TANGRAM 45

Fake News – ein weites Feld, das schwer zu beackern ist

Autorin

Fiorenza Gamba forscht am Institut de recherches sociologiques (IRS) der Universität Genf und ist beurlaubte assoziierte Professorin für Kultur- und Kommunikationssoziologie am Departement für Wirtschafts- und Unternehmenswissenschaften der Universität Sassari. Fiorenza.Gamba@unige.ch

Fake News einzudämmen ist unmöglich. Es sind zu viele und sie verbreiten sich zu rasch. Sie zu entlarven ist wichtig, doch auch das genügt nicht. Um ihre Hass- und Diskriminierungsbotschaften wirksam zu bekämpfen, muss der Kontext verstanden werden und langfristig auf digitale Bildung und die Förderung von Vielfalt und Inklusion gesetzt werden.

Fake News ist ein «hot word», ein Triggerwort, das wir aus dem öffentlichen Diskurs und der medialen Landschaft kennen. Es kommt in unterschiedlichsten Zusammenhängen zum Einsatz. Seine exponentielle Verbreitung fiel zeitlich mit den Präsidentschaftswahlen in den USA 2016 zusammen (Allcot et Gentzkow, 2017). Im Allgemeinen bezeichnen Fake News nicht überprüfte, unwahre Nachrichten, die dennoch weit verbreitet sind und die nicht ausschliesslich, aber überwiegend auf Social Media, allen voran auf Facebook und Twitter, geteilt werden.

Die starke Verbreitung des Begriffs, der mit Desinformation, Verschwörungstheorie, Verruf, Diskriminierung, Überzeugungen, Ideologie, Propaganda u. a. einhergeht und dadurch die Begrifflichkeiten häufig austauschbar macht (Tandoc et al., 2018), erhöht die Gefahr seiner Banalisierung. Aus der Wissenschaftsgemeinschaft kommt daher auch der Wunsch, auf den Begriff zu verzichten (Habgood-Coote, 2019), dessen Verwendung für irreführend und überflüssig gehalten wird. Überflüssig, weil die Verbreitung von Falschmeldungen eine seit der Antike bekannte Dynamik im öffentlichen Diskurs ist. Fake News sind ein Phänomen, das es längst gab, als der Begriff aufkam. Irreführend ist der Gebrauch, weil der Begriff und somit der Kampf gegen Fake News die Aufmerksamkeit von einem möglichen echten Verstehen des Phänomens ablenkt: Dabei gelte es, die Bedingungen und Dynamiken für die Entstehung und Verbreitung von Fake News sowie die falschen Einschätzungen und, als weit schwerwiegendere Folge, die Vorurteile und Diskriminierungen zu verstehen, die zu Fehlinformationen führen können. Inflationär verwendet verkommt das Triggerwort zum Slogan, inhaltlich ohne jede Relevanz, ja ohne jede Bedeutung. Oder es wird zum blossen Instrument, um – bei Verfechtern zweier Lager und losgelöst vom Thema – Polarisierung und Hyperpolarisierung nach einem narrativen/dialogischen Muster auszulösen, das den öffentlichen Diskurs heute zu beherrschen scheint. Das führte dazu, dass Fake News eher als Problem angesehen werden, das zu lösen ist, und nicht als Phänomen in einem kommunikativen Umfeld, das es zu verstehen gilt. Eine Ausrichtung, die sich offenkundig in der wissenschaftlichen Literatur zum Thema spiegelt: Der grossen Anzahl an Arbeiten, die sich mit der Frage befassen, wie man Fake News erkennt und ihre Verbreitung verhindert, steht volumenmässig nichts Entsprechendes an Untersuchungen gegenüber, die das Verhältnis zwischen Fake News und dem Herausbilden von Überzeugungen und Vorurteilen oder die Dynamiken von Propaganda und Manipulation beleuchten würden. Natürlich heisst das nicht, dass das übliche Checken von Fakten auf Glaubwürdigkeit vor ihrer Weitergabe nicht wichtig ist. In dieser Hinsicht vorbildlich ist die Initiative der Europäischen Kommission in Zusammenarbeit mit der Unesco, die die Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützen will, Desinformation zu erkennen, zu widerlegen und einer Verbreitung entgegenzuwirken (www.ue, 2021). Es bleibt aber eine nicht sichere Praxis, auf die sich Personen beziehen, die bereits mit der Problematik vertraut sind.

Leider fehlt ein griffiges Vorgehen, um Fake News verlässlich zu kontrollieren und zu eliminieren. Es kann aber nützlich sein, die Aufmerksamkeit auf einige Aspekte zu lenken, um den Kontext und die Auswirkungen von Fake News besser zu verstehen.

