Fall 2007-072N

Verteilen eines antisemitischen Flugblattes

Zürich

Verfahrensgeschichte
2007 2007-072N Die 1. Instanz verurteilt den Angeklagten.
2008 2008-013N Die 2. Instanz verurteilt den Angeklagten.
Juristische Suchbegriffe
Tathandlung / Objektiver Tatbestand Verbreiten von Ideologien (Abs. 2);
Herabsetzung oder Diskriminierung (Abs. 4 Hälfte 1)
Schutzobjekt keine Ausführungen zum Schutzobjekt
Spezialfragen zum Tatbestand Öffentlichkeit
Stichwörter
Tätergruppen Privatpersonen
Opfergruppen Juden
Tatmittel Schrift
Gesellschaftliches Umfeld Nachbarschaft
Ideologie Antisemitismus

Kurzfassung

Der Angeklagte hat in seiner Nachbarschaft ein Flugblatt mit dem Titel «Judokratie im Kantonsrat?» verteilt und in verschiedene Briefkästen gelegt. Die erste kantonale Instanz verurteilte den Angeklagten wegen Rassendiskriminierung gemäss Art. 261bis Abs. 2 und 4 StGB zu einer Geldstrafe und zu einer Busse. Der Angeklagte erhob Berufung gegen das Urteil und beantragte einen Freispruch. Die Staatsanwaltschaft beantragte die Bestätigung des Urteiles der Vorinstanz.

Sachverhalt

Der Angeklagte verteilte in der Nachbarschaft seiner Liegenschaft ein Flugblatt mit dem Titel «Judokratie im Kantonsrat?», dabei legte er das Flugblatt auch in diverse Briefkästen.

Im Flugblatt konnte man unter anderem die folgenden Auszüge lesen:

  • «Die jüdische Kultur passt nicht in unsere humane Kultur mit dem Respekt vor Mensch und Tier»
  • «Da muss man sich schon Fragen?, ob diese Leute 3500 Jahre geistig und moralisch zurückgeblieben sind…?»
  • «Jedermann ist also wohlbekannt, dass die Juden […] keine Menschenrechte und kein Völkerrecht anerkennen! Es wäre ein Skandal, wenn der Kantonsrat mit solchen Menschenverächtern zusammen feiern würde […]»
  • «In der jüdischen Weltanschauung wird Dummheit und kollektiver Grössenwahn verkündet: […]»
  • Zusammengefasst behauptet der Angeklagte, dass die Juden u.a. die eigentlichen Begründer des Terrors seien, unter welchem nun die ganze Welt zu leiden habe. Weiter bezeichnet er die Juden als Menschenverächter, die keine Menschenrechte anerkennen, etc.


    Entscheid 2007-072N

    Die 1. Instanz verurteilt den Angeklagten.

    Rechtliche Erwägungen

    Das zuständige Gericht äussert sich zunächst zur Frage der Öffentlichkeit. Es übernimmt dabei die Definition des Bundesgerichts, wonach eine Äusserung als öffentlich gelte, wenn sie von unbestimmt vielen Personen oder von einem grösseren, nicht durch persönliche Beziehungen zusammenhängenden Personenkreis wahrgenommen werden könne (vgl. BGE 130 IV 113). Für den Versand an einen Kreis bestimmter (dem Absender persönlich bekannter oder nicht bekannter Personen) sei Öffentlichkeit anzunehmen, sofern der Absender mit diesen Personen nicht durch ein Vertrauensverhältnis verbunden ist.

    Im konkreten Fall verteilte der Angeklagte die Flugblätter in seiner Nachbarschaft willkürlich, das heisst, ohne sich an einen zu ihm in einem besonderen Vertrauensverhältnis stehenden Personenkreis zu halten. Das Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit sei somit erfüllt.

