TANGRAM 45

Verschwörungsmythen und Fake News kontern

Autorin

Ingrid Brodnig ist Expertin für Lügengeschichten, Mobbing und Hass in der zunehmend digitalen Welt. Die österreichische Autorin und Kolumnistin hält Vorträge und Workshops und wird dabei immer häufiger um Tipps im Umgang mit Fake News und Verschwörungsmythen gebeten. Für ihr Buch «Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können» wurde sie mit dem Bruno-Kreisky-Sonderpreis ausgezeichnet. brodnig.ingrid@gmail.com

Was tun, wenn Freundinnen und Freunde, Verwandte oder Bekannte mit Aussagen kommen, die ins Reich der Verschwörungsmythen und Fake News gehören? Wie man in hitzigen Debatten ruhig bleibt und wann es sich überhaupt zu diskutieren lohnt: einige Empfehlungen für strategisches Diskutieren.

Am einfachsten wäre es, in vielen Situationen aufs Diskutieren zu verzichten: Oft ist es richtig ermüdend oder gar zermürbend zu erleben, wie viel Falsches kursiert. Viele von uns haben in der Coronakrise falsche Behauptungen von Bekannten gehört oder derartige Geschichten über soziale Medien weitergeleitet bekommen. Manche mussten miterleben, wie geliebte Menschen plötzlich selbst solche Vorstellungen von sich gaben. Aber auch schon vor der Pandemie liess sich die Anziehungskraft von Desinformation beobachten – ich erinnere nur an all die Falschmeldungen über geflüchtete Menschen oder an die oft hitzig geführte Debatte zur Klimakrise, in der auch Falschmeldungen über die Aktivistin Greta Thunberg kursieren. Ein riesiges Problem sind seit Jahren auch rassistische Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen: Oft wird Neid geschürt, Zum Beispiel werden falsche Zahlen verbreitet, welche Sozialleistungen angeblich geflüchtete Menschen erhalten. Oder es wird eine grosse Bedrohung fingiert – das reicht bis hin zur rechten Verschwörungserzählung des «Grossen Austausch», wonach die Bevölkerung durch Muslime ersetzt würde. Auch hier vielfach mit falschen Zahlen hantiert und eine Drohkulisse aufgebaut. Das heisst: Viele Falschmeldungen funktionieren, weil sie ein simples Schwarz-Weiss-Schema vorgeben, eine simple Erklärung, oft auch einen Sündenbock. Und gerade gesellschaftliche Reizthemen wie Corona, Migration oder auch die Klimakrise bieten einen Nährboden, auf dem Gerüchte, falsche Anschuldigungen bis hin zu krassen Verschwörungserzählungen gedeihen können. In solchen Situationen fühlt man sich schnell überfordert: Was kann ich schon dagegen tun? Bringt es überhaupt etwas, wenn ich mich als Einzelne oder Einzelner zu Wort melde?
Die Antwort ist: Es bringt sogar sehr viel. Falschmeldungen und auch Verschwörungserzählungen sind davon abhängig, dass sie von möglichst vielen Menschen geglaubt und weitererzählt werden, daher können wir alle versuchen, diese Verbreitung zu erschweren. Jede und jeder von uns kann im eigenen Umfeld Aufklärung leisten, Fakten sichtbarer machen, auch die Familie oder Bekannte warnen, wenn etwas Falsches gerade stark zirkuliert. Wofür ich plädiere, ist eine strategische Form des Diskutierens, bei der man sich genau überlegt: In welchen Fällen ist es für mich sinnvoll zu diskutieren? So kann es sein, dass einem ein Thema (zum Beispiel Klimakrise, Migration, Gesundheit) so wichtig ist, dass man hier immer wieder die Fakten unterstreichen möchte. Oder aber man hat Menschen im eigenen Umfeld, die nachweisbar Falsches glauben, die man deshalb besser erreichen möchte. Es kann viele gute Gründe geben, für die sich ein Einspruch lohnt – und es gibt ein paar Leitlinien, die Orientierung beim Debattieren bieten können.

Wie sehr ist die Person von ihrem Standpunkt überzeugt?

