Fall 2022-128N
Bern
Verfahrensgeschichte | ||
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2022 | 2022-128N | Die Staatsanwaltschaft verfügt eine Nichtanhandnahme. |
Juristische Suchbegriffe | |
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Tathandlung / Objektiver Tatbestand | Herabsetzung oder Diskriminierung (Abs. 4 Hälfte 1) |
Schutzobjekt | Schutzobjekt allgemein |
Spezialfragen zum Tatbestand | keine |
Stichwörter | |
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Tätergruppen | Privatpersonen |
Opfergruppen | Weitere Opfergruppe |
Tatmittel | Schrift; Weitere Tatmittel |
Gesellschaftliches Umfeld | Soziale Medien |
Ideologie | Rassismus (Nationalität / Herkunft) |
Der Beschuldigten wird vorgeworfen, auf Twitter trotz besseren Wissens einer Gruppe von brasilianischen Demonstranten Hommagen an den Nationalsozialismus zu unterstellen und zu bestärken.
Das aufgezeigte Verhalten fällt eindeutig nicht unter den Straftatbestand von Art. 261bis StGB. Die Staatsanwaltschaft verfügt eine Nichtanhandnahme.
Die Beschuldigte soll einen Artikel mit der Überschrift «Bolsonaro-Anhänger zeigen Hitler-Gruss bei Protesten in Brasilien» auf Twitter gepostet haben. Am darauffolgenden Tag habe A. die Beschuldigte mittels der Kommentar-Funktion darauf aufmerksam gemacht, dass es sich dabei nicht um den Hitler Gruss, sondern um einen Schwur auf die brasilianische Flagge handelte und dass sie dies doch korrigieren solle. A. habe ausserdem einen Artikel des grössten Newssenders von Brasilien «O Globo» verlinkt, der seinen eigenen Artikel mit der Aussage, «dass die Tat nicht auf eine Verharmlosung des Nationalsozialismus abzielt und dass es keine Beweise für ein Verbrechen gibt», korrigiert habe.
Am nächsten Tag habe A. bemerkt, dass die Beschuldigte den Kommentar «lustiger Schwur ;-)» eines weiteren Twitter-Users gelikt habe, der sich mit seinem Kommentar auf die Stellungnahme von A. bezog.
Gemäss A. habe sich die Beschuldigte rassistisch verhalten, indem sie nicht nur Falschmeldungen über ihr Heimatland verbreitete, sondern sich mit dem Like auch an der Belustigung des Twitter-Users beteiligt und diese bestärkt habe.
Die Menschenwürde wird verletzt, wenn einer Person oder einer Personengruppe aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit die Gleichberechtigung bzw. Gleichwertigkeit als menschliches Wesen abgesprochen wird. Dies kann dadurch geschehen, dass einer Einzelperson oder einer Gruppe die Existenzberechtigung abgesprochen wird, nur ein beschränkter Anspruch auf die Menschenrechte zugestanden oder an deren Ausübung gehindert wird oder wenn die grundsätzliche Minderwertigkeit «als Mensch» einer Einzelperson oder einer Gruppe zum Ausdruck gebracht wird. Ob eine bestimmte Äusserung die Menschenwürde verletzt hat, beurteilt sich nach deren objektiven Erklärungswert, d.h. wie sie von einem unbefangenen Durchschnittsempfänger nach den gegebenen Umständen verstanden werden muss.
Angriffsobjekte von Art. 261bis StGB sind «rassische», ethnische oder religiöse Gruppen. Auch einzelne Personen können aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe Angriffsobjekt sein. Diese Gruppen werden auf Grundlagen bestimmter konstanter Merkmale von den übrigen Gruppen als anders empfunden und verstanden. Strafbar ist eine Diskriminierung aufgrund einer zugeschriebenen «Rasse», Ethnie oder Religion.
«Rassische» Gruppen werden aufgrund ihrer physischen Merkmale unterschieden. Gemäss Art. 261bis StGB wären dies z.B. Asiaten, Schwarze oder Semiten. Ethnische Gruppen unterscheiden sich aufgrund einer gemeinsamen Geschichte oder eines einheitlichen Systems von Einstellungen und Verhaltensnormen, wie z.B. Tamilen, Sizilianer oder Appenzeller. Nationen oder Nationalitäten werden als solche nicht von Art. 261bis StGB erfasst, ausser es ist mit Nationalität die betreffende Ethnie gemeint.
Im vorliegenden Fall hat die Beschuldigte darüber berichtet, dass in Brasilien hunderte von Demonstranten den Hitler-Gruss zeigten und deswegen eine Untersuchung der dortigen Staatsanwaltschaft eingeleitet wurde. Der Beitrag war nicht dazu bestimmt, die Demonstranten bzw. die Bolsonaro-Anhänger als Nationalsozialisten zu bezeichnen noch sie in einer anderen Art und Weise als Gruppe herabzusetzen. Es wurde lediglich auf die Gestik und ihre Problematik hingewiesen. Dass sie die Nachrichten nicht korrigiert oder einem Kommentar ein «Like» gegeben hat, der ebenfalls nicht die Schwelle erreichte, um als diskriminierenden Äusserung durchzugehen, reicht nicht aus, um das Rechtsgut bzw. die Menschenwürde der Demonstranten zu verletzen oder sie generell als zweitklassig, minderwertig oder gar menschenunwürdig erscheinen zu lassen.
Ausserdem gilt noch immer die Meinungs- und Empfindungsfreiheit, solange darauf beruhende Handlungen niemanden diskriminieren oder herabsetzen. Eine Diskriminierung ist nicht jede Ungleichbehandlung, die ohne sachlichen Grund an eines der nach Art. 261bis Abs. 4 StGB unzulässigen Unterscheidungsmerkmale anknüpft, sondern nur solche, die eine grundrechtliche Position der betroffenen Person oder der betroffenen Gruppe beeinträchtigt.
Des Weiteren bezieht sich die Beschuldigte offensichtlich weder auf die brasilianische Bevölkerung als Ganzes noch auf die darauf beruhende Ethnie. Es wird lediglich von einer isolierten Gruppe von Demonstranten bzw. Anhänger des abgewählten Präsidenten gesprochen. Somit ist die Aussage von A., dass sie sich dadurch in ihrer Herkunft und ethnischer Zugehörigkeit verletzt fühlt, nicht gerechtfertigt. Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass das aufgezeigte Verhalten der A. gegenüber eindeutig nicht unter den Straftatbestand von Art. 261bis StGB fällt.
Das aufgezeigte Verhalten fällt eindeutig nicht unter den Straftatbestand von Art. 261bis StGB. Die Staatsanwaltschaft verfügt eine Nichtanhandnahme.