Cas 2006-033N

Bücher mit vermeintlich rassendiskriminierenden Inhalten

Zurich

Historique de la procédure
2006 2006-033N Die zuständige Strafverfolgungsbehörde stellt das Strafverfahren ein.
Critères de recherche juridiques
Acte / Eléments constitutifs objectifs Abaissement ou discrimination (al. 4 1ère phrase)
Objet de protection
Questions spécifiques sur l'élément constitutif Bien juridique protégé
Mots-clés
Auteurs Journalistes / éditeurs
Victimes Juifs
Moyens utilisés Ecrits
Environnement social Art et science
Idéologie Antisémitisme

Synthèse

Die Bücher «Feinde, die Geschichte einer Liebe» und «Der Büsser» vom jüdischen Literatur-Nobelpreisträgers Isaac Bashevis Singer sowie das Buch «Das Leben der Tiere» von J. M. Coetzee sollen rassendiskriminierende Texte enthalten. Der Anzeigeerstatter verlangt die Einziehung der Werke und erstattet gegen sämtliche Buchhändler in der Schweiz Anzeige wegen Verbreitung rassendiskriminierender Bücher. Gegen J. M. Coetzee verlangt er die Eröffnung einer Strafuntersuchung wegen Rassendiskriminierung.

Die zuständige Strafverfolgungsbehörde stellt das Verfahren ein, da die Texte keinen rechtswidrigen Inhalt aufweisen würden, da der Tatbestand von Art. 261bis StGB mangels Verletzung der Menschenwürde nicht erfüllt sei.

En fait / faits

Die Bücher «Feinde, die Geschichte einer Liebe» und «Der Büsser» vom jüdischen Literatur-Nobelpreisträgers Isaac Bashevis Singer sowie das Buch «Das Leben der Tiere» von J. M. Coetzee sollen rassendiskriminierende Texte enthalten. Der Anzeigeerstatter verlangt die Einziehung der Werke und erstattet gegen sämtliche Buchhändler in der Schweiz Anzeige wegen Verbreitung rassendiskriminierender Bücher. Gegen J. M. Coetzee verlangt er die Eröffnung einer Strafuntersuchung wegen Rassendiskriminierung.

Beim Buch «Feinde, die Geschichte einer Liebe» beanstandet der Anzeigeerstatter folgende Äusserungen: «Irgendwo wurde an diesem lieblichen Sommermorgen Geflügel geschlachtet; Treblinka war überall.» «Hermann verglich den Zoo oft mit einem Konzentrationslager. Die Luft hier war voller Sehnsucht – nach Wüsten, Bergen , Tälern, Höhlen, Familien. Wie die Juden waren die Tiere aus allen Teilen der Welt hierhergeschleppt worden, verdammt zur Isolierung und Langeweile. Manche schrien ihre Not hinaus; andere blieben stumm.» «Hermann verbrachte den Tag und den Vorabend von Jom Kippur bei Mascha. Schifrah Puah hatte zwei Opferhennen gekauft, eine für sich und eine für Mascha; für Hermann hatte sie einen Hahn kaufen wollen, aber er hatte es verboten,. Er hatte jetzt seit einiger Zeit daran gedacht, Vegetarier zu werden. Bei jeder Gelegenheit wies er darauf hin, dass das, was die Nazis mit den Juden gemacht hatten, dasselbe sei, was die Menschen mit den Tieren machten.»

Im Buch «Der Büsser» will der Anzeigerstatter folgende tatbestandsmässigen Äusserungen entdeckt haben: «Ich beobachtete, wie sich jemand am Nachbartisch über eine Portion Schinken mit Eiern hermachte. Ich war längst zu der Überzeugung gelangt, dass die Art und Weise, wie der Mensch mit den Geschöpfen Gottes umgeht, seinen Idealen und dem ganzen sogenannten Humanismus Hohn spricht. Damit dieser vollgefressene Kerl sich am Schinken delektieren konnte, musste ein Lebewesen aufgezogen, zur Schlachtbank gezerrt, gequält, abgestochen und mit kochendem Wasser abgebrüht werden. Dieser Mensch kam gar nicht auf den Gedanken, dass das Schwein aus dem gleichen Stoff geschaffen war, wie er selbst und dass es leiden und sterben musste, bloss damit er das Fleisch verzehren könnte. Wenn es um Tiere geht, habe ich mir schon oft gedacht, ist jeder Mensch ein Nazi […]. Der Erste Entschluss, den ich fasste, hatte eigentlich nichts mit Religion zu tun, aber für mich war es ein religiöser Entschluss. Nämlich: kein Fleisch und keinen Fisch mehr zu essen – nichts, was einmal lebendig gewesen und zu Ernährungszwecken getötet worden war. Schon als Geschäftsmann, der reich werden wollte, schon als ich andere und auch mich selbst betrog, hatte ich gespürt, dass ich gegen meine Überzeugung lebte und dass meine Lebensweise verlogen und verderbet war. Ich war ein Lügner, obwohl ich Lug und Trug verabscheute […]. Ich habe genug gelernt, um zu wissen, dass die Thora das Fleischessen als ‹Notwendiges Übel› betrachtet. Die Thora spricht verächtlich von denen, die sich nach den Fleischtöpfen sehnen.»

