• unabhängiges Monitoring von Diskriminierung und Gegenmassnahmen (etwa als Auftrag an eine nationale Menschenrechtsinstitution);
• Anlaufstellen für Ratsuchende (wie z.B. eine Ombudsstelle oder ein staatlich finanziertes Netzwerk von privaten Beratungs stellen).
Vision einer gerechten Gesellschaft
Neben rechtspraktischen Argumenten wie Transparenz und Effektivität (siehe Kasten) sprechen vor allem auch gesamtgesellschaftliche Gründe für ein solches Gesetz. Der Druck auf das Fundament rechtsstaatlicher Errungenschaften ist enorm gestiegen. Die Forderung nach einem umfassenden Antidiskriminierungsgesetz eröffnet die Möglichkeit, diesem Druck ein zukunftsgerichtetes Bild einer gerechten und demokratischen Gesellschaft entgegenzusetzen. «Es bietet die Chance, voneinander zu lernen und die Aufmerksamkeit im politischen Diskurs zu erhöhen», wie humanrights.ch schreibt. Auch wird der Weg geebnet und die Bereitschaft gefördert, sich gegen Diskriminierung zu wehren. Organisationen erhalten die Möglichkeit, strategische Prozesse und Rechtsverfahren zu führen, um grundsätzliche Veränderungen anzustossen und systemische Diskriminierungen abzubauen.
Ein Rahmengesetz verpflichtet Behörden und Verantwortliche, die Vorgaben innerhalb der eigenen Organisation umzusetzen, das Prinzip der Nichtdiskriminierung ernster zu nehmen und sich stärker für Präventions- und Beratungsmassnahmen einzusetzen. Schliesslich ermöglicht ein umfassender Ansatz, gruppenübergreifende Probleme wie mehrdimensionale Diskriminierungen, Diskriminierung durch Künstliche Intelligenz sowie neue Phänomene gezielt zu erfassen und anzugehen
Im März 2007 reichte der damalige St. Galler Nationalrat Paul Rechsteiner (SP) eine parlamentarische Initiative ein, mit der er ein Gleichbehandlungsgesetz forderte. Der Vorstoss wurde in der vorberatenden Kommission für Rechtsfragen mit 14 zu 8 Stimmen abgelehnt und hatte auch im Nationalrat keine Chance (117 Nein gegen 55 Ja). Die dagegen vorgetragenen Argumente sind kurz zusammengefasst: Es gebe bereits gesetzliche Grundlagen, das geforderte Gesetz würde lediglich Symbolfunktion haben bzw. nur der Prävention dienen. Zudem würde mit einem Ausbau des Rechts der Grundsatz der Vertragsfreiheit geschwächt.
Gut drei Jahre später lancierte der Verein humanrights.ch im Sommer 2010 eine Konsultationsreihe für ein Projekt, das sich für einen umfassenden und gerechten Schutz vor Diskriminierung einsetzt. Die zivilgesellschaftlichen Stimmen waren sich darin einig, dass die aktuelle Rechtslage unvollständig und ungenügend ist. Differenzen gab es allerdings in der Beurteilung, ob ein solches Projekt politisch hilfreich ist. Befürchtet wurde insbesondere, dass ein Ausbau der rechtlichen Grundlagen nicht mit einem Ausbau der zu ihrer Umsetzung erforderlichen Mittel einhergeht – sondern das Gegenteil bewirkt: Bestehende Fortschritte etwa in der Gleichstellung der Frauen könnten noch mehr unter Druck geraten als sie es schon sind. Zudem seien die Probleme zu unterschiedlich, um sie unter einen Hut zu bringen. In der Diskussion wurde rasch klar, dass die Mitglieder der Arbeitsgruppe vor allem ihre eigenen Ziele vorwärtsbringen wollen – zum Beispiel die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes oder der Einsatz für die Rechte von Transpersonen oder Schwulen und Lesben.
