TANGRAM 34

Die humoristische Erziehung des Menschen

Semih Yavsaner (alias Müslüm) im Gespräch mit Shpresa Jashari

Shpresa Jashari hat Germanistik an der Universität Bern studiert. Sie hat Sprachwissenschaft an der Universität Zürich und Bremen unterrichtet und hat das Buch Komik (in) der Migrationsgesellschaft mit Helga Kotthoff und Darja Klingenberg publiziert (2013). shpresa.jashari@unine.ch

Semih Yavsaner ist 1979 in Bern geboren, wohin seine Eltern Anfang der 1970er-Jahre aus der Türkei migriert waren. Praktisch über Nacht errang er als Music-Comedian mit der Figur des «Müslüm» Kultstatus.

Auf den ersten Blick das Klischee des ungehobelten, behaarten und aggressiven Macho-Türken erfüllend, verbreitet Müslüm jedoch eine Liebesphilosophie.

Herr Yavsaner, wie ernst nehmen Sie sich selber?

Wenn du auf die Bühne willst, wenn du Music-Comedy machen willst, dann darfst du dich selbst ja nicht zu ernst nehmen. Du musst selber über dich lachen können, um das überhaupt zu machen. Es gibt ja dieses hartnäckige Bild vom unnahbaren Ausländer, vom perfekten Türken, mit Stolz und Ehre und so –
und dann ist es, wie wenn ein Vorhang fällt: Der Türke ist auf einmal lieb und gibt auch seine Fehler zu.

Ihre Figur Müslüm macht sich auch lustig über seinen eigenen Stolz ...

Genau. Ich denke, wenn du dich selber nicht mehr so ernst nimmst, wenn du mehr das Kollektiv siehst und nicht nur dich selber, dann kannst du andere anstecken mit diesem Gedanken.

Sie meinen, dass der Funke auf andere überspringt und diese so auch eher über sich selber lachen können?

Ja, das ist ja wahrscheinlich auch die Kraft der Komik, die oft unterschätzt wird. Es geht um die Wertvorstellungen, die uns mitgegeben wurden, unsere Identität, aufgrund deren wir nachher auch andere ausgrenzen. Ich versuche das alles auf das Wesentliche herunterzubrechen: Es gibt keine Grenzen mehr, jeder erkennt sich darin wieder, es geht um etwas Urmenschliches.

Das heisst, auch Leute ohne Migrationshintergrund erkennen sich in Müslüm wieder?

Ja, genau. Klar agiere ich aus diesem Immigrantending heraus, aber auch der Schweizer erkennt in Müslüm seine menschliche Seite –
und manchmal vielleicht auch die eigenen Vorurteile.

Geben Sie sich anders, wenn Sie vor einem «Schweizer» Publikum spielen als vor einem «ausländischen»?

Ja. Ich habe letzthin zum Beispiel die Bund-Essay-Preisverleihung moderiert, wohl fast ausschliesslich vor Schweizer Publikum. Und es kam eine Ironie ins Spiel, die bei den Ausländern so nicht stattfindet. Irgendwie verstehen sie es nochmal aus einem anderen Blickwinkel, wahrscheinlich aufgrund der existierenden Vorurteile. Das hat etwas von einem befreienden Rausch. Auf der anderen Seite, wenn ich jetzt ausschliesslich ausländisches Publikum habe, sagen wir mal irgendwo in einem Türkenclub, dann probiere ich schon, aus den Herzen der Türken in diesem Land zu sprechen.

Ihre Komik greift auf bestimmte stereo-type Bilder und Klischeevorstellungen zurück. Birgt das nicht die Gefahr, damit entsprechende Vorurteile bei den Leuten zu verstärken, statt sie abzubauen?

Ich denke, dass Süpervitamin überhaupt nicht Klischee ist. Müslüm trägt zum Beispiel einen pinkfarbenen Anzug, was nicht gerade türkentypisch ist. Ich lege sehr viel Wert darauf, mich ja nicht diesem Stereotyp hinzugeben. Auch, damit die Figur sich entwickeln kann.

Inwiefern entwickeln?

