Cas 2003-011N

Minderjähriger bietet im Internet rechtsextreme CDs an und hisst Hakenkreuzfahne

Bâle-Ville

Historique de la procédure
2003 2003-011N 1. Instanz (Jugendstrafgericht) verurteilt den Angeschuldigten.
Critères de recherche juridiques
Acte / Eléments constitutifs objectifs Art. 261bis CP / 171c CPM (aucune spécification des éléments constitutifs)
Objet de protection
Questions spécifiques sur l'élément constitutif Publiquement (en public)
Mots-clés
Auteurs Jeunes
Victimes Juifs
Moyens utilisés Communication électronique;
Propagation de matériel raciste;
Autres moyens utilisés
Environnement social Internet (sans réseaux sociaux)
Idéologie Antisémitisme;
Extrémisme de droite

Synthèse

Der minderjährige X bot im Januar 2002 unter einer Internet- Adresse CDs mit rechtsextremem Inhalt zum Verkauf und zum Hochladen auf ebendiese Plattform an. Aufgrund dieses Sachverhaltes wurde er gemäss Art. 261bis StGB angezeigt. Eine weiteren Rassendiskriminierung wurde ihm vorgeworfen, nachdem er im März desselben Jahres vor seinem Fenster eine Hakenkreuzfahne gehisst hatte.

Der Jugendrichter hatte im vorliegenden Urteil noch weitere Anzeigen zu beurteilen, und zwar wegen Sachbeschädigung, Drohung gegen einen ausländischen Taxiführer sowie einer Widerhandlung gegen das Waffengesetz wegen Mitführens eines Schlagringes.

X wurde vom Jugendrichter wegen versuchter Rassendiskriminierung, Sachbeschädigung und einer Zuwiderhandlung gegen das Waffengesetz für schuldig befunden. Gestützt auf Art. 97 StGB wurde der Entscheid, ob eine Strafe oder eine Massnahme anzuordnen sei, um eineinhalb Jahre Probezeit aufgeschoben.

En fait / faits

Der minderjährige X wurde verschiedener Delikte wegen angezeigt, begangen zwischen Mai 2001 und Februar 2002. Die erste Anzeige gegen den Beschuldigten und Freunde von ihm lautete auf Drohung gegen einen ausländischen Taxiführer und auf Sachbeschädigung an dessen Taxi. Die zweite Anzeige auf Widerhandlung gegen das Waffengesetz, da der Angeschuldigte einen verbotenen Schlagring mit sich geführt hatte. Die dritte Anzeige lautete auf einen Verstoss gegen das Rassendiskriminierungsgesetz.

Wegen einer Verletzung von Art. 261bis StGB wurde Anzeige erstattet, da der Beschuldigte im Januar 2002 von einer nicht personifizierbaren Internet- Adresse aus CD’s mit rechtsextremen Songtexten zu kopieren und zum Verkauf angeboten hatte. Zur selben Zeit war X daran, einen «Grosseinkauf» einer rechtsextremen Demo- CD zwecks Weitergabe zu tätigen, wie er unter derselben Internet- Adresse bekannt gab. Gleichzeitig erklärte er sich auf eben dieser Internet- Plattform bereit, eine Hörprobe dieser CD hochzuladen, da deren Inhalt «abartig geil» sei. Die Songtexte verunglimpfen und beschimpfen in grober Weise die Juden als Volk, verharmlosen den Holocaust und verherrlichen Adolf Hitlers Person. Auch rufen die Lieder zu Gewalttaten gegen linksorientierte Menschen auf. Unter anderem enthalten die Texte folgende Passagen:

