Fall 1997-032N

Leserbrief

Zürich

Verfahrensgeschichte
1997 1997-032N Die 1. Instanz spricht den Angeklagten der Rassendiskriminierung nach Art. 261bis Abs. 4 I StGB schuldig.
Juristische Suchbegriffe
Tathandlung / Objektiver Tatbestand Herabsetzung oder Diskriminierung (Abs. 4 Hälfte 1)
Schutzobjekt Ethnie;
Religion
Spezialfragen zum Tatbestand Öffentlichkeit
Stichwörter
Tätergruppen Privatpersonen
Opfergruppen Juden
Tatmittel Wort;
Schrift;
Verbreiten von rassistischem Material
Gesellschaftliches Umfeld Behörden / Ämter / Armee;
Medien (inkl. Internet)
Ideologie Antisemitismus;
Revisionismus

Kurzfassung

Der Angeklagte verschickte ein selbst verfasstes Schriftstück, deutlich mit «Leserbrief» markiert, an über 50 Zeitungsredaktionen und an ein Kantonsgericht. Der Leserbrief beinhaltete unter anderem folgende Aussagen:

- «Eine Million Juden sind nicht so viel wert wie der Fingernagel eines Deutschen… Wie klingt das? (So darf sich ein Deutscher in der Zeitung natürlich nicht straflos äussern, nur ein Jude)».
- «Immer wenn jüdische Agitatoren beim Beherrschen von Nichtjuden behindert werden, reden sie von Judenverfolgung. Wer hat hier die totale Narrenfreiheit? Entscheiden Sie selbst».

Der Angeklagte fühlte sich nach eigener Aussage provoziert von einem Zitat, wonach angeblich Rabbi Yaacov Perrin (anlässlich seiner Grabrede bei der Beerdigung des jüdischen Siedlers Baruch Goldstein, welcher bei einem Amoklauf mit Massenmord an Palästinensern und Palästinenserinnen, die in der Moschee von Hebron beteten, ums Leben gekommen sei) geäussert haben soll: «Eine Million Araber sind nicht so viel wert wie der Fingernagel eines einzigen Juden». Diese Äusserung sei von der London Times in der Ausgabe vom 28. Februar 1994 erschienen.

Die zuständige Strafverfolgungsbehörde erliess in der Folge einen Strafbefehl gegen den Angeklagten. Dieser zeigte sich uneinsichtig, war bezüglich des Tathergangs geständig, bestritt jedoch dessen rechtliche Würdigung. Deshalb erhob er Einsprache gegen den Strafbefehl der zuständigen Strafverfolgungsbehörde bei der 1. Instanz.
Die 1. Instanz kommt in der richterlichen Analyse zum Schluss, im Gesamtzusammenhang kann nicht zweifelhaft sein, dass der Angeklagte eine Erfüllung des Tatbestandes der Rassendiskriminierung zumindest in Kauf nahm, wenn nicht sogar in vermeintlich raffinierter Weise geradezu provozierte. Deshalb verurteilte die 1. Instanz den Angeklagten wegen Rassendiskriminierung nach Art. 261bis Abs. 4 I StGB.

Sachverhalt

Nach eigener Aussage fühlte sich der Angeklagte provoziert von einem Zitat, wonach angeblich Rabbi Yaacov Perrin (anlässlich seiner Grabrede bei der Beerdigung des jüdischen Siedlers Baruch Goldstein, welcher bei einem Amoklauf mit Massenmord an Palästinensern und Palästinenserinnen, die in der Moschee von Hebron beteten, ums Leben gekommen sei) geäussert haben soll: «Eine Million Araber sind nicht so viel wert wie der Fingernagel eines einzigen Juden». Diese Äusserung sei von der London Times in der Ausgabe vom 28. Februar 1994 erschienen.

In Folge verfasste der Angeklagte ein Schriftstück namens «Leserbrief» und verschickte es an über 50 Zeitungsredaktionen und an das Trogener Kantonsgericht. Das Schriftstück enthielt unter anderem folgende Aussagen:

- «Eine Million Juden sind nicht so viel wert wie der Fingernagel eines Deutschen… Wie klingt das? (So darf sich ein Deutscher in der Zeitung natürlich nicht straflos äussern, nur ein Jude)».
- «Immer wenn jüdische Agitatoren beim Beherrschen von Nichtjuden behindert werden, reden sie von Judenverfolgung. Wer hat hier die totale Narrenfreiheit? Entscheiden Sie selbst».
- Der Angeklagte spricht von einer «fehlenden Schulbuchseite» in den Geschichtsbüchern, die von «seit 1946 systematisch unterdrückten Tatsachen sprechen, welche das wahre Gesicht der ‘peace loving’ Juden enthüllen und Aufschluss über deren Kriegsschuld (!) geben».
- «Die Zukunft: Tatsächlich werden wir von einer jüdischen Weltherrschaft massiv bedroht».
- «Hitlers Versuch, im bestehenden Baugerüst des ‘Jüdischen Weltreiches’ noch schnell ein Deutsches Reich zu installieren, war geradezu infantil».