Es gibt ja auch Beispiele dafür, wie man es verhunzen kann. Ich denke da zum Beispiel an Sascha Baron Cohen: Bei ihm tritt eigentlich ausschliesslich Negatives in Erscheinung, das heisst in den Filmen. Die TV-Show war da anders konzipiert. Ich finde nicht, dass die Kunst darin besteht, Stereotype wiederzugeben, sondern darin, die Figuren ausbrechen zu lassen aus den Stereotypen. Darin sehe ich meine Arbeit. Dass man nicht beim Idioten stehenbleibt, sondern dass der auch andere Züge zeigt.

Was sind das für Züge?

Etwa das Spiel mit der Männlichkeit. Äus-serlich etwa sein pinkfarbener Anzug: Klar ist das nicht so männlich, aber trotzdem auch nicht weiblich. Er wirkt irgendwo ziemlich autoritär, ist es dann aber doch nicht. Er bedient sich gewisser «Catch»-Elemente. Es passiert was, und du weisst nie so richtig in welche Richtung es geht. Die Absicht dahinter ist, dass man erst mal hinhört. Und dann streue ich sie, diese Gedanken, und bringe das Ganze auf die menschliche Ebene. Aber damit ich das kann, brauche ich eine Fallhöhe. Die muss ich also vorher generieren – im besten Fall humoristisch. Da, wo der Mensch eine Sympathie entwickelt für diese Figur und du sie an eine bestimmte Idee anknüpfst, an eine überraschende Botschaft, da kannst du irgendwie eine Synapse «switchen». Du kannst etwas ändern, denke ich.

Humor kann die Gesellschaft verändern ...?

... ja, wenn du das Starre, das Stereotype nachher auflöst. Du kommst eben nicht wieder mit diesem Klischee, sondern befreist es und bringst dafür was anderes ins Spiel, das erst ganz klein ist. Und du machst es viel grös-ser, als es eigentlich wäre, du machst es riesig. Wenn du erzählst, und es wird richtig gut, dann kannst du sie für dich gewinnen. In dem Moment kannst du eine andere Realität generieren.

Es ist ein alter Gedanke, durch das Erzählen von Geschichten den Menschen zu erziehen, ihn besser zu machen. Ist das nicht sehr idealistisch?

Es funktioniert. Du lockst sie her und sagst: Schau, ich bin der Idiot, ich bin der Vollidiot, ich mache jetzt genau das, was ihr erwartet! Hey, ich bin der, zu dem man sagt «Fahr ab, solche Leute wollen wir hier nicht haben.» Aber nachher gibst du ihnen wieder ein «Zückerli», und sie denken: Ja, das ist irgendwie witzig. Dann streust du deine Idee. Dafür braucht es Intuition und Empathie. Als Migrant habe ich mich zwischen Schweizern und Ausländern bewegt, ich weiss, wie beide sind. Ich bin die Mitte von dem und kann mich hier wie dort einfühlen. Ich weiss, wie es beiden geht – wie es uns geht.

Welche Botschaft hat denn Müslüm für die Leute?

Eigentlich etwas Uncooles: Es geht um eine Liebesphilosophie. Diese kann aber, gerade bei den Kids, nur ankommen, weil er cool ist, ein Vorbild. Wenn irgendein Hippie damit ankommen würde oder ich als Semih oder sonst ein Normalsterblicher, dann könnte der lange predigen, das funktioniert nicht. Aber wenn einer wie Müslüm das sagt, bekommt die Sache eine Dynamik.

Und die jungen Leute wollen das hören, liebe deinen Nächsten?

Die Ausgangslage dafür ist schlecht, aber zugleich scheint es genau deshalb zu funktionieren. Es werden Dinge an sie herangetragen und legitimiert, die Schaden zufügen, wie etwa das Rauchen, Gewalt und anderes. Das gilt als cool. Es ist generell angesagt, wenn man böse zueinander ist, sag ich mal. Und das Ego wird gestreichelt und gefüttert: Jeder streichelt nur noch sein Ego, aber nie seinen Nächsten. Und dann kommt dieser Müslüm mit seiner Liebesphilosophie, die eigentlich in unserem Universum, unserer modernen Welt gar keinen Platz hat. Sie ist sozusagen unmöglich, diese Haltung, und das macht es wiederum umso möglicher.

