TANGRAM 45

Im Schatten der Macht: ein Rückblick auf verschwörungstheoretische Weltanschauungen

Autorin

Die promovierte Sozialwissenschaftlerin Laurence Kaufmann ist Professorin an der Universität Lausanne. laurence.kaufmann@unil.ch

Verschwörungstheorien sind keine Theorien. Es sind vielmehr politische Praktiken, die nicht die Wahrheit einer Sache aufzeigen, sondern die Wirklichkeit eines sozialen Verhältnisses, das immer wieder aufs Neue geschaffen wird.

Zwischen Juli und August 1789 löste das Gerücht einer Verschwörung der Aristokratie noch nie dagewesene Bauernaufstände, die sogenannte Grande Peur, aus. Es hiess, die Adeligen würden mit den Goldreserven des Königreichs aus Frankreich zu flüchten versuchen und blutrünstige Söldner aussenden, um die Dörfer dem Erdboden gleichzumachen, die Ernten des dritten Standes zu zerstören und die absolute Monarchie wiederherzustellen. Diese gigantische Falschinformation sorgte landesweit für Unruhen und veranlasste die Bauern dazu, sich der ursprünglich eher bürgerlichen Revolutionsbewegung anzuschliessen, die von der Versammlung der Generalstände angestossen worden war. Die aussergewöhnliche Macht dieses Gerüchts, das die Plünderung und Zerstörung von Schlössern, Abteien und Prioraten durch verängstigte, mit Schaufeln und Gabeln bewaffnete Bauern zur Folge hatte, regt uns dazu an, über Aspekte nachzudenken, die in den Überlegungen zu Verschwörungen häufig zu kurz kommen. Einerseits können Verschwörungsgerüchte kaum durch Persönlichkeitsmerkmale oder interne kognitive Faktoren, in diesem Fall die archaische Gewalt der Bauern, erklärt werden. Sie offenbaren vor allem ein soziales Verhältnis, nämlich jenes der politischen Unterwerfung und der wirtschaftlichen Ausbeutung der «Kleinen» durch die «Grossen», von denen Respekt, Schutz und Existenzsicherung erwartet werden. Andererseits bringen Verschwörungsgerüchte Gefühle der Angst, des Misstrauens, der Wut und der Empörung zum Ausdruck. In einem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext, der durch Hunger, politische Spannungen, anti-herrschaftlichen Unmut und räuberisches Banditenunwesen geprägt ist, lässt das Verschwörungsnarrativ den chaotischen Lauf der Dinge nachvollziehbar erscheinen und verwandelt das grundsätzlich apolitische Gefühl der Unruhe und der Machtlosigkeit in kollektives Handeln.

Die Wirklichkeit eines sozialen Verhältnisses

Nach diesem kurzen Abstecher ins 18. Jahrhundert kommen wir mit etwas Abstand auf die heutigen Verschwörungsgerüchte zurück, die in unserem öffentlichen oder halb-öffentlichen Raum neu als Verschwörungstheorien bezeichnet werden. Dieser Begriff, der ihnen von ihren Gegnerinnen und Gegnern zugeschrieben wurde, ist trügerisch, denn er anerkennt die epistemischen Ansprüche einer Praxis, die im Gewand einer wissenschaftlichen Untersuchung daherkommt. Die Methode der Produktion wissenschaftlicher Wahrheit beruht auf einer Tätigkeit der unbeschränkten Untersuchung, gestützt auf Beweisführung, Falsifizierungsresistenz und öffentliche Datenerhebung, und man bezieht sich – unbegrenzt inklusiv argumentierend – in einer spezifischen Weise aufeinander. Eine solch offene und pluralistische Untersuchung ist jedoch in den Verschwörungsdiskursen nicht zu finden, aus dem einfachen Grund, dass diese nicht epistemisch, sondern politisch motiviert sind. Verschwörungstheorien sind keine Theorien. Wie die Gerüchte des 18. Jahrhunderts sind es vielmehr politische Praktiken, die nicht die Wahrheit einer Sache aufzeigen, sondern die Wirklichkeit eines sozialen Verhältnisses, das immer wieder aufs Neue geschaffen wird. Eben gerade weil Verschwörungsgerüchte die Wirklichkeit eines sozialen Verhältnisses abbilden, halten sie sachlichen Widerrufen und entgegengesetzten Wahrheitsbeweisen stand.

