Cas 2008-028N

Massenschlägerei am Jahrmarkt & Überfallartige Zusammenrottung aus rassistischen Motiven

St-Gall

Historique de la procédure
2008 2008-028N Die zuständige Strafverfolgungsbehörde erhebt Anklage.
2008 2008-029N Die 1. Instanz spricht den Angeklagten schuldig.
Critères de recherche juridiques
Acte / Eléments constitutifs objectifs Abaissement ou discrimination (al. 4 1ère phrase)
Objet de protection Ethnie
Questions spécifiques sur l'élément constitutif
Mots-clés
Auteurs Particuliers
Victimes Etrangers et membres d'autres ethnies
Moyens utilisés Voies de fait;
Gestes
Environnement social Lieux publics
Idéologie Racisme (nationalité / origine)

Synthèse

Dem Angeklagten werden verschiedene Delikte zur Last gelegt. Bei einem Sachverhalt wird ihm Rassendiskriminierung anlässlich eines Raufhandels, bei einem zweiten Sachverhalt wird ihm überfallartige Zusammenrottung inklusive Landfriedensbruch aus rassistischen Motiven vorgeworfen.
Der Beschuldigte war im Rahmen eines Jahrmarkts mit Befreundeten an eine andere Gruppe von Jahrmarktbesuchenden aneinandergeraten. Es kam zu Provokationen beiderseits. Diese wechselseitigen Sticheleien steigerten sich im Laufe der Zeit zu gegenseitigen Tätlichkeiten und mündeten schliesslich in einer teils brutal verlaufenden Massenschlägerei. Dem Beschuldigten werden verschiedene Straftaten vorgeworfen, u. a. Raufhandel, mehrfache versuchte schwere Körperverletzung, versuchte einfache Körperverletzung, Missachten von polizeilichen Anordnungen, Gewalt und Drohung gegen Beamte, Landfriedensbruch und Rassendiskriminierung. Der Angeschuldigte zeigte mehrfach öffentlich den «Hitler-Gruss» und rief mehrfach öffentlich die Parole «Heil Hitler» u.a. gegenüber Personen mit Migrationshintergrund im engen und räumlichen Zusammenhang mit, gegen diese Personengruppe verübten, Tätlichkeiten und Körperverletzungen aus.
Zudem wird dem Angeklagten vorgeworfen, an einer öffentlichen Zusammenrottung teilgenommen zu haben, aus der mit vereinten Kräften Gewalttätigkeiten gegen Teilnehmende einer zu diesem Zeitpunkt durchgeführten JUSO-Veranstaltung gegen Rassismus verübt wurden. Eine Gruppe von Leuten, darunter der Angeklagte, fanden sich zusammen, um gemeinsam die Anwesende der Veranstaltung anzugreifen. Etliche Teilnehmende der antirassistischen Veranstaltung wurden dabei weggestossen, geschlagen und getreten. Das Mobiliar und die Infrastruktur wurden teilweise erheblich beschädigt.
Der Beschuldigte zeigte in allen ihm zur Last gelegten Delikten eine ausserordentliche Verrohung und Brutalität. Während der Ermittlungen zeigte er dabei keinerlei Einsicht oder Reue. Aus all diesen Gründen erhebt die zuständige Strafverfolgungsbehörde Anklage gegen den Beschuldigten.

En fait / faits

Sachverhalt I, Rassendiskriminierung anlässlich eines Raufhandels:
Der Angeklagte war Teil einer Gruppe, die einen Jahrmarkt besucht hat. In der Nacht kam es zwischen verschiedenen Personen, die sich auf dem Gelände des Jahrmarkts aufhielten und die zumeist leicht bis stark alkoholisiert waren, immer wieder zu verbalen Provokationen. Diese wechselseitigen Sticheleien führten im Laufe der Nacht zu gegenseitigen Tätlichkeiten in Form von Schubsen und Stossen und mündeten schliesslich in einem gegenseitigen Schlagen und Treten. Dabei gingen die Beteiligten teilweise mit äusserster Brutalität vor und machten selbst dann nicht Halt, als ihr Gegenüber bereits regungslos am Boden lag. Hierdurch kam es zu nicht unerheblichen Körperverletzungen bei zahlreichen Personen, wobei es nur dem Zufall zu verdanken ist, dass keine Person schwerwiegend oder gar lebensgefährlich verletzt wurde. Obwohl die im Einsatz befindlichen Polizist*innen zu Beginn zahlenmässig unterlegen waren, konnten diese durch ihr Eingreifen Schlimmeres verhindern. Die Polizei sah sich einer äusserst aggressiven Meute gegenüber, die nicht bereit war, ihren Weisungen Folge zu leisten, sondern im Gegenteil diese bei ihren Amtshandlungen durch Drohung und Gewalt hinderten.
Dem Angeschuldigten wird vorgeworfen, anlässlich dieser Massenschlägerei auf der Strasse mehrmals lautstark «Heil Hitler» geschrien und dabei ebenso mehrfach den sogenannten «Hitler-Gruss» gezeigt zu haben. Dies geschah in bewusster Provokation gegenüber dem anderen Lager, das ausschliesslich aus Personen mit Migrationshintergrund bestand als auch gegenüber der Polizei. Dem Angeschuldigten kam es mit diesen Ausrufen und Gesten darauf an, durch bewusstes Herabsetzen dieser Personen von neuem zu provozieren und die tätliche Auseinandersetzung erneut anzufachen.