Müslüm war ja nicht immer so. In seinen Jugendjahren bei Radio RaBe war er noch ziemlich aggressiv ...

Ich habe bald erkannt, was für ein Privileg es ist, zu einer bunteren, toleranteren Realität beitragen zu können. Anders als diejenige, die hier überall durch diese Poster der SVP generiert worden ist. Mir ist das wichtig, mit gutem Beispiel voranzugehen. Aber ich sehe schon, die Dramatik ist ja, dass die Figur auch von ihren Fehltritten lebt. Irgendwann werde ich einen falschen Schritt machen. Ich meine, Müslüm hat früher seine Freundin noch geschlagen. Er sagte dazu, er habe sie «mit dem Ellenbögeli gestreichelt». Ich fand das damals witzig, dieses Stereotyp zu bringen.

Ist diese Veränderung nicht auch eine Konsequenz Ihrer Popularität? Müssen Sie nicht gemässigter spassen, nun wo Müslüm so bekannt ist und vielleicht mehr Verantwortung trägt?

Ich denke, wenn man sich ein wenig bewusst ist, dass man hier eine Möglichkeit in den Händen hält, zum Abbau eines Feindbildes beizutragen, ist das etwas Schönes. Für mich war das ein Anreiz, das, was es so interessant gemacht hat. Und darum habe ich mich mit der Frage beschäftigt: Wie wär’s denn, wenn ich eine Figur hätte, die allen Klischees entspricht, sich falsch verhält, in der Anfangsphase ihrem Trieb unterlegen ist und so weiter? Was wäre, wenn der sich zum Vorzeigemigranten entwickeln würde, der nur so böse aussieht?

Wie ein Orang-Utan, wie es in einem der Songs auf Ihrem Album heisst (Textzeile: «Die Leute schauen mich hier an, als wär ich ein Orang-Utan»).

Ja, genau. Dass so ein Mensch, der schon rein ästhetisch von dieser Gesellschaft ausgegrenzt wird, plötzlich trotzdem eine Chance bekommt. Dass eine Begegnung oder gar ein Dialog stattfinden kann zwischen ihm und Leuten, die ihn sonst nur aus Boulevardblättern kennen.

Mir als Linguistin fällt auf, dass Müslüm nicht eins zu eins die Sprache der türkischen Einwanderer spricht. Auch wenn es klingt wie bei den Migranten erster Generation, den «Gastarbeitern», sind der Wortschatz, bestimmte Ausdrucksweisen usw. sehr untypisch. Etwa wenn er abstrakte Begriffe wie Zivilisation und Komplexe oder den berndeutschen Ausdruck Äkchegstabi (Anm.: Nackenstarre) verwendet. Auch die Verkleinerungsform -li setzt er inflationär ein. Zum Beispiel wenn der ruppige Supermacho verniedlichend von seinen Zechänägeli (Zehennägelein) spricht, dann geht es doch auch darum, das Schweizerdeutsche auf die Schippe zu nehmen. Ich frage mich also, wie sehr ist Müslüm überhaupt Türke, und was an ihm ist schweizerisch?

All das, auf das jeder Schweizer stolz ist – und dort bediene ich mich meiner Schweizer Seite. Nämlich wenn Müslüm sagt, er liebt die Natur dieses Landes, er liebt Produkte aus der Region, er liebt den Bauern, er liebt, wie man hier mit den Menschen umgeht, wieviel Freiheit wir haben, und so weiter. Er spricht damit auch den Schweizern aus dem Herzen. Und wenn er sagt «Ich schätze es, dass ich da bin», dann sagt er auch, was der Schweizer mal hören möchte, was er sonst kaum je zu hören bekommt.

Sie hatten ja auch noch andere Figuren, darunter den Albaner Ovomaltoni und auch einen Schweizer. Wie hiess der ...?

Der Schweizer hatte immer wieder andere Namen. Das war ein Ultrabünzlischweizer.

Der Schweizer war aber nicht die Figur, mit der Sie durchstarten wollten. Warum ist es Müslüm geworden und nicht einer der anderen?