«Mann für Mann, wir marschieren für Hitler»; «Steht auf Prolaten (?) zu rächen, wehrt euch um die rote Flut zu brechen»; «Reinheit der Rasse»; «Adolf Hitler ein arischer Märtyrer»; «Noch immer sind unsere Gedanken bei ihm und wenden sich gegen das Judenregime»; «Nationalsozialisten sind umgeben von Hass, ständige Lügen über Tote und Gas»; «Hisst die alten Fahnen, nehmt die Waffen zur Hand, stürzt die.?. Regierung, stellt sie an die Wand»; «Ein Freudenschrei geht durch Deutschlands Stuben, ein .?. vom Zentralrat der Juden, jahrelang hat er uns nur beschimpft, endlich hat die Drecksau ins Grab gebissen.»; «Du Zionist aus Israel, wir scheissen auf dein Grab, endlich hast du abgedankt du fetter Judensack.»; «Jüdisches Gewürm»; «Europa wird befreit».
Des Weiteren wurde der Beschuldigte wegen einer Hakenkreuzfahne angezeigt, die er im März 2002 in alkoholisiertem Zustand vor sein Fenster gehängt hatte. Sie blieb dort bis zur Entfernung durch die Feuerwehr knappe zwanzig Stunden für jedermann sichtbar hängen.

Ausgelöst durch dieses Aushängen der Fahne wurde der Jugendliche X festgenommen und 13 Tage im Untersuchungsgefängnis gefangen gehalten. Nach seiner Freilassung war er bis zur Verhandlung vor dem Jugendgericht eineinhalb Jahre später auf freiem Fuss.

Da der Angeschuldigte minderjährig ist, wurde im Strafverfahren nebst den Tatbestandsvoraussetzungen zu Art. 261bis StGB vor allem geprüft, ob der Jugendliche so genannt massnahmebedürftig ist. Unter Massnahmen versteht man entweder eine besondere erzieherische Betreuung (z.B. Unterbringung in geeigneter Familie, Weisungen über Erlernung eines Berufes, Einweisung in Erziehungsheim) oder eine besondere Behandlung (z.B. nötig wenn er blind, gehör- oder sprachbehindert, trunksüchtig oder in seiner geistigen und sittlichen Entwicklung erheblich gestört wäre). Im Jugendstrafrecht (Art. 89 ff StGB) darf eine im StGB für Jugendliche vorgesehene Strafe nur ausgesprochen werden, wenn keine Massnahmebedürftigkeit des Täters besteht. Beurteilt wird diese Frage vor allem aufgrund des Vorlebens des Jugendlichen sowie aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Verhandlung vor dem Jugendrichter.

En droit / considérants

  • Der Jugendrichter machte zum vom Untersuchungsrichter festgehaltenen Sachverhalt zwei Ergänzungen. Die eine betraf den Sachverhalt der Drohung einem Taxiführer gegenüber. Der Jugendrichter vertrat die Meinung, es könne nicht rechtsgenügend bewiesen werden, dass X sich an der Drohung in massgeblicher Weise beteiligt hätte. Daher sei er in diesem Punkt freizusprechen. Die zweite Ergänzung betraf den Vorwurf der Rassendiskriminierung aufgrund des Aushängens einer Hakenkreuzfahne. Der Umstand, wonach der Gesetzgeber Zeigen und Tragen von rassendiskriminierenden Kennzeichen unter Strafe zu stellen bestrebt sei, weise darauf hin, dass nach geltendem Recht solches nicht strafbar sei. Im vorliegenden Fall könne demnach allein das Hissen einer Hakenkreuzfahne nicht bestraft werden.

  • Zum Vorwurf der Rassendiskriminierung gemäss Art. 261bis StGB durch die Angebote im Internet erläuterte der Richter, dass der Angeschuldigte sich heute bekenne, zum fraglichen Zeitpunkt sich stark mit den Inhalten dieser zum Verkauf angebotenen CDs identifiziert zu haben. Auch war er sich der Illegalität einer Verbreitung von solch rassendiskriminierenden CDs bewusst. Der Beschuldigte gebe keine Angaben zum Verwendungszweck der zwölf identischen, bei ihm im Zimmer sichergestellten CDs, ausser dass er sagte, sie seien nicht für den Eigengebrauch bestimmt gewesen. Der Nachweis wonach X über sein schriftliches Angebot hinaus tätig geworden und tatsächlich CDs kopiert respektive verkauft habe, könne nicht erbracht werden. Es frage sich deshalb, ob er bereits mit seiner Werbung für diese rechtsextremen CDs die Schwelle der Strafbarkeit erreicht habe.