Welches soziale Verhältnis widerspiegeln nun aber die Verschwörungsvorwürfe, die in den digitalen Medien Einzug halten? Die Enttäuschung und das Misstrauen, das die demokratischen Institutionen auslösen, die im Namen und im Dienst der Öffentlichkeit handeln sollten, aber hinter den Kulissen der Macht Normen übertreten, für die sie offiziell einstehen. Diese Enttäuschung respektive dieses Misstrauen scheint in vielerlei Hinsicht gerechtfertigt. Meistens erscheinen die politischen Institutionen auf der öffentlichen Bühne, um sich auf die undurchsichtigen Mechanismen der wirtschaftlichen (De-)Regulierung zu berufen und ihre Machtlosigkeit einzugestehen – eine Machtlosigkeit, die die Verschwörungsgerüchte wie erwähnt eben gerade überwinden wollen. Die verstreuten und schwer identifizierbaren wirtschaftlichen und finanziellen Instanzen entziehen sich der öffentlichen Prüfung – im doppelten Sinne des in Erscheinungtretens wie auch der Offenheit für kritische Beurteilungen –, die die gute Funktionsweise eines demokratischen öffentlichen Raums gewährleistet. Folglich erstaunt es wenig, dass die öffentliche Bühne, insbesondere in Krisensituationen (z. B. terroristische Anschläge, Pandemie) als Scheinwelt wahrgenommen wird, während den Kulissen eine geheime Macht zugeschrieben wird.

Problematisch an Verschwörungsreden ist also nicht das Misstrauen, das an sich nichts Krankhaftes ist, und noch weniger der Versuch, den Zustand der Ohnmacht und der unbeteiligten Beteiligung einer Öffentlichkeit auf Abruf, die von den wirklichen Orten der politischen Entscheidungsfindung ferngehalten oder ausgeschlossen wird, zu überwinden. Das Problem ist die Umwandlung des Misstrauens in eine krankhafte Form von Paranoia, die Ungleichheiten und strukturelle Ungerechtigkeiten auf Kausalzusammenhänge zurückführt, bei denen gewissen Personen (z. B. George Soros, Hillary Clinton) oder Gruppen (z. B. die jüdische Gemeinschaft, die Migrationsbevölkerung) Absichten unterstellt werden. Gefangen in einer Opposition zwischen einem Wir und einem Sie, die die zerstörerische Form eines Kampfs zwischen Gut und Böse annimmt, verweigern sich Verschwörungsvorwürfe den offiziellen Rechtswegen und den rechtlichen Mitteln, die zur Verfügung stünden. Diese Verweigerung ist mit der Übergeneralisierung des Zweifels und des Misstrauens zu erklären, die die potenziell rechtliche Logik der öffentlichen Anschuldigung in der fantastischen, begrenzten und privaten Kategorie des Verdachts auflöst. Im Zentrum der Verschwörungsweltsicht steht somit die Entjustizialisierung und die Privatisierung der Anklage und damit die Ablehnung einer offenen Konfliktaustragung, der Widerruf jeglicher institutionellen Vermittlung. Der Verschwörungswahn erhebt Anschuldigungen, die sich ausserhalb der Institutionen bewegen, und weigert sich, die für eine Demokratie grundlegende Unterscheidung zwischen Gesetz, Macht und Wissen anzuerkennen. Wenn sich jedoch Macht, Gesetz und Wissen vermischen und verlieren, wird der Konflikt entinstitutionalisiert und brutalisiert.

