Zusammenfassung des Artikels
«Christiane Taubira : « La parole raciste s’exprime désormais à visage découvert » (französisch)
Interview des Journalisten Renaud Dély, Redaktionsleiter des französischen Nachrichtenmagazins Le Nouvel Observateur.
Christiane Taubira, Paroles de liberté: Taubira répond, Flammarion, Paris, 2014.
Die französische Justizministerin Christiane Taubira veröffentlichte im April 2014 den Essay Paroles de liberté: Taubira répond über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, das französische Identitätsproblem und dessen Gefahren für die Republik. Im Interview erklärte die Ministerin, dass anlässlich einer Kundgebung gegen die Homosexuellenehe sogar ein Kind sie rassistisch beschimpft habe, als bezeichnend für den Zustand der französischen Gesellschaft. Dies bedeutet laut Taubira nicht, dass Frankreich im Jahre 2014 ein rassistisches Land sei, denn immer noch gebe es Bürgerinnen und Bürger, die darüber ihre Empörung kundtun. Sie stellt allerdings auch fest, dass es weniger Hemmungen für solche rassistischen Beschimpfungen gebe. Man könne sich heute rassistische Äusserungen in aller Öffentlichkeit, bisweilen sogar lachend, erlauben. Die Verantwortung dafür liege in erster Linie bei jedem Einzelnen. Wenn Politikerinnen und Politiker mit rassistischen Äusserungen und Haltungen liebäugeln, sei dies viel schwerwiegender: Erstens gehe es um ihren Status als Politiker, das heisst um ihre gesellschaftliche Autorität, und zweitens um ihre Klarsicht, denn sie wüssten genau, was sie täten und wie weit sie gehen könnten. Die Ministerin bezeichnet den Front National als «Stammespartei», die sich der Nation bemächtigt habe und den Franzosen ein Stammesressentiment gegenüber den Einwanderern «verkaufe», welche dadurch zu Sündenböcken gemacht würden. Es wäre viel wichtiger, dass sich die Franzosen, die zu einem Viertel von ausländischen Vorfahren abstammen, mit der Konstruktion gemeinsamer Geschichte und Zukunft beschäftigen würden. Sie stellt fest, dass die Spuren einer bis vor nicht allzu langer Zeit durch Ausstellungen, koloniale Slogans und Ikonografien gepflegten kolonialistischen Fantasiewelt im französischen Bewusstsein haften geblieben seien.
Das Interview wurde am 29. März 2014 in Le Nouvel Observateur publiziert.