Wenn Sie mit jemandem diskutieren, der oder die etwas Falsches oder Spekulatives von sich gibt, lautet die erste zentrale Frage: Wie sehr ist die Person davon überzeugt? Nicht in jedem Fall sind Menschen komplett eingenommen von einer Falschmeldung, sie finden vielleicht, diese klingt interessant, oder sie passt gut zu ihrer Erwartungshaltung. Eine Ärztin aus Berlin erzählte mir von ihrem Vater, der Mitte sechzig ist: «Als das Coronavirus zum Thema wurde, hat er meinem Bruder und mir immer wieder Falschmeldungen weitergeleitet. Zum Beispiel die Behauptung, Wassertrinken hilft gegen das Coronavirus. Der Hintergrund ist, dass er selbst Angst um seine Gesundheit hat. Und dass er meinen Bruder und mich schützen möchte. Ich musste mich da wirklich zurückhalten, nicht zu schreiben: ‚Oh mein Gott, was glaubst du plötzlich alles?‘ Mein Vater ist eigentlich ein total vernünftiger Mensch, aber bei diesen Gesundheitsthemen merke ich, dass er von einer Hoffnung getrieben wird, etwas könnte gegen das Coronavirus wirken.» Seit Monaten leitet ihr Vater nun solche spektakulär klingenden Artikel via E-Mail oder WhatsApp weiter. Die Ärztin erzählte weiter: «Ich versuche dann einzuordnen, warum das keinen Sinn ergibt. Zum Beispiel der Vorschlag, dass man Wasser trinken solle gegen das Coronavirus. Grundsätzlich ist Wassertrinken gesund, nur beeinflusst Wassertrinken nicht, wie sich ein Virus im Körper verbreitet. Das erkläre ich ihm dann auch. Dadurch geht nicht weg, dass er Angst um seine Gesundheit hat. Aber er vertraut mir schon, wenn ich solche Falschmeldungen erkläre. Er weiss ja, ich will ihm nur Gutes.»
Die Angehörigen treten in solchen Fällen wie eine Feuerwehr auf, die immer wieder ausrücken muss, um solche Desinformations-Brände zu löschen. Das kann anstrengend für die Familie sein, ist aber wichtig: Weil sonst die Gefahr besteht, dass jemand mit sehr vielen Unwahrheiten in Kontakt kommt, dies nicht bemerkt, und dann beispielsweise problematische Gesundheitstipps befolgt. Auch die Ärztin versucht, immer wieder mit ihrem Vater über solche Themen zu sprechen: «Ich habe meinem Vater gesagt, ich finde es super, dass er mir das immer schickt. Weil ich möchte darauf reagieren können. Ich denke: Gerade bei Falschinformation kann man vieles auch in der Familie aufklären. Weil wir lieben diese Menschen ja. Wer soll das tun, wenn nicht wir?»

Diskutieren kommt einem Drahtseilakt gleich. Es geht einerseits darum, einfühlsam zu sein, aber andererseits auch darum, rote Linien aufzuzeigen; Menschen auch verständlich zu machen, dass Aussagen, die sie weitererzählen, beispielsweise von rassistischen oder antisemitischen Vorstellungen geprägt sind. Es ist wichtig, die problematische Seite falscher oder spekulativer Behauptung zu dekonstruieren – nicht immer ist jedem oder jeder bewusst, welche antisemitischen oder rassistischen Ideen in manch einer Falschmeldung oder manch einem Verschwörungsmythos mitschwingen. Und oft geht es auch um Mithörende oder Mitlesende, für die eine solche Einordnung hilfreich sein kann, dass sie die Problematik der Argumentation rasch erkennen. Die Schwierigkeit ist also: Rassistische oder antisemitische Mythen nicht verharmlosen, und gleichzeitig, wenn man jemanden argumentativ erreichen möchte, an einer respektvollen Diskussionsebene arbeiten.

Mir erzählte zum Beispiel die frühere Verschwörungsgläubige Anja Sanchez Mengeler, dass es für sie ein schrittweiser Prozess war, aus der Verschwörungsszene auszusteigen. Eine Rolle spielte auch ihre Familie, etwa ihr Mann, ihre Schwester. Letztere brachte durchaus Fragen ein. Zum Beispiel: «Meinst du wirklich, dass die Presse so manipuliert ist?» Sie war zugleich darauf bedacht, den Kontakt nicht abreissen zu lassen, wie Sanchez Mengeler erzählte: «Wir haben dann aber auch den ganzen lieben langen Tag viele andere Themen gehabt, sie hat unsere Bindung weitergeführt, so nach dem Motto: ‚Ich lass dich nicht fallen, du bist mir wichtig.‘»