Eine paranoide Macht

Bisher haben wir uns auf Verschwörungspropaganda und inoffizielle Gerüchte aus sozialen Schichten konzentriert, die von der Macht ausgeschlossen sind und die versuchen, sich an die fehlenden Informationen über das Tun und Handeln der Regierenden heranzutasten. Die Effizienz eines solchen Kurses ist zufallsbedingt und hängt von den Verschwörungen ab, die geltend gemacht werden. Relativ harmlos bleibt der insbesondere unter jüngeren Generationen verbreitete Glaube an eine Verschwörung von Echsenmenschen, die sich auf der Erde ausbreiten würden – die im Übrigen flach ist, entgegen der Behauptung all jener, die an die Mondlandung glauben: Er dient hauptsächlich dem Zugehörigkeitsgefühl unter Gleichaltrigen, das durch den Austausch eines Initiierungswissens, einer Reihe von Geheimnissen, deren Hauptwert die Exklusivität ist, entsteht. Ganz anders sieht es aus, wenn die Verschwörungsanschuldigungen ganze Bevölkerungsgruppen stigmatisieren und sie auf ein einziges Merkmal reduzieren, wobei ihnen eine «teuflische Kausalität» unterstellt wird. So beispielsweise beim abscheulichen «Protokoll der Weisen von Zion», das die Juden und die Freimaurer bezichtigt, zur Eroberung der Welt anzusetzen.

Zu diesem «Bottom-up»-Kurs, d. h. Verschwörungsvermutungen, die sich in inoffiziellen Kanälen verbreiten, gewissermassen in symbolischen Gehegen, die eine Störung der institutionellen Bezugspunkte aufzeigen, kommt ein anderer, ebenso wichtiger Kurs hinzu: der «Top-down»-Weg, also Verschwörungsreden, die den institutionellen, insbesondere staatlichen Diskurs pflastern. Bereits die überbordende informelle Verschwörungsrhetorik in den digitalen Räumen ist besorgniserregend; noch beunruhigender ist jedoch die inflationäre Ausbreitung paranoider Diskurse auf institutioneller Ebene. Die neue populistische Rhetorik, die den öffentlichen Raum durchdringt, sei es in Europa (V. Orban, M. Salvini), Südamerika (J. Bolsonaro) oder in den USA (D. Trump), setzt bevorzugt auf eine paranoide Denkart, die gegen einen gemeinsamen Feind gerichtet ist. Der Rückgriff auf die Figur des inneren oder äusseren Feindes ist bekanntermassen eine äusserst effiziente Strategie. Indem das kulturelle, religiöse oder «ethnische» Überleben der Gemeinschaft zu einer zentralen Herausforderung erklärt wird, werden interne Unstimmigkeiten oder Dissonanzen, die durch soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten entstehen können, verdrängt. Die politische Führung muss ihre Zerwürfnisse beiseiteschieben und ihre Kräfte bündeln, um gegen einen gnadenlosen Feind anzutreten, der sich in den Tiefen – einschliesslich im Tiefen Staat, dem berüchtigten «Deep State», – versteckt. Angesichts der Konfrontation zwischen Gut und Böse, die die populistischen Kreise als Anfacher der Verbitterung mit ihrer Verschwörungsrhetorik inszenieren, kann die allgemeine Öffentlichkeit nicht mehr kritisch, desinteressiert oder vorsichtig zuschauen. Als potenzielles Opfer einer erbarmungslosen Gewalt wird sie in die Zange einer Politik der Angst genommen, die an ihren Überlebensinstinkt und ihre Loyalität appelliert, und ist damit gezwungen, sich auf eine Seite zu stellen. Wem der Tod an den Fersen klebt, der kann sich nicht erlauben, eine öffentliche Untersuchung über Machtmissbrauch loszutreten oder viel Aufhebens um soziale Fragen zu Bildung, Gesundheit oder Arbeitslosigkeit zu machen. Die in Staatspolitik umgewandelte Verschwörungsrhetorik wird damit zu einem Spiel des moralischen und epistemischen Zerfalls, abgerundet durch die höchst konspirative Verfolgung von «Fake News».