Verschwörungstheorien und Fake News

Will man das weite Feld der Fake News inhaltlich fassen und insbesondere auch die Dynamiken und die Tragweite ihrer Wirkung verstehen, ist es hilfreich, die Fake News zuerst von den Verschwörungstheorien abzugrenzen, mit denen sie manchmal gleichgesetzt werden.

Eine begriffliche Überlappung lässt sich nicht immer vermeiden. In beiden Fällen handelt es sich um Überzeugungen oder Fehlinformationen, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen, die aber als zuverlässig und massgeblich dargestellt und akzeptiert werden. Sowohl hinsichtlich der Formulierung als auch der Rezeption sind die Unterschiede aber wesentlich. Verschwörungstheorien liegt die Überzeugung zugrunde, dass ein geheimer Plan von Individuen oder Mächten besteht, Ahnungslosen manipulativ zu schaden. Ziel der Verschwörungstheoretiker, also jener, die an ein solches Narrativ glauben, ist es, diesen Plan aufzudecken und zu durchkreuzen. Unabhängig von ihrer Entstehung vermögen Verschwörungstheorien die Welt oder zumindest einzelne Fragen zu erklären, vor allem, wenn sie unverständlich zu sein scheinen und Angst und Unsicherheit auslösen. Angst vor Unbekanntem und Statusverlust begünstigt die Suche nach einem Sündenbock, nach einem Verantwortlichen und Schuldigen, gegen den man die eigenen Verteidigungsmechanismen richten kann. Bevorzugte Kategorien gibt es nicht, die Wahl hängt von einer Kombination zufälliger Faktoren ab und kann auf bekannte Persönlichkeiten wie Bill Gates oder Menschen mit bestimmten physischen oder kulturellen Merkmalen fallen (Goffman, 1963), wie Schwarze, Migranten, Homosexuelle, Muslime usw. Selbstverständlich fallen die Auswirkungen auf die Betroffenen unterschiedlich aus, ist es doch leichter, sich etwa gegenüber Migranten diskriminierend oder gewalttätig zu verhalten als gegenüber Bill Gates.

Fake News können Bestandteil einer Verschwörungstheorie sein oder unabhängig davon bestehen. Einzelne Aussagen, einzelne Elemente der Verschwörungstheorie können Fake News sein, aber auch in der Infosphäre kursierende Fehlinformationen mit unterschiedlichen Graden und Kombinationen von Fehlern und verschiedenen Absichtsebenen, die von einer schlichten Nichtübereinstimmung von Titel (oder Bild) und Inhalt einer Nachricht bis hin zur absichtlichen Verbreitung völlig falscher Inhalte zu Propaganda- oder Überzeugungszwecken reichen.

Fake News verbreiten sich rapide und fragmentarisch. Ebenso rasch sind sie obsolet, werden abgewandelt und können auch gefährlicher als Verschwörungstheorien sein. An eine Verschwörungstheorie zu glauben, bedingt eine Zustimmung, die wiederum voraussetzt, dass man sich eine eigene, häufig abstruse Vorstellung der Welt gemacht hat, die weit über die blosse Nachricht hinausgeht. So sind etwa «Flat Earther» überzeugt, die Erde sei flach. Fake News brauchen keine Zustimmung, gerade weil sie so unterschiedlich ausgestaltet sind und sich leicht und rasch verbreiten lassen, sie können sich überall einnisten und auch völlig ungewollt und zufällig für wahr gehalten werden.

Glauben und glauben lassen

Das Debunking, das Entlarven und Widerlegen von Falschmeldungen, ist sicher eines der bekanntesten Instrumente, die im Kampf gegen Fake News eingesetzt werden. Es gibt zahlreiche Fachleute und Websites, die mit Programmen, Algorithmen und KI Fakten checken (z. B. die Website First Draft).