Wahrscheinlich ist Müslüm eine Mischung aus allen. Zwischen diesem Albaner, dem Türken und eben auch dem Schweizer: bescheiden, nicht protzig. Er cruised ja auch nicht im BMW umher, brüllt nicht «Fick deine Mami!» und so ... Es gibt gewisse Ausländerakzente, die voll im Hype sind und imitiert werden. Bei der Jahrtausendwende war der albanische sehr aktuell, auch bei mir. Der war sehr einfach nachzuahmen. Es war ein richtiges Phänomen: Schweizer Schulkameraden haben wirklich so geredet. Die hatten keinen albanischen Background, haben sich aber anstecken lassen von diesem Slang. Und irgendwie hatte das nichts Einzigartiges.

Ein Massenphänomen?

Genau, richtig. Jeder konnte das so ein bisschen. Man ist nicht wirklich herausgestochen damit.

Sie haben also nach etwas anderem gesucht.

Ja, eben diese Authentizität, diese Identität, nach der die ganzen Nachahmer suchen, die selber weder «Jugo» sind, noch irgendeine Ahnung von deren Lebensalltag haben. Da hatte ich ja den grossen Vorteil, dass ich wirklich aus einem Umfeld komme, wo die Leute so reden.

Eine Art «Schweizerdeutschtürkisch», wie Müslüm?

Richtig, ja. Es gibt dazu schon auch ein Stereotyp. Aber das ist nicht so weit verbreitet, nicht so dominant wie das des «Jugos» oder «Albaners».

Müslüm ist ja auch im albanischen Umfeld beliebt.

Das geht quer durchs Band von den Nationalitäten her, überraschenderweise auch von den Altersgruppen her.

Mich hat etwas anderes besonders überrascht: Müslüm/Semih Yavsaner ist ein Migrant, der nicht nur in der Schweizer «Mehrheitsgesellschaft» angekommen ist, sondern sogar in der Alternativszene mitmischt. Sie haben damals mit Ihrem Song über den rechtsbürgerlichen Politiker Erich Hess einen entscheidenden Beitrag zum Protest gegen die SVP-Initiative zur Schliessung der Reitschule beigesteuert. Und auf Ihrem Album sind auch konsumkritische Töne zu hören. Wie gehört das für Sie zusammen, Migration und Konsumkritik?

Müslüm hat den Zugang zu diesem Zielpublikum, das heute damit aufwächst, einfach nur zu konsumieren. Wie mir bewusst geworden ist, dass ich mit der Figur des Müslüm eine gewisse Verantwortung trage, erkannte ich auch die Möglichkeit, bestimmte Dinge, die in meinen Augen falsch laufen, zu benennen. So wie eben das Streben nach all diesen materiellen Gütern. Und das gilt auch für den Immigranten, der ja oft überhaupt erst aus wirtschaftlichen Gründen in die Schweiz gekommen ist. Und selber genau nach dem strebt, was ihn hier als Arbeiter in der Mangel hält, wenn man so will.

Das funktioniert also ähnlich wie mit der Vermittlung von Müslüms Liebesphilosophie. Sie können «uncoole» oder den Leuten sonst eher fernliegende Botschaften mit Hilfe einer «coolen» Identifikationsfigur an den Mann, respektive die Frau bringen. Es stellt sich aber doch die Frage, inwiefern der komische Müslüm überhaupt ernst genommen wird mit seiner Botschaft. Wenn es zum Beispiel im Alltag eines siebzehnjährigen «Secondos» darum geht, eine Entscheidung zu treffen, denkt er dann an Müslüm?

Mit dieser Frage habe ich mich auch konfrontiert. Es ist eine sehr wichtige Frage, und ich denke, die Antwort darauf führt einen zum Kern dessen, was Komik vermag. Und zwar geht’s darum, dass Müslüm eigentlich nicht ernst genommen wird, dabei aber tatsächlich viel bewegt.

Wie geht das?