Wenn man jemanden erreichen will, der oder die an Verschwörungsmythen glaubt, ist es wichtig, eine wertschätzende Gesprächsebene zu bewahren. Nur einfach ist das in vielen Fällen nicht: Weil Verschwörungsgläubige ja häufig auch problematische Vorstellungen wiedergeben. Sie stellen oft wissenschaftliche Ergebnisse infrage, werfen anderen bösartige Aktivitäten vor – das reicht bis hin zu antisemitischen Verschwörungserzählungen oder demokratiefeindlichen Anschuldigungen. Es stellt einen schwierigen Spagat für Angehörige dar, einerseits beispielsweise antisemitische oder andere problematische Äusserungen zu benennen und zu dekonstruieren, aber andererseits eine wertschätzende, empathische Ebene zu bewahren. Wenn jemand, der oder die für Sie sehr wichtig ist, zum Verschwörungsdenken neigt, suchen Sie lieber früher als später die Hilfe von Fachleuten. Es gibt Beratungseinrichtungen, die anonym und kostenlos erreichbar sind. Im deutschen Baden-Württemberg ist dies zum Beispiel der Verein Zebra. Die Leiterin dieser Beratungseinrichtung, Sarah Pohl, erzählte mir: «Oft wird uns auch die Frage gestellt: Soll ich den Kontakt abbrechen? Wenn einem die Person wichtig ist, raten wir in vielen Fällen, weiterhin den Kontakt zu halten – denn wenn immer mehr Menschen sich abwenden, besteht die Gefahr, dass eine Person gar kein Korrektiv mehr hat, und dass sie sich dann hauptsächlich mit jenen austauscht, die sie in dieser Denkweise antreiben.» Ehe man völlig den Kontakt abbricht, lässt sich auch über eine Kontaktreduzierung nachdenken, oder dass man eine andere Modalität des Diskutierens sucht, meint Pohl: «Etwa, dass man sagt: Ich diskutiere über das Thema, aber vor allem über die Gefühle: Warum ist dir das wichtig? Wieso beschäftigst du dich so stark damit? Also dass man weggeht von der Faktenebene, und eher auf die Bedürfnisebene blickt, was zieht die Person aus solchen Vorstellungen?»

Wo ist Ihre Zeit gut investiert?

Beim Diskutieren stellt sich grundsätzlich die Frage, für wen Sie sich zu Wort melden. Manchmal geht es gar nicht in erster Linie um das Gegenüber, sondern um die anderen Anwesenden. Wenn beim Familienfest der unverbesserliche Onkel wilde Spekulationen über 5G und das Coronavirus verbreitet, widerspricht man womöglich – allerdings nicht in der Hoffnung, dass dies den Standpunkt des Onkels verändern würde, sondern damit der restliche Teil der Familie versteht, warum seine Aussagen Unsinn sind. Dieses öffentliche Widersprechen ist etwas, das besonders in sozialen Medien eine Rolle spielt. Nur stellt sich natürlich die Frage: Bringt das überhaupt etwas, wenn ich mich zum Beispiel auf Facebook oder WhatsApp zu Wort melde?

Die Kommunikationswissenschaftlerinnen Emily K. Vraga und Leticia Bode führten genau dazu Experimente durch. Zum Beispiel testeten sie, ob Widerspruch auf Facebook etwas bewirkt. Es ging um Verschwörungserzählungen rund um das Zika-Virus (das vor ein paar Jahren in Brasilien stark zirkulierte). Es wurde eine falsche Behauptung auf Facebook hergezeigt, und zwei Facebook-Nutzende widersprachen dem: Wirkungsvoll war diese Korrektur, wenn die Personen bei ihrer Entgegnung eine Quelle anführten – und man dabei zu einem Faktencheck geführt wurde. Diese Ergebnisse legen nahe: Selbst wenn Fremde auf Social Media eine Fehlinformation aufzeigen, kann das bei Mitlesenden eine positive Wirkung entfalten. Im Experiment war es jedoch so, dass es zwei Personen sein mussten, die solche Entgegnungen einbrachten. Daraus lässt sich schliessen: Es ist gut, wenn Menschen auf Faktenchecks hinweisen, und wenn Sie sehen, dass jemand anders das auch schon getan hat – umso besser. Posten Sie ruhig selbst noch eine weitere Richtigstellung. Auch Fakten sollen wiederholt werden! Die Wissenschaftlerinnen Vraga und Bode verwenden den Slogan: «See something, say something.» Also: Wenn man etwas Falsches in sozialen Medien sieht, soll man ruhig etwas dazu sagen.