Will man die Verbreitung von Fake News und das Festhalten an Verschwörungstheorien begreifen, ist es zudem wichtig, die Gründe für das Phänomen zu verstehen und damit in erster Linie das Bedürfnis, zu glauben. Der Mensch muss glauben können, um sich ein Narrativ von der Welt zurechtzulegen, das dem Leben eine Ordnung und einen Sinn gibt. Diese Funktion erfüllen (in den sog. traditionellen Gesellschaften) die Mythologien, die Religionen oder eben auch Verschwörungstheorien und Fake News. Sie befriedigen das anthropologische Bedürfnis zu glauben. Dabei ist es nicht relevant, ob das, woran man glaubt, bewiesen werden kann, handelt es sich doch gerade um eine Frage des Glaubens und nicht des Wissens. Aus dieser Perspektive betrachtet, sind es logisch gleichwertige Denkstrukturen: Zu glauben, dass ein Mensch, der gestorben ist, auferstehen kann oder dass die Erde eine Scheibe ist, folgt derselben zwingenden Logik, denn beides ist nicht beweisbar. Nicht immer weisen diese Strukturen eine ethische oder sagen wir demokratische Gleichwertigkeit auf: Zu glauben, die Erde sei flach, ist alles in allem harmlos. Wer hingegen glaubt, dass von einem bestimmten Personenkreis aufgrund besonderer Merkmale eine Bedrohung oder Gefahr ausgehe, öffnet der Stigmatisierung, der Diskriminierung, der Verfolgung und im Extremfall der Gewalt Tür und Tor.

Zu beachten ist auch, dass sich Fake News in einem medialen Ökosystem, in der Infosphäre, verbreiten, in der verschiedenste Akteure mit unterschiedlichsten Interessen agieren. Einige Gruppen nutzen das Bedürfnis, zu glauben, für das komplementäre Bedürfnis aus, «glauben zu lassen», um die eigene Vorherrschaft oder Macht zu instaurieren bzw. aufrechtzuerhalten, um Zuspruch zu bekommen, um zu manipulieren und zu beeinflussen. Anders gesagt sind Fake News optimale Instrumente, um eine Ideologie zu implementieren, was ja ein nie abgeschlossener Prozess ist, ein Prozess, der nicht ein für alle Male definiert wird, sondern auf ständigem Aushandeln beruht (vgl. die Analyse von Stuart Hall (1980), u. a. zur Ideologie). Dabei geht es nicht nur um Machtverhältnisse, sondern auch um eine Reihe Interaktionen, die sowohl Sender und Empfänger der Informationen umfasst als auch diejenigen, die von der Form des medialen Umfelds und dem generellen sozialen Kontext beeinflusst werden (vgl. das Modell des «Cultural Diamond» von Wendy Griswold (2012)).

Postfaktizität und ungesichertes Wissen

Die Besorgnis über die Auswirkungen von Fake News die etwa mit Polarisierungen und Hassreden auf die Gefühle der Menschen einwirken, hat die Aufmerksamkeit auf mögliche Lösungsansätze aus einer pathologisierenden Perspektive gelenkt (Boullier et al., 2021), bei der erwartet wird, dass Fachleute die Grenze zwischen wahr und falsch wiederherstellen sollen – ein Vorgehen, das auf grosses Erstaunen stösst: Festhalten, in welchen Fällen eine Information korrekt ist, bedeutet längst nicht, dass sie von den Empfängerinnen und Empfängern angenommen wird (Harambam, 2021). Gleichzeitig beansprucht das Checken jeder Information, der wir ausgesetzt sind, viel Zeit, was schlecht mit der Geschwindigkeit zu vereinbaren ist, mit der sich Informationen verbreiten, ganz abgesehen davon, dass es eine extrem anstrengende kognitive Leistung voraussetzt.

Fake News fallen in einen Kontext allgemeiner Verunsicherung, der das Wissen und die Grundlagen seiner Legitimität in Mitleidenschaft zieht (Fine, 2011; Giddens, 1990). Auch das Konzept Wahrheit scheint nicht zu genügen. Seit Oxford Dictionnaries «post-truth», postfaktisch, 2016 zum Wort des Jahres gewählt haben, wird «postfaktisch» für Daten, Überzeugungen, Emotionen und Kommunikation verwendet. Die Wahrheit kann also mutieren oder unkenntlich werden, wie dies hochaktuell das Beispiel betreffend den Ursprung des Coronavirus zeigt: Die Vermutung eines Laborunfalls, die seit Beginn der Pandemie als Verschwörungstheorie gilt, ist zu einer von den USA und der EU legitimierten Hypothese geworden, die auch von den angesehensten Medien übernommen wurde.