Sachverhalt II, überfallartige Zusammenrottung aus rassistischen Motiven:
In einem weiteren Anklagepunkt wird dem Beschuldigten vorgeworfen, an einer öffentlichen Zusammenrottung mit Gewalteinwirkung teilgenommen zu haben. Der Angeklagte und andere Beteiligte rotteten sich zu einer Gruppe zusammen und griffen eine zu diesem Zeitpunkt durchgeführte JUSO-Veranstaltung gegen Rassismus an. Viele Teilnehmende der politischen Veranstaltung mussten aufgrund des überraschenden und überfallartigen Auftauchens der zumeist in schwarz gekleideten Personen der Zusammenrottung die Flucht ergreifen. Dem Angeschuldigten kam es darauf an, durch das gemeinsame, gewaltvolle Auftreten die Veranstaltung zu stören. Er nahm dabei zumindest in Kauf, dass aus der Gruppe heraus mit vereinten Kräften Gewalt gegen Menschen oder Sachen verübt werden würde. Der Angeschuldigte bestätigte dabei ausdrücklich, dass er davon ausging, dass die Veranstaltungsteilnehmer davon ausgehen mussten, dass sie überfallen und zusammengeschlagen würden, weil sie sich antirassistisch engagierten.


Décision 2008-028N

Die zuständige Strafverfolgungsbehörde erhebt Anklage.

En droit / considérants

Sachverhalt I, Rassendiskriminierung anlässlich eines Raufhandels:
Laut der zuständigen Strafverfolgungsbehörde war dem Angeschuldigten bewusst, dass die betroffenen Personen, denen gegenüber er den «Hitler-Gruss» und «Heil Hitler» Parolen gezeigt hat, aufgrund ihres Migrationshintergrunds diese Äusserungen und Gesten als bewusste Herabsetzung und Absprechen ihrer Daseinsberechtigung als ausländische Mitbürger verstehen mussten. Der Angeschuldigte nahm zumindest billigend in Kauf, dass hierdurch in einer die Menschenwürde verletzenden Art andere Personen aufgrund ihrer «Rasse» oder Ethnie herabgesetzt werden. Ziel des Angeschuldigten war es, laut der zuständigen Strafverfolgungsbehörde, über die Herabsetzung neuen Streit zu generieren. Durch sein Verhalten sollte die noch immer latent explosive Stimmung in eine neuerliche Eskalation münden. Der Angeschuldigte war sich dabei bewusst, dass infolge des Menschenauflaufs, der sich aufgrund der Massenschlägerei gebildet hatte, eine unbestimmte Vielzahl von Personen die Ausrufe und Gesten mitbekommen und aufgrund des äusseren Erscheinungsbildes entsprechend deuten konnten.

Die Gesten und Äusserungen des Angeschuldigten erfolgten im öffentlichen Rahmen. Neben den involvierten Streitparteien des Raufhandels, waren auch unzählige schaulustige Personen auf dem Dorfplatz anwesend. Laut der zuständigen Strafverfolgungsbehörde wird der Tatbestand der Rassendiskriminierung erfüllt, wenn die verübte Gewalttätigkeit für beobachtende Dritte als rassendiskriminierender Akt erscheint. Gemäss der zuständigen Strafverfolgungsbehörde genügt bereits dolus eventualis. Aus diesem Grund ist für die Strafverfolgungsbehörde nicht entscheidend, dass der Angeschuldigte über die rassendiskriminierende Handlungen Personen mit Migrationshintergrund und auch andere Anwesende provozieren wollte – und nicht bewusst Nazi-Ideologie als Propaganda verbreiten wollte.