Ich stimme dem zu – würde aus Zeitgründen allerdings etwas ergänzen. Wenn Sie in sozialen Medien auf Fakten hinweisen wollen, sollten Sie sich vorab überlegen: Wie viel Zeit bin ich bereit, dafür aufzubringen? Und: In welchen Diskussionsrunden ist diese Zeit gut investiert? Zum Beispiel passiert es mitunter, dass Menschen mit guter Absicht die Facebook-Gruppen von Verschwörungsgläubigen aufrufen und dort versuchen, dagegenzuhalten. Die Gefahr ist, dass man viel Zeit und Nerven investiert, aber wenig bewirkt. Denn die Chance ist hoch, dass sich in solchen Gruppen nahezu ausschließlich Personen befinden, die bereits eine fixe Meinung haben. Gerade in sehr homogenen Gruppen kann passieren, dass ihre Argumente von der Flut der Gegenmeinung weggeschwemmt werden. Deswegen würde ich generell empfehlen: Diskutieren Sie an Orten, an denen ein heterogenes Publikum anzutreffen ist, an denen es durchaus auch Andersdenkende gibt, aber eben nicht nur – zum Beispiel auf den Seiten etablierter Nachrichtenhäuser.

Betonen Sie das Richtige

Es gibt viele Methoden, wie man einen positiven Beitrag leisten kann – auch abhängig von der Zeit, die man maximal investieren will. Wenn Sie sich vornehmen, einmal pro Woche eine halbe Stunde für ein Thema oder eine Person aufzubringen, die Ihnen wichtig ist, dann können Sie diese halbe Stunde nutzen, um mit Ihrer Tante zu telefonieren, die anfällig für Falschmeldungen ist, oder Sie können auf Facebook Korrekturen von Seiten wie Mimikama.at oder Correctiv.org posten – so dass Menschen vor Verschwörungserzählungen gewarnt sind.
Diskutieren ist weniger mühsam, wenn man sich strategisch Ziele setzt, wenn man sich sehr klar überlegt, für wen man eigentlich diskutiert, und dabei auch auf die eigene Zeit achtet. Das Mühsame an Desinformation ist, dass sie uns alle viel Zeit und Nerven kosten kann. Mir erscheint es durchaus sinnvoll, Falsches zu kontern, aber nicht aus den Augen zu lassen, womit man sich sonst eigentlich beschäftigen wollte. Ein Zugang im Umgang mit Falschmeldungen und Verschwörungstheorien kann deshalb auch sein, manchmal gezielt nicht nur auf das zu starren, was falsch ist, sondern umso mehr den richtigen Informationen Raum zu geben, dem eigenen Umfeld hochwertige Publikationen zu empfehlen, Wissenschafts-Podcasts zu teilen oder auf besonders seriöse Stimmen hinzuweisen. Die Youtuberin und Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim ist für mich so jemand, die in der Corona-Debatte oft mit wohlüberlegten, einordnenden Videos auffiel. Oder der Wissenschaftsjournalist Lars Fischer, der auf spektrum.de publiziert. Ebenfalls sinnvoll erscheint, sich nicht nur mit rassistischen Mythen zu beschäftigen, sondern zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund zu Wort kommen zu lassen: Zum Beispiel gibt es viele Influencer und Influencerinnen, die selbst Migrationshintergrund haben, und die über ihre Erfahrungen mit Rassismus und rassistischen Klischees in Beiträgen auf Instagram oder TikTok erzählen.
Manchmal, wenn mich selbst frustriert, wie unsachlich über ein Thema diskutiert wird oder wie sehr Provokationen mit Reichweite belohnt werden, überlege ich: Wem könnte ich stattdessen meine Aufmerksamkeit schenken und wen könnte ich anderen als Quelle empfehlen? Eine der wichtigsten Techniken erscheint mir, seriösen Stimmen möglichst viel Gehör zu verschaffen.
Es gibt nicht das eine Wundermittel, mit dem wir gegen Desinformation und irreführende Behauptungen ankommen. Es gibt aber ein paar Kniffe, wie man diese logisch etwas rascher durchschauen und argumentativ eine Spur effizienter kontern kann. Und womöglich besteht eine simple Erkenntnis bereits darin, dass wir grundlegend jenen besser zuhören sollten, die uns keine Wundermittel versprechen, uns keine Gewissheit in Aussicht stellen, sondern im Gegenteil: Dass wir jene Stimmen fördern, die gewillt sind, die Komplexität der Welt mit all ihren schönen und unbehaglichen Seiten anzuerkennen.

Dieser Artikel ist ein adaptierter Text aus dem Buch «Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis und online».

Bibliografie:
Brodnig, Ingrid: Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis und online. Brandstätter Verlag. Wien 2021.

Brodnig, Ingrid: Übermacht im Netz: Warum wir für ein gerechtes Internet kämpfen müssen, Brandstätter Verlag. Wien 2019.

Brodnig, Ingrid: Lügen im Netz. Wie Fake News, Populisten und unkontrollierte Technik uns manipulieren. Brandstätter Verlag. Wien 2017.

Brodnig, Ingrid: Hass im Netz. Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können. Brandstätter Verlag. Wien 2016.