TANGRAM 33

Editorial

Martine Brunschwig Graf ist Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR

Ist die Schweiz rassistisch? Diese Frage stellen die Medien immer wieder in den Raum, wenn in der Berichterstattung von einem rassistisch motivierten Vorfall die Rede ist. Im Namen der EKR antworte ich jeweils, dass die Schweiz nicht rassistisch sei, dass jedoch unser Land leider genauso wenig vor rassistischen Vorfällen, Ablehnung und Vorurteilen verschont ist wie andere.

Diese Ausgabe des TANGRAM befasst sich mit dem «Anti-Schwarzen» Rassismus. Die EKR möchte damit die Reflexion und Diskussion über eine Form der Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung anregen, unter der die Betroffenen häufig im Stillen leiden. Das Phänomen ist nicht neu. Im März 2000 hat das TANGRAM diesem Thema bereits eine Ausgabe gewidmet, und in einem Artikel war dort zu lesen:

«Fremdenfeindlichkeit kann rasch in Rassismus umschlagen und sich zu einer tiefen Ablehnung entwickeln. Im Quartier Les Pâquis in Genf war auf einem Flugblatt mit der Unterschrift Klu-Klux-Klan zu lesen, jeder ‹dreckige Neger› solle in sein ‹Scheissafrika› zurückkehren. Die afrikanischen Asylsuchenden seien an allen Übeln schuld (Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Drogenhandel, Vergewaltigungen usw.), und vor allem seien sie auch daran schuld, dass man sie so gut sehe. Eine Sichtbarkeit, die nicht nur Schweizer dazu treibt, eine Trennlinie gegenüber denjenigen zu ziehen, die anders sind. Unter Afrikanern ist es heute üblich, zu sagen: ‹Ich bin Afrikaner, aber ich bin kein Flüchtling›.»

Auch vierzehn Jahre später sind solche Statements noch immer aktuell. In der vorliegenden Ausgabe des TANGRAM sind viele ähnliche zu lesen, denn Klischees und Vorurteile sind zäh und langlebig. Die EKR traf sich kürzlich mit einigen Organisationen, die sich für die Bekämpfung des Rassismus gegenüber Schwarzen einsetzen. Sie haben über ihre Feststellungen und ihre Erwartungen, aber auch über konkrete und praktische Aktionen berichtet, die das gegenseitige Verständnis fördern und denjenigen eine Stimme geben, die sich als Rassismus- und Diskriminierungsopfer fühlen. Es muss Orte geben, wo sie Gehör finden, wo sich gewisse Situationen entspannen und andere richtigstellen lassen und wo das Problembewusstsein geweckt wird.

Es darf nicht sein, dass Menschen einzig auf Grund ihrer Hautfarbe eine Stelle oder eine Wohnung nicht erhalten. In der Realität kommt dies allerdings vor, auch wenn es nur schwer zu beweisen ist. Es darf nicht sein, dass man in gewissen Blogs, sozialen Medien oder auf Webseiten von Zeitungen nicht gerade strafbare, aber doch beleidigende und verächtliche Kommentare lesen kann. Und es darf auch nicht sein, dass eine französische und eine italienische Ministerin wegen ihrer Herkunft und Hautfarbe öffentlich beleidigt werden.

Und doch gibt es das alles, und doch interessiert sich die Sozialwissenschaft kaum für das Thema, wie die EKR bei der Vorbereitung dieser Ausgabe von TANGRAM festgestellt hat. Vielleicht bietet diese Ausgabe den Anlass zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Thema.