  • Der Verteidiger wandte ein, das Erfordernis der Öffentlichkeit sei nicht erfüllt, da der Angeklagte nur eine e-mail Adresse benutzt habe. Dadurch konnte das Angebot von keinem grösseren, durch persönliche Beziehungen nicht zusammenhängenden Personenkreis wahrgenommen werden.

    Dem entgegnete der Richter damit, dass als Adressaten einer diskriminierenden Meinung nicht nur Andersdenkende, sondern auch Gesinnungsgenossen in Frage kämen, damit Öffentlichkeit gegeben sei. Die Gesinnungsgenossen würden damit in ihrer Meinung bestärkt und fanatisiert. Der e-mail Verkehr gleiche insofern dem klassischen Briefwechsel, wie eine Karte der Stelle, die die Nachricht weitervermittelt, einsehbar sei. Im Gegensatz zum herkömmlichen Postverkehr könnten jedoch Verfasser wie Empfänger völlig anonym bleiben und die Nachrichten liessen sich sehr rasch verbreiten. Der Angeschuldigte, der als Webmaster Öffentlichkeitsarbeit zu leisten hatte, habe alles Interesse daran gehabt, die von ihm in grösserer Anzahl beschafften CDs und damit deren rassendiskriminierenden Ideologien einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Als er für besagten Werbefeldzug die Internetadresse eines kommerziellen Anbieters anwählte sei dies offensichtlich in der Absicht geschehen, die Kontakte für sich nutzbar zu machen. Zudem sei die Person, welche fragliches e-mail Account eröffnet habe, nirgends registriert gewesen, was wiederum nicht unüblich sei in dieser Branche. Daher habe der Angeklagte mindestens in Kauf genommen, dass sich hinter jener e-mail Adresse ein grösserer Personenkreis verberge, welcher seine Mails einsehen und weiterverbreiten könnte. Desgleichen habe er nicht ausschliessen können, dass die Nachrichten bei der Datenübermittlung vom Provider gelesen würde. Somit habe er durch die Anwahl besagter Internetadresse die CDs öffentlich angepriesen. Es bleibe offen, ob er anderweitig den rassistischen Inhalt der CDs öffentlich gemacht habe, etwa durch deren Verkauf. Fest stehe, dass der Angeklagte alles aus seiner Sicht Notwendige zur Verbreitung rechtsextremer Ideologien getan habe, weshalb er sich wegen versuchter Rassendiskriminierung zu verantworten habe und dafür schuldig zu sprechen sei. Die anlässlich einer Hausdurchsuchung zu Beweiszwecken sichergestellten Gegenstände inklusive Schlagring seien einzuziehen, soweit der Angeklagte und seine Mutter auf deren Rückgabe ausdrücklich verzichtet hätten. Daher seien einzig Fotos mit Aufnahmen in Fussballstadien und eine elektronische Liste von Fussballstadien dem Schuldigen zurückzugeben.

  • Anlässlich der Erörterung der Massnahmebedürftigkeit des für schuldig Befundenen hielt das Jugendgericht fest, es sei festzustellen, dass X in belastenden familiären Verhältnissen aufgewachsen ist. Seine Eltern trennten sich als er acht Jahre alt war. X wuchs in der Folge mit seiner Schwester bei der Mutter auf, welche einen Gastbetrieb führte. Seine grossen Verlassenheits- und Angstgefühle erhielten weiteren Auftrieb, als seine Mutter eine neue Partnerschaft mit einem Marokkaner einging, aus welcher ein Halbbruder erwuchs. Der Angeschuldigte suchte, vor allem an Fussballmatchs, Kontakte zur Skinheadszene. In eine solche Gruppierung wurde er als 15- jähriger als Mitglied aufgenommen. Zur gleichen Zeit bekam er ein schweizweites Stadionverbot wegen aggressivem und provokativem Verhalten, ohne dass es jedoch je zu einer Strafanzeige gekommen wäre. In der Schule wurde X als junger Schüler von Ausländern in seiner Klasse geplagt. Als älterer Schüler versuchte er sich Stärke zu verleihen, indem er mit rechtsextremer Kleidung auftrat, um so seine politische Gesinnung auszudrücken. Sein Verhalten in der Schule wurde disziplinarisch immer schwieriger, so dass er vor obligatorischem Schulzeitende aus der Schule ausgeschlossen wurde. Die Chance, den Abschluss in einer anderen Schule nachzuholen, verpasste er mit einem vorzeitigen Abbruch derselben im Januar 2002. Die meisten seiner Straftaten folgten denn auch in der Zeit nach diesem Abbruch. Er hatte auch schon früh erste Suchttendenzen (Alkohol) entwickelt, laut Urteil offensichtlich geleitet vom Wunsch nach Anerkennung in der Szene. In der Skinhead- Gruppierung fand X Leute mit ähnlichen Schulerfahrungen, er fühlte sich verstanden.