Verschwörungsgrübeleien

Da durch den Verschwörungswahn nicht die Wahrheit eines Fakts, sondern die scheinbare Wirklichkeit eines sozialen Verhältnisses ausgedrückt wird, kann er sowohl im Dienst der Macht der Regierenden, die die Angst umtreibt, die Kontrolle über die Regierten zu verlieren, als auch im Dienst des Widerstands der Beherrschten, die tief gekränkt sind von den Missbräuchen der Mächtigen, stehen. In beiden Fällen kommt ein radikal antagonistisches soziales Verhältnis zum Vorschein. «Von oben» betrachtet gibt ein solches Verhältnis dem «Oberbefehlshaber» die Macht, jegliche Kritik zu disqualifizieren und soziale Gruppen zu stigmatisieren (z. B. Trumps Migrantenkarawane oder Bolsonaros Krebsgeschwür der Homosexuellen), indem er ihnen böswillige und zerstörerische Absichten unterstellt. «Von unten» betrachtet steht bei diesem antagonistischen Verhältnis das Wir der kleinen, ausgebeuteten Arbeitenden dem Sie der Reichen und Wohlhabenden gegenüber, die immer mehr undurchsichtige Strategien, Lügen und Manipulationen einsetzen, um das Wir zum Schweigen zu bringen. Auf dieses soziale Verhältnis weisen auch die Verschwörungstheorien der Kindsentführungen hin, die sowohl in den Pariser Unruhen des 18. Jahrhundert als auch in den amerikanischen Aufständen der QAnon des 21. Jahrhunderts zu finden sind.

Ungeachtet ihrer Unterschiede setzen beide Verschwörungskurse, der absteigende und der aufsteigende, auf dasselbe manichäische Weltbild des Kampfes zwischen Gut und Böse, zwischen dem Licht der Gerechten und der Verschwörung der Finsternis. Diese Weltsicht ist paradoxerweise nicht sehr fantasievoll. Sie ist alles andere als zukunftsgerichtet und zeichnet eine Welt, die nach dem Prinzip der Bestätigung und der Wiederholung der Schuld jener – Mächtige, «Loser», «Profiteure», Ausländer oder Verräter – funktioniert, die das Überleben der Gemeinschaft bedrohen. Der Verschwörungswahn beraubt die sozialen Verhältnisse jeglicher zeitlichen und erfahrungsbedingten Dichte: Die Geschichte hat nur einen vorbestimmten Sinn, jenen einer andauernden Verschwörung, die in einem abgeschlossenen Raum spielt, dessen Grenzen die moralischen von den unmoralischen Menschen trennen.

Identitärer Verschwörungswahn

Verschwörungsvorstellungen sind undurchlässig für jedes Realitätsprinzip und gehorchen einem morbiden Rationalismus, bei dem reale Konflikte für imaginäre Kämpfe aufgegeben werden. Genau deshalb passt Verschwörungswahn so gut zu anderen krankhaften Formen sozialer Verhältnisse, namentlich Rassismus, Sexismus und Antisemitismus: Er reduziert eine Gruppe von Menschen auf eine einzige Eigenschaft (z. B. ausländisch, schwarz, mexikanisch, jüdisch, zugewandert, weiblich), alle anderen werden ausgeblendet. Wie bei allen Stigmatisierungsprozessen folgt auch hier auf diesen ersten Schritt der Entpersönlichung tendenziell ein zweiter Schritt der Herabsetzung oder der Entmenschlichung, wie sich bei der Bezeichnung der Migrationsbevölkerung als «Krebsgeschwür» beobachten lässt. So wird mit der Verschwörung des «Grossen Austauschs», die bei rechtsextremen Kreisen in Europa und weissen Suprematisten in den USA hoch im Kurs steht, ein Plan der «Migrationsinvasion» und des «ethnischen Ersatzes» bezeichnet, der angeblich von den neuen «Barbaren», insbesondere der muslimischen Bevölkerung, ausgeheckt werde. Diese kriminelle Verschwörung werde unter Mitwirkung der Eliten angezettelt und bedrohe die weisse, christliche Identität. Die Theorie des «Grossen Austauschs» spricht identitäre Ängste an und bietet einen fixfertigen Glaubenssatz, der unabhängig vom kulturellen, geografischen und historischen Raum mobilisierbar ist. Aufgrund seiner unscharfen Konturen und seiner polemischen Struktur ist er leicht entflammbar: Der oder die andere ist grundsätzlich eine bedrohliche Figur, ein Mensch, der uns fremd ist, dessen Schicksal uns nicht betrifft oder, schlimmer noch, dessen Andersartigkeit wir nicht ertragen.

