Fall 1998-039N
Aargau
Verfahrensgeschichte | ||
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1998 | 1998-033N | Tod eines Angeklagten. Die 1. Instanz stellt das Strafverfahren gegen den verstorbenen Angeklagten ein. |
1998 | 1998-039N | 2. Instanz tritt auf die Berufung der Staatsanwaltschaft nicht ein, weil die Vorinstanz über den Anklagepunkt noch nicht entschieden hat. Rückweisung an 1. Instanz. |
Juristische Suchbegriffe | |
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Tathandlung / Objektiver Tatbestand | Verbreiten von Ideologien (Abs. 2); Leugnung von Völkermord (Abs. 4 Hälfte 2) |
Schutzobjekt | keine Ausführungen zum Schutzobjekt |
Spezialfragen zum Tatbestand | keine |
Stichwörter | |
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Tätergruppen | Medienschaffende / Verleger |
Opfergruppen | Juden |
Tatmittel | Keine Angaben zum Tatmittel |
Gesellschaftliches Umfeld | Kunst und Wissenschaft |
Ideologie | Antisemitismus; Revisionismus |
X habe ab Januar 1995 bis zum Zeitpunkt der Anklageerhebung die Bücher Auschwitz Tätergeständnisse und Augenzeugen des Holocaust (Autor: J. Graf), Verdammter Antisemitismus (H.C. Robinson), Todesursache Zeitgeschichtsforschung (J. Graf), Das Rotbuch: Vom Untergang der schweizerischen Freiheit (J. Graf) und Erdachte Gespräche (Erich Glagau) als Geschäftsführer eines Verlages in unbekannter Anzahl an zum Teil unbekannte Personen vertrieben.
Der Angeklagte wurde mit Entscheid vom Juli 1998 von der 1. Instanz in diversen Anklagepunkten der mehrfachen Rassendiskriminierung schuldig gesprochen und zu 12 Monaten Gefängnis unbedingt und einer Busse von Fr. 8'000.-- verurteilt. Es wurden dabei diverse Gegenstände sowie gestützt auf Art. 59 StGB ein Pauschalbetrag aus dem Erlös des Verkaufs der Bücher in Höhe von Fr. 45'000.-- gerichtlich eingezogen.
Der Angeklagte verstarb im September 1998. Die 1. Instanz stellte in der Folge das Strafverfahren gegen den verstorbenen Angeklagten ein und zog in Anwendung von Art. 58 StGB verschiedene Bücher und Broschüren gerichtlich ein.
Die Staatsanwaltschaft legte gegen diesen Entscheid Berufung ein mit dem Antrag, der vorinstanzliche Erledigungsentscheid sei zu ergänzen. Der in Anwendung von Art. 59 StGB eingezogene Pauschalbetrag von Fr. 45'000.-- solle ebenfalls zu Lasten des Nachlasses des verstorbenen Angeklagten gehen.
Die 2. Instanz tritt auf die Berufung der Staatsanwaltschaft nicht ein, weil die Vorinstanz über den Anklagepunkt der Einziehung der Gelder noch nicht entschieden hat. Die Vorinstanz die 1. Instanz wird angewiesen, in einem Zusatzurteil über die Frage der Vorteilseinziehung zu befinden.