    Gemäss Art. 261bis Abs. 2 StGB sei weiter erforderlich, dass eine Verbreitung stattfindet. Darunter zu verstehen sei jede Handlung oder Äusserung, welche sich an ein Publikum richtet, wobei die Tathandlung darauf ausgerichtet sei, den Empfängern einen bestimmten Inhalt, einen Sachverhalt oder eine Wertung zur Kenntnis zu bringen.
    Den Begriff der Ideologie definiert das Gericht als Ideen und Werte, die vorgeben, Ausfluss der allgemeinen Suche nach Wahrheit und Allgemeingültigkeit zu sein, obwohl sie tatsächlich Ausfluss eines eigennützigen Zweckstrebens, eines spezifischen Vorurteils oder eines Dogmas sind.
    Eine Herabsetzung, wie sie von Art. 261bis Abs. 2 StGB verlangt, sei grundsätzlich dann gegeben, wenn Ideologien die Minderwertigkeit einer bestimmten Person bzw. einer bestimmten Gruppe von Menschen im Vergleich zu einer anderen Gruppe geltend machen bzw. explizit oder implizit behaupten. Eine Herabsetzung stelle auch die allgemeine Behauptung dar, wonach eine spezifische Gruppe minderwertig im Vergleich zu allen übrigen Menschen sei.
    In dem Flugblatt vergleicht der Angeschuldigte explizit die jüdische Kultur mit «unserer» Kultur, wobei die jüdische Kultur als nicht human bezeichnet wird. Dadurch werde sie als nicht gleichwertig bzw. minderwertig dargestellt.
    Ausserdem wird vom Gesetz verlangt, dass sich die Herabsetzung gegen die Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion richtet. Der Angeklagte spricht in seinem Schreiben von «Juden». Die Gruppe der Juden sei eine religiöse und zugleich eine durch Ethnie bestimmte Gruppe.

    Der Angeklagte habe somit sämtlichen objektiven Tatbestandsmerkmale nach Art. 261bis Abs. 2 StGB erfüllt. Auch der subjektive Tatbestand sei erfüllt, da der Angeklagte Hass schüren bzw. zur Diskriminierung dieser Gruppe aufrufen wollte.

    Das Gericht prüft in einem zweiten Schritt, ob der Sachverhalt auch die Voraussetzungen von Art. 261bis Abs. 4 Hälfte 1 StGB erfülle. Verlangt werde, dass gegen die Menschenwürde verstossen wird. Das Gericht führt aus, dass eine Verletzung der Menschenwürde vorliegt, wenn jemandem die Gleichberechtigung als menschliches Wesen, das heisst die essentiell gleichwertige und gleichberechtigte Position abgesprochen werde.

    Im Flugblatt setze der Angeklagte mit folgender Aussage die Menschenwürde der Juden herab:
    «Jedermann ist also wohlbekannt, dass die Juden […] keine Menschenrechte und kein Völkerrecht anerkennen! Es wäre ein Skandal, wenn der Kantonsrat mit solchen Menschenverächtern zusammen feiern würde […]».

    Das Gericht hält fest, dass der Angeklagte den Juden eine gleichberechtigte Position abspreche. Sinngemäss seien es die Juden nicht wert, dass der Kantonsrat mit ihnen zusammen feiern würde. Das Wort «Menschenverächter» unterstelle, dass die Juden keine Menschen seien, da sie ja eben gerade Menschen – aus der Sicht des Verfassers wohl die restliche Weltbevölkerung – verachten würden.

    Das Gericht kommt zum Schluss, dass der Angeklagte auch bezüglich von Art. 261bis Abs. 4 StGB schuldig zu sprechen sei.

    Entscheid

    Das Gericht verurteilt den Angeklagten wegen Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 2 und 4 StGB. Er wird mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je CHF 1000.-, insgesamt CHF 9'000.- bestraft, wovon 50 Tagessätze bedingt ausgesprochen werden und 40 Tagessätze vollzogen werden. Zusätzlich hat der Angeklagte eine Busse von CHF 1'000.-. zu bezahlen.

    Die beschlagnahmten Schriftstücke werden nach Art. 69ff. StGB eingezogen und in den Akten belassen.


    Entscheid 2008-013N

    Die 2. Instanz verurteilt den Angeklagten.

    Entscheid

    Das Urteil der ersten Instanz wird bestätigt. Der Angeklagte wird der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 2 und 4 StGB schuldig gesprochen. Die von der Vorinstanz ausgefällte Busse entfällt, die Geldstrafe bleibt bestehen.