Die digitale Welt spielt sicher eine Schlüsselrolle bei der Produktion von Post-Truth, auch durch Fake News, die sich in den sozialen Netzwerken, insbesondere auf Facebook und Twitter, ausbreiten. Das Verbreiten von Desinformation und Gerüchten ist aber keine Besonderheit der sozialen Medien, das Phänomen war in der Vergangenheit bereits Gegenstand von Studien (Morin, 1969). Nicht zu bestreiten ist, dass das Kursieren nicht korrekter und falscher Informationen in der Infosphäre spezifische Merkmale aufweist, die oft nicht thematisiert werden, weil sie als selbstverständlich angesehen werden. Dabei tragen sie dazu bei, günstige Bedingungen für die Verbreitung, die Auswahl und die Auswirkungen von Desinformation zu schaffen. Dass der Zugang, die Bereitstellung und die Verbreitung von Inhalten derart einfach sind, führt zu einer paradoxen Situation: Einerseits ist die Zunahme an Informationsflüssen Teil eines Demokratisierungsprozesses, bei dem zwingend auch der Anteil an Desinformation wächst. Andererseits fördert die algorithmusbasierte Auswahl an Informationen auf gewissen Plattformen die Bildung von Filterblasen. In diesen relativ engen Räumen besteht die Gefahr, dass der einzelnen Person ideologisch homogene Informationen angeboten werden, die mit ihrem Geschmack und ihren Überzeugungen übereinstimmen, was sie tendenziell in ihren Ansichten und Positionen bestärken wird – ein Teufelskreis.

Fazit

Zum Thema Fake News gibt es leider keine guten Nachrichten. Zu glauben, man könne ihnen mit Gesetzen oder ausgeklügelten Algorithmen zu Leibe rücken, ist vermessen. Genauso wenig praktikabel ist es, im Voraus Entscheidungsgrundlagen definieren zu wollen, die wahr von falsch trennen, nach denen die Informationen dann verarbeitet und auf ihre Richtigkeit geprüft werden.
Was tun angesichts von Informationen, die Überzeugungen und Meinungen transportieren, die die demokratische Dimension des Zusammenlebens untergraben und Diskriminierungen Vorschub leisten? Auch wenn es keine verlässlichen Sofortlösungen gibt, ist es doch wichtig, das Problem aus einer globalen Perspektive anzugehen. Fördert man die digitale Bildung, in allen kritischen Aspekten wie z. B. Datenschutz und Privatsphäre (Gamba, 2020), wird der Mensch befähigt, sich mit eigenständigen Bewertungsinstrumenten auszustatten, wodurch er sich kompetenter und bewusster in der Infosphäre bewegen wird. Dem steht der Einsatz von Algorithmen in der Datenverarbeitung natürlich nicht entgegen, aber das Wissen schärft das Bewusstsein der Nutzerinnen und Nutzer beim Veröffentlichen oder Teilen von Inhalten auch für mögliche Konsequenzen.

Digitale Bildung und das Bewusstsein für die Risiken allein reichen jedoch nicht aus. Jeder Form von Diskriminierung entgegenzuwirken, auch Fake News, die sich wegen als negativ oder bedrohlich wahrgenommener Merkmale gegen unterschiedlichste Personengruppen richten kann, verlangt in einem hybriden Kommunikationsumfeld (online und offline) nach geduldiger, unermüdlicher Aufklärungsarbeit zugunsten von Vielfalt und Inklusion, die mannigfaltigste Narrative der Differenz zu verstehen weiss.

Bibliografie:
Allcott, H., Gentzkow, M. (2017). Social media and fake news in the 2016 election. Journal of economic perspectives, 31(2), 211-36.
Boullier, H., Kotras, B., Siles, I. (2021). Savoirs incertains. Étudier « complots » et « vérités » à l’ère numérique. Introduction. RESET. Recherches en sciences sociales sur Internet (10).
Fine, G. A., Di Fonzo, N. (2011). « Uncertain Knowledge », Contexts, 10(3), 16-21.
Gamba, F. (2020). «The Right to be Forgotten and Paradoxical Visibility: Privacy, Post-privacy, and Post- mortem Privacy in the Digital Era». Problemi dell’informazione, N. 2, 201-219.
Giddens A. (1990), The consequences of modernity, Cambridge, Mass., Polity Press.
Goffman, E. Stigma: Notes on the Management of Spoiled Identity. Englewood Cliffs, New Jersey: Prentice-Hall, 1963.
Griswold, W. (2012). Cultures and societies in a changing world. Los Angeles – London – New Dehli – Singapur – Washington DC: Sage.
Habgood-Coote, J. (2019). Stop talking about fake news! Inquiry, 62(9-10), 1033-1065.
Harambam J. (2021). «Against modernist illusions: why we need more democratic and constructivist alternatives to debunking conspiracy theories», Journal for Cultural Research, 25(1), 104-122.
Morin, E. (1969). La rumeur d'Orléans. Paris : Seuil.
Tandoc Jr, E. C., Lim, Z. W., Ling, R. (2018). Defining «fake news» A typology of scholarly definitions. Digital journalism, 6(2), 137-153.
Europäische Kommission: «So erkennt man Verschwörungstheorien» (aufgerufen am 26.6.2021)