Das zivilgesellschaftliche Projekt wurde 2012 aufgrund der fehlenden gemeinsamen Stossrichtung ad acta gelegt. Daraufhin initiierte humanrights.ch über den damaligen Nationalrat Martin Naef ein Postulat. Darin wurde der Bundesrat aufgefordert, einen Bericht vorzulegen, der die Potenziale des geltenden Bundesrechts zum Schutz vor Diskriminierung aufzeigen soll. Beauftragt wurde das damalige Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR), das 2015 dazu eine gross angelegte Studie veröffentlichte. Das SKMR verzichtet explizit auf die Empfehlung für die Schaffung eines allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes, das alle Diskriminierungsbereiche zusammenbringen und die bestehende Spezialgesetzgebung ersetzen würde. Dies mit der folgenden Begründung: «Die vorliegende Studie zeigt deutlich die stark unterschiedliche Lagerung der Problematik in den verschiedenen Diskriminierungsbereichen und legt damit nahe, dass es schwierig sein dürfte, übergreifende Normen zu schaffen, welche allen Bereichen gerecht werden.»
Neuer Anlauf auf breiter Basis
Damit wurde der politischen Forderung nach einem Antidiskriminierungsgesetz erneut eine Absage erteilt, dieses Mal wissenschaftlich akkreditiert. In einem Beitrag 2016 kritisierte ich diese Schlussfolgerung und machte mit Verweis auf ausländische Erfahrungen wie zum Beispiel dem britischen Equality Act 2010 deutlich, «dass ein spezialgesetzlicher Diskriminierungsschutz und ein allgemeines Antidiskriminierungsgesetz einander nicht ausschliessen, sondern eine fruchtbare Ergänzung bedeuten können». Auch den Autorinnen und Autoren der SKMR-Studie selbst war offenbar nicht so recht wohl bei ihrer defensiven Haltung. In der Folge zeigte sich das SKMR nur kurze Zeit später dazu bereit, gemeinsam mit der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz einen erneuten Versuch für einen breiten Ausbau des Antidiskriminierungsrechts zu unterstützen. Schliesslich fanden in den Jahren 2020 und 2021 zwei Tagungen zur inhaltlichen, strategischen und methodischen Stärkung des Diskriminierungsschutzes in der Schweiz statt. Daraufhin gründete die NGO-Plattform die Arbeitsgruppe Diskriminierungsschutz.
Im Zuge der Arbeiten der Arbeitsgruppe kam es nun erstmals in der Schweiz zur Forderung eines umfassenden Schutzes vor Diskriminierung: Im Februar 2025 legte humanrights.ch einen konkreten Entwurf für ein Rahmengesetz zur Bekämpfung von Diskriminierung vor, der sich auf die Grundlagen rechtssoziologischer Erkenntnisse aus dem In- und Ausland stützt. «Es soll individuelle, institutionelle und strukturelle Diskriminierung verhindern, verringern und beseitigen. Zudem bildet es den Rahmen für weiterführende gesetzliche Regelungen und administrative Massnahmen, welche das Diskriminierungsverbot mit Blick auf alle betroffenen Gruppen, Lebensbereiche und Probleme konkretisieren», hält humanrights.ch fest. Gestützt wird die Forderung auch durch das Manifest für ein allgemeines Gleichbehandlungsgesetz der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR), das im Juni 2025 veröffentlicht wurde.
Das Manifest orientiert sich an einer von der EKR in Auftrag gegebenen Studie (Pärli/Naguib 2025), die zu folgendem Schluss kommt: «Mit einem umfassenden Antidiskriminierungs- oder Gleichbehandlungsgesetz, das neben rassistischer auch andere Diskriminierungen erfasst, werden im Vergleich zu einem Spezialgesetz, welches lediglich rassistische Diskriminierungen erfasst, Massnahmen eingeführt, mit denen strukturelle Diskriminierungen von Menschen mit Migrationsgeschichte, Schwarze Menschen und People of Color auf umfassende Weise bekämpft werden. Ausserdem würde mit einer breiten Lösung den Forderungen internationaler Menschenrechtsüberwachung entsprochen.»