Es gibt viele ernste Leute, zum Beispiel in der Politik, die sich selber sehr ernst nehmen und, besonders von den Medien, sehr ernst genommen werden. Aber sie bewegen irgendwie wenig. Sie wollen sich perfekt geben, ja nichts falsch machen. Sie haben sich einiges angelesen, aber keine Empathie. Und dann wollen sie zum Führer einer Gesellschaft ernannt werden, was sie auch meistens sogar noch werden, weil sie die Mittel haben, um eine Realität zu generieren. Humor dagegen hat andere Mittel, weichere und indirektere. Es ist mir sehr recht, dass man Müslüm nicht ernst nimmt ...

... so kann er sozusagen klammheimlich durchs Hintertürchen reinkommen.

Exakt. Lieber nicht ernst genommen werden und etwas bewegen, als ernst genommen werden und wenig bewegen.

Vieles von dem, was Sie erzählen, klingt sehr politisch. Was ist Müslüms Beziehung zur Politik? Würde er zum Beispiel einer Partei beitreten? Oder ...

Nein nein, niemals!

... würde er für eine Partei die Werbetrommel rühren?

Nein, ja nicht.

Er ist aber schon auf ein Minarett geklettert, auf der Flucht vor der Ausschaffungspolizei. (Anm.: Im Theaterstück «Stadtrandfahrt», wo Müslüm, der ausgeschafft werden soll, aus Verzweiflung einen Berner Linienbus samt Passagieren, entführt.) Da haben Sie doch Position bezogen, sowohl zur Minarettinitiative als auch
zur Ausschaffungsinitiative der SVP, oder nicht?

Das haben wir, die Regisseurin Meret Matter und ich, schon. Doch zunächst mal: Grundsätzlich will ich mich nicht dieses ganzen religiösen Aspektes bedienen. Das Tabuthema Religion ist doch etwas, dessen man sich in der Not bedient. Man hat keine Ideen mehr, also macht man sich mal über den Papst lustig. Das zieht immer, und die Leute reden darüber. Und politisch ... Ich habe verschiedenste Anfragen von linker Seite bekommen nach der Erich-Hess-Sache. Die immigrantenfreundlichen Parteien hatten ein sehr grosses Interesse. Aber so etwas kommt für mich nicht in Frage, zu einer Partei zu gehen, um Werbung zu machen. Dann ist es ja vorbei mit meiner Glaubwürdigkeit.

Dasselbe gilt auch für kommerzielle Angebote?

Ja. Etwa für Weihnachtspromotion wurde mir eine Menge Geld angeboten (Anm.: Müslüm trat in einem seiner ersten Songs/Clips als türkischer Weihnachtsmann in Erscheinung). Aber ich versuche, die Dinge längerfristig zu sehen. Es ist etwas anderes, das mich motiviert.

Nämlich?

Es ist eine Intuition.

Was hat dazu geführt, dass Sie in diesem Geschäft gelandet sind?

Es ist schon ein bisschen der «Nelson-Mandela-Trip», auf dem sich die Müslüm-Figur befindet. Ich freue mich, wenn ich andern Freude bereiten kann. Wenn ich mit anderen Leuten über etwas lachen kann, das ich selber lustig finde, dann erfüllt mich das. Und, wie gesagt, der Reiz, Auslöser dafür zu sein, dass jemand mal einen Tag anders anfängt, vielleicht ein Muster bricht. Ich finde es sehr schön, was ich mit dieser Figur machen kann. Dass ich damit Menschliches in den Vordergrund rücken kann.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen Ihrer Migrationserfahrung und Ihrer Tätigkeit als gesellschaftskritischer Komiker? Wären Sie auch Comedian geworden ohne Migrationshintergrund?

Wenn ich in der Türkei aufgewachsen wäre?

Oder in der Schweiz als Stefan Müller. Welche Rolle spielt dabei die Migration? Braucht es diese Doppelposition?

Ja. Ja, genau. Es ist wahrscheinlich eine Konstellation, die es braucht, damit etwas Neues passieren kann. Auch wenn ich nicht weiss, was aus mir geworden wäre, wenn ich in der Türkei aufgewachsen wäre.

Herr Yavsaner, ich musste an die Spassvögel und Pausenclowns in meiner Grundschulklasse denken, als Sie über die integrative Wirkung von Humor auf das Publikum gesprochen haben. Ist Komik nicht auch ein Mittel, um sich selber in eine Gemeinschaft zu integrieren?