    In einem psychiatrischen Gutachten, welches während seiner Untersuchungshaft gemacht worden ist, wurde X als erheblich gefährdet, ein weiteres Mal mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, eingestuft und zwar wegen seiner latenten Aggressivität und der damit verbundenen Gefahr eines Kontrollverlustes. Seit Abschluss der Begutachtung sei es dem Angeschuldigten jedoch gelungen, regelmässig einer Arbeit nachzugehen und sich eine Lehrstelle zu sichern. Er scheine, unterstützt von seiner jetzigen Freundin, eine gewisse Distanz zur Szene geschaffen zu haben. Er sei zwar nicht aus der Gruppierung ausgetreten, habe aber den laufenden Jahresbeitrag nicht erneuert. Er treffe im Moment keine Leute mit rechtsextremer Gesinnung mehr. Dem Beschuldigten zufolge habe das nichts mit vorliegendem Strafverfahren zu tun, sondern mit seinem Chef, der immer wieder das Gespräch mit ihm gesucht und mit welchem er viel diskutiert habe. Der Vertreter der Kindes- und Jugendschutzabteilung, welcher in den Jahren seit der Untersuchungshaft in Kontakt mit X gestanden ist, bestätigte positive Veränderungen, wie z. B. dass X auf kritische Bemerkungen nicht mehr explodiere, sondern sachlich darüber diskutieren könne. Laut vorliegendem Entscheid sei es jedoch ungewiss, ob der Angeklagte längerfristig den Ausstieg aus der Szene schaffen werde.

    Da erst seit kurzem eine positive Entwicklung erkennbar sei, ist das laufende Verfahren gegen ihn gemäss Art. 97 StGB vorläufig mit einem Aufschub des Entscheides abzuschliessen. Die Probezeit solle eineinhalb Jahre betragen, in welcher die Errichtung einer Überwachungsaufsicht durch die Kindes- und Jugendschutzabteilung zwingend zu verordnen sei. Sollte X aus seiner «schweren Entwicklungskrise» herausfinden und die Probezeit deliktsfrei wie regelmässig arbeitend verbringen, werde auf die Aussprechung einer Sanktion und einem damit verbundenen Eintrag im Strafregister verzichtet werden.

    Décision

    Der Angeschuldigte wird der Sachbeschädigung nach Art. 144 Abs. 1 StGB, der Widerhandlung gegen das Waffengesetz nach Art. 33 Abs.1 lit. a WG (in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 lit. d WG) und der versuchten Rassendiskriminierung gemäss Art. 261bis StGB (in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 StGB) schuldig gesprochen.

    Freigesprochen wird er von der Anschuldigung der Drohung zum Nachteil eines Taxifahrers sowie vom Vorwurf der Rassendiskriminierung im Falle des Hissens einer Hakenkreuzfahne.

    Gemäss Art. 97 StGB wird der Entscheid, ob eine Massnahme oder eine Strafe anzuordnen ist, unter Auferlegung einer Probezeit von eineinhalb Jahren aufgeschoben. Während dieser Probezeit wird X unter Überwachungsaufsicht der Abteilung Kindes- und Jugendschutz gestellt.

    Der Schlagring wird eingezogen, wie alle anderen zur Beweissicherung beschlagnahmten Gegenstände, auf die ausdrücklich verzichtet worden ist. Unter Aufhebung der Beschlagnahme werden Fotos von Fussballstadien sowie eine Liste von Fussballstadien ausgehändigt.