Entscheid 1998-033N
Die 1. Instanz begründete seinen Entscheid vom 16. Juli 1998 kurz und führte aus:
1. Der Angeklagte [...] vertreibe Bücher, die mit dem Mittel der Druckerpresse hergestellt worden seien. Im Verhältnis zum Autor dieser Bücher, [...] stelle sich die Frage der Anwendbarkeit von Art. 27 StGB, resp. der darin umschriebenen Kaskadenhaftung, wonach grundsätzlich nur der Verfasser für eine strafbare Handlung zur Verantwortung gezogen werden könne. In der Untersuchung habe der Angeklagte [...] mehrfach und klar ausgesagt, er habe Aufträge erteilt, Ideen gehabt, das Vorwort zu den einzelnen Büchern geschrieben, das Buch überarbeitet, dem Buch den Titel verliehen, die Bücher verbreitet, etc. Dass er dies an der Verhandlung in Abrede stellte, werde vom Gericht als Schutzbehauptung angesehen. Damit aber würden die Handlungen des Angeklagten [...] in vielen Fällen über das rein Verlagstechnische hinausgehen. Der Angeklagte [...] trete als Mittäter auf, was eine eigene Strafbarkeit begründe. (E. 2b, S. 4)
2. Bei den Büchern Auschwitz Tätergeständnisse und Augenzeugen des Holocaust, Verdammter Antisemitismus, Todesursache Zeitgeschichtsforschung und Das Rotbuch sei der Angeklagte [...] wegen Verstosses gegen Abs. 2 von Art. 261bis StGB bestraft worden. Aus dem Gesamtkontext und aufgrund einzelner Textstellen müsse der Schluss gezogen werden, dass der Angeklagte damit auf systematische Art und Weise, das heisse durch ein planmässiges und gezieltes Handeln, gedanklich zumindest einigermassen durchstrukturierte Ideologien verbreitet habe. [...] Mit Aussagen wie der Holocaust-Schwindel werde am Leben erhalten, damit Deutschland den Zionisten weiterhin als Milchkuh diene, der Holocaust sei den Juden zum Religionsersatz geworden [...] etc. spreche der Angeklagte den Juden ihren Anspruch auf grundlegende Menschenrechte und insbesondere auf die ihnen zustehende Menschenwürde ab. (E. 2d, S. 6)
3. Bei den Büchern Verdammter Antisemitismus, Todesursache Zeitgeschichtsforschung, Das Rotbuch und Erdachte Gespräche erfolge ein Schuldspruch wegen Verstosses gegen Abs. 4 [Hälfte 2] von Art. 261bis StGB. Zur Begründung könne auch hier auf die unzähligen Zitate in der Anklage und anlässlich der Verhandlung verwiesen werden. Der Angeklagte habe immer wieder betont, es habe keine Gaskammern gegeben, es habe keinen Plan zur Judenausrottung gegeben, der Holocaust sei ein Schwindel. Damit würde der Angeklagte nicht nur den Völkermord bestreiten, sondern er würde ihn mit Scheinargumenten in Zweifel ziehen, was einer Leugnung gleichkomme [...].(E. 2e, S. 7)
Der Angeklagte verstarb im September 1998.
Die 1. Instanz stellt in der Folge das Strafverfahren gegen den verstorbenen Angeklagten ein: Die Partei- und Prozessfähigkeit stellt auch im Strafprozess eine Prozessvoraussetzung dar. Sie fällt mit dem Tod dahin [...]. Stirbt ein Angeklagter im Verlauf eines gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens, ist dieses ohne materielle Entscheidung abzuschreiben. Das Verfahren ist wegen Todes des Angeklagten vor Eintritt der Rechtskraft auch dann einzustellen, wenn das Urteil eröffnet worden ist [ ]. An der Einstellung des vorliegenden Strafverfahrens infolge des [...] eingetretenen Todes des Angeklagten können somit keine Zweifel bestehen. (E. 5, S. 10)
Die 1. Instanz stellt das vorliegende Strafverfahren infolge des eingetretenen Todes des Angeklagten ein.
In Anwendung von Art. 58 StGB werden beschlagnahmten Gegenstände gerichtlich eingezogen. [Die 1. Instanz führt dazu aus: Gemäss Art. 58 Abs. 1 StGB verfügt der Richter ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer strafbaren Handlung gedient haben oder bestimmt waren, oder die durch eine strafbare Handlung hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden (E. 7, S. 13)]
Entscheid 1998-039N
Nichteintreten auf die Berufung. Die 1. Instanz wird angewiesen, über die Frage der Einziehung nach Art. 59 StGB einen Entscheid zu fällen.