Weiterhin schickt er eine Anfrage an verschiedene Amtsstellen, ob er Geiz ohne weiteres als «jüdisch» umschreiben dürfe, wenn doch ein kriminell-dubioser Verdacht gegen eine Person auch als «spanisch» bezeichnet werde.

Rechtliche Erwägungen

Die 1. Instanz hält nach Art. 261bis Abs. 4 I fest, strafbar macht sich, wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert. Nachfolgend beurteilt die 1. Instanz, ob die Erfordernisse für die Erfüllung des Straftatbestandes gegeben sind:

- Tatbestandsmerkmal der «Öffentlichkeit»: die 1. Instanz definiert «Öffentlichkeit» als «von allen zur Kenntnis wahrnehmbar» oder «an einen grösseren, durch persönliche Beziehungen nicht zusammengehörenden Kreis von Personen gerichtet» in Zusammenhang mit dem Verlust der Kontrolle über den Wirkungskreis. Die Äusserung des Angeklagten war an das Trogener Kantonsgericht und an über 50 Zeitungsredaktionen gerichtet. Bereits damit konnten seine Äusserungen von einer unbestimmten Anzahl von Personen wahrgenommen werden. Damit sieht die 1. Instanz das Tatbestandsmerkmal der «Öffentlichkeit» als erfüllt an.

- Tatbestandsmerkmal der «Religion»: Die 1. Instanz hält fest, dass die Aussagen des Angeklagten klar jüdische Menschen betreffen. Das Judentum als Weltreligion erfüllt das Tatbestandsmerkmal der «Religion», laut Ansicht der 1. Instanz, klar.

- Tatbestandsmerkmal der «Herabsetzung» bzw. «Diskriminierung»: Das Gericht hält fest, dass Herabsetzung eine Bewertung über eine Person oder Gruppe von Personen beinhaltet, währenddessen die Diskriminierung eher eine Behandlung beinhaltet. «Herabsetzung» wird definiert als die Äusserung einer Minderwertigkeit bezüglich einer Person oder Gruppe von Personen, wobei diese Behauptung den Kern der Persönlichkeit der Betroffenen insofern verletzt, als dass ihnen die Qualität als Menschen überhaupt abgesprochen oder zumindest in Frage gestellt wird, und ä ausdrücklich oder stillschweigend – ihnen die Position als gleichwertige, zu respektierende und zu achtende Wesen und Teilnehmende der menschlichen Gesellschaft und damit auch als gleichberechtigte Subjekte abgesprochen wird. Die 1. Instanz sieht die Herabsetzung bei einer behaupteten mehr als millionenfachen Minderwertigkeit in übelster Form als erfüllt an.

Damit sieht die 1. Instanz alle erforderlichen Tatbestandsmerkmale als erfüllt an. Ebenso sieht die 1. Instanz den subjektiven Tatbestand als erfüllt an, da der Beschuldigte mit seinem Leserbrief eine maximale Anzahl Menschen zu erreichen versuchte und die Verbreitung also bewusst in Kauf nahm oder sogar provozierte.

Der Angeklagte verband seine Aussage allerdings mit der Frage «… wie klingt das? (So darf sich ein Deutscher in der Zeitung natürlich nicht straflos äussern, nur ein Jude». Die Behauptung des Angeklagten, er habe den zur Diskussion stehenden Vergleich gezogen, um den Leuten zu zeigen, wie die angebliche Äusserung Rabbi Yaacovs umgekehrt tönen würde, weil den Leuten der Rassismus in der ursprünglichen Äusserung nicht auffalle, sieht die 1. Instanz nicht als zulässig an. Die Frage stellt nicht die nötige Distanz zum Behaupteten her und steht dazu noch völlig neutral – ohne kritischen Kommentar oder Erläuterung – da und erlaubt insbesondere auch eine Bejahung der Frage.

Der Angeklagte beruft sich auch auf die Meinungsäusserungsfreiheit. Die 1. Instanz hält dazu fest, dass die Abgrenzung der Norm zur Meinungsäusserungsfreiheit im Einzelfall vorzunehmen ist und eine einschränkende Auslegung der Rassismusnorm gebietet, indem nur krasse, geradezu menschenverachtende und verabscheuungswürdige Äusserungen und Formen der Diskriminierung unter die Strafbestimmung fallen. Diesbezüglich gibt die Antirassismusstrafnorm die gesetzliche Grundlage für eine Einschränkung von entsprechenden Rechten und der Angeklagte kann sich demzufolge nicht auf die Freiheitsrechte berufen, weil ein öffentliches Interesse (hier die Wahrung des öffentlichen Friedens durch den Schutz der Menschenwürde) im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung überwiegt.

Entscheid

Die 1. Instanz verurteilt den Angeklagten nach Art. 261bis Abs. 4 I StGB.
Der Beschuldigte wird zu 7 Tagen Gefängnis verurteilt.