Unter dem Banner der Identität errichtet der Verschwörungswahn somit das Fundament für eine geschlossene Gemeinschaft, die unfähig ist, sich der Aussenwelt – die definitionsgemäss unrein ist – zu öffnen. Die einzige Politik, die er befürworten kann, ist keine wirkliche Politik, sondern eine Therapie: Es gilt, die noch gesunden sozialen Kräfte zu vereinen, um die ungesunden, verdorbenen, bösen oder eingedrungenen Elemente, die die Reinheit des sozialen Körpers bedrohen, auszumerzen. Der Verschwörungswahn, der nicht auf dem Handeln, sondern auf dem Sein beruht, stellt sich als Opposition dar und stellt damit durch Ablehnung die Einheit der Gemeinschaft wieder her, die herbeigesehnt wird. Eine solche Gemeinschaft, die auf einem Identitätsprinzip und nicht auf einem Handlungshorizont aufgebaut ist, ist per se unzivilisiert: Die anderen, mit ihren unterschiedlichen Biografien und kulturellen Eigenheiten, erscheinen als Skandal, der der individuellen und kollektiven Identität schadet, die um jeden Preis geschützt werden muss. Sie spiegelt die Wunschvorstellung einer absolut reinen Identität vor und kann nicht mit Anderssein und Andersdenken umgehen; diese betrachtet sie ausschliesslich als Synonym von Verrat oder Korruption, die – auch in ihrem Innern – nur bekämpft werden können.

Fazit: stillgelegter öffentlicher Raum und unzivilisierte Bühnen

Verschwörungsfantasien drücken offensichtlich ein antagonistisches soziales Verhältnis aus, das am Rande der Zwischenstufe zwischen Handlung und Worten, die den öffentlichen Raum ausmacht, spielt. Den blühenden Verschwörungsrhetoriken in den verschiedenen Informationsblasen, in die die digitalen Räume unterteilt sind, entsprechen – gewissermassen als umgekehrter Spiegel – die Schattenspiele, die die Staatsmacht ihren Gegnerinnen und Gegnern unterstellt. In beiden Fällen wird der öffentliche Raum als befriedeter Ort der Beratung und des Aufeinandertreffens verschiedener Meinungen buchstäblich stillgelegt, während den Kulissen eine äusserst unzivilisierte Macht zugewiesen wird. Diese Unzivilisiertheit kann meiner Ansicht nach kaum durch eine Argumentation entschärft werden, mit der die Wahrheit und die Vernunft gegenüber den vermeintlich Gläubigen, die in ihren kognitiven Mängeln und ihren epistemischen Verzerrungen feststecken, wiederhergestellt werden soll. Die Antwort kann nur auf der Beziehungsebene liegen: Verschwörungskollektive bilden sich dann aus und erhalten Sinn, wenn sie in Beziehung zu dem stehen, was sie leugnen und zurückweisen.

Wie kann der unzivilisierten Stilllegung unserer demokratischen öffentlichen Räume entgegengewirkt werden? Der Verschwörungswahn ist Ausdruck einer sozialen Kluft, die es zu überwinden gilt. Dies gelingt insbesondere über die Wiedereinführung einer Reihe von Mediationen zwischen der Zivilgesellschaft und den Medien, dem Bildungswesen, der Wissenschaft und Politik. Anstatt die Demokratie ständig als eine kalte und ausgehöhlte politische Form darzustellen, die nur in der Wahl ihrer Vertretenden besteht, sollten wir wieder zum sozialen Gedanken der Demokratie als gegenseitiger, freier und symmetrischer Austausch zurückkehren. Nur durch die praktische Umsetzung einer solchen Idee ist der Gesellschaft mit doppeltem Boden beizukommen, die in den aktuellen Weltanschauungen herumgeistert, und zwar in jenen der Verschwörungsstaaten, jenen der inoffiziellen sozialen Netzwerke und, in geringerem Masse, jenen der «Anti-Verschwörungs-Gegenbewegung». Nur dadurch kann verhindert werden, dass sich die binäre und antagonistische Logik des Sie gegen Uns, die der Verschwörungswahn zementiert, unwiderruflich durchsetzt.

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