Fall 2021-107N
Obwalden
Verfahrensgeschichte | ||
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2021 | 2021-107N | Das Obergericht bejaht die Geschädigtenstellung von A. |
Juristische Suchbegriffe | |
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Tathandlung / Objektiver Tatbestand | Herabsetzung oder Diskriminierung (Abs. 4 Hälfte 1) |
Schutzobjekt | Ethnie; Religion |
Spezialfragen zum Tatbestand | keine |
Stichwörter | |
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Tätergruppen | Jugendliche |
Opfergruppen | Juden |
Tatmittel | Wort; Gesten / Gebärden |
Gesellschaftliches Umfeld | Öffentliche Orte |
Ideologie | Antisemitismus |
Der Beschuldigte wurde vom Jugendgericht unter anderem wegen Rassendiskriminierung verurteilt, da er mit Hitlergrüssen aus dem Auto eine Gruppe orthodoxer Juden sowie den jüdisch-stämmigen A. anging. A. erhob ein Rechtsmittel gegen die ihm verwehrte Parteistellung als direkt Geschädigter.
Das Obergericht sprach ihm die Parteistellung als Einzelperson oder Teil der Gruppe Angegangener zu, auch wenn der rechtliche Gruppenbegriff auf ihn in diesem Sachverhalt nicht anwendbar war.
X. wurde vom Jugendgericht unter anderem wegen Rassendiskriminierung verurteilt, da er eine Gruppe orthodoxer Juden und den zufällig anwesenden jüdisch-stämmigen A. aus dem Auto heraus mit Hitlergrüssen diskriminierte. Das Jugendgericht hat A. mittels Entscheides die Parteistellung aberkannt. Hiergegen erhob A. Beschwerde beim Obergericht des Kantons Obwalden und beantragte die Gewährung der Parteistellung im Strafverfahren.
Im vorliegenden Fall geht es um die direkte Geschädigtenstellung von Personen, die Teil einer klar abgrenzbaren und definierbaren Gruppe bilden, welche unmittelbar Opfer eines von Art. 261bis StGB erfassten Angriffs sind. Der Berufungsbeklagte respektive Beschuldigte richtete Heil-Hitler-Gebrüll aus einem fahrenden Auto unmittelbar gegen eine direkt angegriffene Gruppe orthodoxer Juden. Das Jugendgericht erwog, dass, mit Blick auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung, die Geschädigtenstellung eines Einzelnen grundsätzlich gegeben sei, während bei einem Angriff gegen eine Gruppe deren Angehörige nur mittelbar geschädigt seien. Sie können sich grundsätzlich nicht als Privatkläger konstituieren. Für die Konstituierung als Privatkläger verlange das Bundesgericht in diesen Konstellationen eine besondere Schwere des rassendiskriminierenden Angriffs im Sinne von qualifizierten Umständen. Eine Einzelperson kann jedenfalls Geschädigte sein, wenn sie direkt im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil angegriffen wird.
Die Besonderheit vorliegend ist, dass A. sich zwar per Zufall in der Gruppe orthodoxer Juden befand, als der Beschuldigte/Berufungsbeklagte die Heil-Hitler-Rufe ausführte, die Vorinstanz jedoch zu Unrecht das Tatbestandsmerkmal der Gruppe bzw. anwandte. Der Gruppenbegriff ist nicht auf A. anwendbar, der sich nur zufällig in unmittelbarer Nähe der Gruppe befand. Dieses zufällige Aufeinandertreffen eines Angehörigen jüdischen Glaubens mit mehreren, ihm persönlich unbekannten, orthodoxen Juden erfüllt den tatbestandsmässigen Gruppenbegriff nicht, zumal bereits sehr fraglich erscheint, ob diese Personen (orthodoxe Juden und A.) von aussen als zusammengehörig anzusehen sind. Der Beschuldigte bzw. Berufungsbeklagte richtete seine Handlungen allerdings nicht gegen die Juden als solches, sondern lediglich gegen diejenigen, die er aus dem Auto heraus gesehen hat, wozu mutmasslich auch der Berufungskläger A. gehört hat. Die Geschädigtenstellung von A. ist demnach zu bejahen, da er als Einzelperson oder als Teil einer klar abgrenzbaren und definierbaren Gruppe im Alltagssinn möglicherweise diskriminiert worden ist. Es bleibt offen, ob eine Herabsetzung oder Diskriminierung effektiv vorlag.
Die Geschädigtenstellung von A. ist zu bejahen, da er als Einzelperson oder als Teil einer klar abgrenzbaren und definierbaren Gruppe im Alltagssinn möglicherweise gezielt diskriminiert worden ist. Der Gesamtgruppenbegriff des Bundesgerichts (Personen des jüdischen Sinnes im Allgemeinen) ist nuanciert zu betrachten. Als Gruppe gilt auch eine Mehrzahl von Personen, die sich zusammengehörig fühlen und als dies angesehen werden. Dies ist abzugrenzen von einer Gruppe im Alltagssinn, die sich unabhängig eines Zusammengehörigkeitsgefühls und/oder einer von aussen als zusammengehörig angesehenen Gruppe zusammenfindet.