Zudem enthalte das Buch «Das Leben der Tiere» folgende tatbestandsmässigen Äusserungen: «Ich komme ein letztes Mal auf die Todesstätten um uns herum zurück, die Schlachtstätten, vor denen wir in einer gewaltigen gemeinschaftlichen Anstrengung unsere Herzen verschliessen Jeder Tag eine neuer Holocaust […]».

En droit / considérants

Unter Verweis auf die Literatur äussert sich die Strafverfolgungsbehörde zunächst zum Rechtsgut, welches der Art. 261bis StGB schütze. So sei unter anderem die Würde des Menschen in seiner Eigenschaft als Angehöriger einer bestimmten Ethnie, Rasse oder Religionsgemeinschaft geschützt. Die Menschenwürde werde verletzt, wenn einer Person oder Personengruppe aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit die Gleichberechtigung bzw. Gleichwertigkeit als menschliches Wesen abgesprochen werde. Dies könne dadurch geschehen, dass der Person oder Personengruppe die Menschqualität oder Existenzberechtigung direkt abgesprochen werde oder ihr nur ein beschränkter Anspruch auf die Menschenrechte im Sinne der Rassendiskriminierungskonvention zugestanden oder sie an der Ausübung dieser Rechte behindert werde. Sodann sei eine Verletzung der Menschenwürde gegeben, wenn die grundsätzliche Minderwertigkeit der Person oder Personengruppe als Mensch zum Ausdruck gebracht werde und damit die essentiell gleichberechtigte und gleichwertige Position als Mensch überhaupt in Frage gestellt werde.

Dann würdigt sie die einzelnen Textpassagen.
Mit den Vergleichen zwischen dem Schlachten von Geflügel bzw. der Zoohaltung mit Konzentrationslager und dem Vorgehen der Nazis gegen die Juden in «Feinde, die Geschichte einer Liebe», werde keiner Person oder Personengruppe die Gleichberechtigung bzw. die Gleichwertigkeit als menschliches Wesen abgesprochen: «Weder wird einer Person oder Personengruppe die Menschqualität oder Existenzberechtigung direkt abgesprochen noch wird ihr nur ein beschränkter Anspruch auf die Menschrechte zugestanden. Auch wird in diesen Texten nicht eine Minderwertigkeit einer Person oder Personengruppe als Mensch zum Ausdruck gebracht. Die Texte beschreiben, wie Menschen im Allgemeinen mit Tieren umgehen bzw. Tiere halten und töten. In diesen Textpassagen wird an den Begriff ‹Mensch› angeknüpft und nicht an eine bestimmte Person oder Personengruppe als Angehöriger einer bestimmten Ethnie, Rasse oder Religionsgemeinschaft. Der ‹Mensch› als Begriff fällt aber weder unter die rechtliche Kategorie der Ethnie noch der Rasse oder Religionsgemeinschaft von Art. 261bis StGB, […].»
Auch im Text «Der Büsser» gehe es darum, wie Menschen mit Tieren umgingen. Es werde auch hier nicht an eine bestimmte Person oder Personengruppe als Angehörige einer bestimmten Ethnie, Rasse oder Religionsgemeinschaft angeknüpft.
Zuletzt werde auch im Text «Das Leben der Tiere» keine Person oder Personengruppe aufgrund ihrer Ethnie, Rasse oder Religionsgemeinschaft die Gleichberechtigung bzw. Gleichwertigkeit als menschliches Wesen abgesprochen: «Weder wird einer Person oder Personengruppe die Menschqualität oder Existenzberechtigung direkt abgesprochen noch wird ihr nur ein beschränkter Anspruch auf die Menschrechte zugestanden. Auch wird nicht eine Minderwertigkeit einer Person oder Personengruppe als Mensch zum Ausdruck gebracht.»

Zusammenfassend hält die Strafverfolgungsbehörde fest, dass die Texte keinen rechtswidrigen Inhalt aufweisen würden, da der Tatbestand von Art. 261bis StGB mangels Verletzung der Menschenwürde nicht erfüllt sei. Das vorliegende Verfahren sei damit einzustellen.

Décision

Das Verfahren wird eingestellt.