Sachverhalt II, überfallartige Zusammenrottung aus rassistischen Motiven:
Bezüglich des weiteren Anklagepunktes, wo der Angeklagte Teil einer Gruppe war, die eine antirassistische JUSO-Veranstaltung überfallartig angegriffen hatte, hält die Staatsanwaltschaft fest, dass der Überfall eine organisierte Aktion von Personen mit rechtsextremer Gesinnung gewesen sein dürfte. Ziel und Zweck der Aktion war es, antirassistische Kräfte gezielt zu stören und an der Verbreitung antirassistischen Gedankenguts zu Gunsten von rechtsextrem-rassistischen Ansichten, zu hindern.

Décision

Die zuständige Strafverfolgungsbehörde erhebt Anklage gegen den Beschuldigten wegen:
- Raufhandel (gemäss Art. 133 Abs. 1 StGB);
- mehrfache versuchte schwere Körperverletzung (gemäss Art. 122 Abs. 1, Abs. 2 Alt. 2, Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 StGB);
- qualifiziert einfache Körperverletzung (gegen Wehrlose) (gemäss Art. 123 Ziff. 2 Abs. 2 StGB);
- versuchte einfache Körperverletzung (gemäss Art. 123 Ziff. 1, Art. 22 Abs. 1 StGB);
- Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (gemäss Art. 285 Ziff. 1 StGB), Missachtung polizeilicher Anweisungen (gemäss Art. 12 Übertretungsstrafgesetz);
- Landfriedensbruch (gemäss Art. 260 Abs. 1 StGB) und
- Rassendiskriminierung (gemäss Art. 261bis Abs. 4 Alt. 1 StGB).
Der Beschuldigte sei zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, unter Ansetzung einer Probezeit von 4 Jahren, und einer Busse von CHF 1'500 zu verurteilen.


Décision 2008-029N

Die 1. Instanz spricht den Angeklagten schuldig.

En droit / considérants

Sachverhalt I, Rassendiskriminierung anlässlich eines Raufhandels:
Für die 1. Instanz ist klar, dass die Tat in subjektiver, als auch in objektiver Hinsicht den Tatbestandsmerkmalen des Art. 261bis Abs. 4 I StGB klar erfüllt. Deshalb ging die 1. Instanz nicht der Frage nach, ob die Tat die Tatbestandsmerkmale erfüllt, sondern, ob die Tat vom Angeklagten verübt wurde oder nicht. Laut der 1. Instanz sind die Aussagen des Zeugen – Polizeibeamter, der die Tat im Dienst gesehen hatte – klar, glaubhaft und widerspruchsfrei. Laut der 1. Instanz reicht das aus, um die Schuld des Angeklagten rechtsgenüglich festzustellen.

Sachverhalt II, überfallartige Zusammenrottung aus rassistischen Motiven:
Auch hier war für die 1. Instanz klar, dass die Aktivitäten in allen Hinsichten den Straftatbestand des Landfriedensbruchs (gemäss Art. 260 Abs. 1 StGB) erfüllen. Die 1. Instanz prüfte, ob der Angeklagte Teil der öffentlichen Zusammenrottung war oder nicht. Sowohl aufgrund der Aussagen des Angeschuldigten (welcher selbst aussagte, vor Ort gewesen zu sein), als auch auf Fotoaufnahmen und glaubwürdige Aussagen von zahlreichen unbeteiligten Zeugen basierend, stellt das Gericht rechtsgenüglich fest, dass der Angeklagte an der öffentlichen Zusammenrottung teilnahm und dass er – in einer Gruppierung handelnd – die Veranstaltung überfallartig angegriffen und Gewalttätigkeiten verübt hat.

Décision

Die 1. Instanz spricht den Angeklagten schuldig:
­- des Raufhandels (gemäss Art. 133 Abs. 1 StGB);
­- der mehrfachen versuchten schweren Körperverletzung (gemäss Art. 122 Abs. 1, Abs. 2 Alt. 2, Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 StGB);
­- der qualifiziert einfachen Körperverletzung (gegen Wehrlose) (gemäss Art. 123 Ziff. 2 Abs. 2 StGB);
­- der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte (gemäss Art. 285 Ziff. 1 StGB);
­- der Missachtung polizeilicher Anweisungen (gemäss Art. 12 Übertretungsstrafgesetz);
­- des Landfriedensbruchs (gemäss Art. 260 Abs. 1 StGB) und
­- der Rassendiskriminierung (gemäss Art. 261bis Abs. 4 Alt. 1 StGB).
Der Beschuldigte sei zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, unter Ansetzung einer Probezeit von 4 Jahren, und einer Busse von CHF 1'500 zu verurteilen.