So nach dem Motto: Schaut her, mich gibt’s auch noch ...

Ja. Dass man, indem man andere zum Lachen bringt, Wertschätzung bei diesen findet.

Sicherlich.

Waren Sie ein Scherzemacher in der Schulzeit? Wie ist das entstanden, Ihr komisches Talent?

Ich denke, wahrscheinlich eben aus dieser Konstellation heraus, dass meine Eltern mir zu-
hause eine Welt aufgezeigt haben, die draus-sen nicht stattgefunden hat. Wenn ich zum Beispiel zuhause mit meinen Eltern ferngeschaut habe, und da ist der Film Braveheart gelaufen, der ja wirklich kein Erotikfilm ist, aber dennoch eine Kussszene beinhaltet. Da war dann irgendwann während des Films die «eiserne Hand» vornedran. Wir durften nicht hinschauen, als Mel Gibson die andere da mal so ganz schüchtern auf die Lippen küsst. Dann bin ich rausgegangen und wir haben ein Bravo-Heftchen genommen, und dann ist da irgendeine überentwickelte Deutsche zu sehen, die scheinbar 14 ist. Und die lichtet sich selber nackt ab. Oder überhaupt, dass meine Freunde von ihren Eltern aufgeklärt wurden. Ich habe mit meinen Eltern nie über Sex oder sowas geredet. Es wurde schon über Gefühle gesprochen, aber Sex war tabu. Wenn all das, was du daheim diskutierst, was daheim stattfindet, mit der Gesellschaft hier nicht kompatibel ist, dann entwickelst du eine Energie, die wahrscheinlich entweder humoristisch sein kann oder aggressiv oder intelligent oder ... Irgendwie sprengt es einen richtig.

Und bei Ihnen ist bei dieser Sprengung Komik entstanden ...

Ja, für mich ist das so der Ursprung. Plötzlich hatte ich das entdeckt. Humor funktioniert doch so. Er liegt doch im Gegensatz: Nimm zwei Dinge, die nicht zueinander passen, und mach irgendwie, dass sie eins werden. Und nachher lachen die Leute darüber.

Das ist ein ganz grundlegendes Thema in der Humortheorie. Dort spricht man von Inkongruenz. Also das, was nicht übereinstimmt ...

Und das war doch die perfekte Ausgangslage für mich: Ich habe die ganze Zeit gedacht, dass das zwei Welten sind, die nichts miteinander zu tun haben. Und nochmals: Es gibt die absoluten Klischees nach dem Motto «Hey, du rührsch meine Tochter nit an!». Und dann gibt es aber noch etwas mehr als das. Etwas mehr, das lustig ist. Ich suche nach diesem Anderen. Nicht nur nach dem, was schlecht läuft. Und da gibt es ja auch viele andere, die das tun. Zum Beispiel Filmemacher mit Mi-grationshintergrund – in Deutschland sind da einige. Sie zeigen eine Welt auf, die fernab von diesem hyperkommerziellen Drama liegt, wo der Türke sonst so seine Rolle bekommt in den deutschen Filmen. Denn im Film ist man ja noch «der Ausländer»: Wer spielt den Bösen? Ist der Schwarze der Schweizer oder die Reinigungskraft? Wer ist der Anwalt? Wer ist der Direktor?

Wer die Direktorin? (lacht)

Ja. (lacht) Es geht darum, dass du die Leute aus dem Leben holst, und nicht aus dem Stereotyp.

Ich habe erfahren, dass das Leben Ihren Grossvater aus Bosnien in die Türkei geführt hatte, von wo aus dann Ihr Vater später wiederum in die Schweiz migriert ist. Werden Sie diese Familientradition fortführen und ebenfalls auswandern?

Nein, Endstation. Es gibt kein Land, in dem man es besser hat. (lacht)

Das Interview wurde 2013 im Buch von Helga Kotthoff, Shpresa Jashari und Darja Klingenberg, Komik (in) der Migrationsgesellschaft, UVK Verlagsgesellschaft Konstanz, München, 2013, publiziert.