Urs Güney hat Germanistik studiert und ein Praktikum bei der Fachstelle für Rassismusbekämpfung FRB absolviert. Ausserdem schreibt er als freier Journalist für NZZ Campus und andere Publikationen.
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Der Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» hat Thomas Meyer den Ruf eines jüdischen Schriftstellers mit viel Humor eingetragen. Wie diese Attribute zusammenhängen und wo der Spass aufhört.
Gibt es jüdischen Humor?
Vom jüdischen Humor höre ich eigentlich nur von Nichtjuden. Wenn ich sie frage, was sie damit meinen, liefern sie eine Definition von Humor, die für mich nichts Jüdisches hat: beispielsweise die Fähigkeit, über das eigene Schicksal zu lachen. Die Diskussion hat für mich aber ohnehin etwas Anbiederndes: Schau, ich bin kein Antisemit, ich habe euren tollen Humor erkannt und verstanden.
Und doch fassen wir Woody Allen, Sarah Silverman, Jerry Seinfeld und viele andere unter diesem Label zusammen. Haben sie nichts gemeinsam?
Doch, sie sind jüdisch und lustig. Aber da gibt es meines Erachtens keine Korrelation. Genau dies glauben viele: dass es Eigenschaften gebe, die Juden zwingend haben und die demzufolge vererbbar sind. Beispielsweise Geldgier und Verschlagenheit, aber auch Intelligenz und Humor. Interessanterweise sagt bei einem nichtjüdischen erfolgreichen Geschäftsmann aber keiner: moment mal, der müsste doch Jude sein?
Bei «jüdischem Humor» schrillen also Ihre Alarmglocken?
Ja. Neulich hat mich jemand darauf aufmerksam gemacht, dass es überproportional viele jüdische Nobelpreisträger gebe. Wenn das wahr ist: So what? Viel interessanter ist die Frage nach dem Motiv, warum man sich also überhaupt bei diesem Aspekt aufhält. Selbst wenn die Juden halb Hollywood regieren, wie man oft hört, so wird die andere Hälfte von Nichtjuden regiert, wobei das dann aber nicht als Griff nach der Weltmacht angesehen wird, sondern als kommerzielles Talent. Meiner Meinung nach ist der Rassist einfach ein Paranoiker. Er glaubt an verquere Dinge und sieht sie überall bestätigt. Wie eben die Allmacht der Juden oder auch nur schon ihren Humor. Widerlegt man seine Ansichten, ist man entweder schlecht informiert oder Teil der Verschwörung.
Worüber können Sie denn lachen?
Über derben und über originellen, klugen Humor; wie etwa Monty Python. Leider wird in der Schweiz Humor häufig mit Spott verwechselt. Über andere herzuziehen ist aber nicht lustig, sondern herabwürdigend und peinlich.
Mussten Sie sich viele geschmacklose Judenwitze anhören?
In der Primarschule haben die Buben zahlreiche solche Witze erzählt. Auch über andere Minderheiten. Bei diesen Witzen bedient sich die Pointe eines so furchtbaren Bildes, wie beispielsweise Gaskammern, dass nur jemand ohne Gewissen bereit ist, sie wiederzugeben. Ein gereifter Charakter profiliert sich nicht dermassen auf Kosten anderer.
Ihr erster Roman spielt im orthodoxen Milieu Zürichs und parodiert dieses. Darf man das?
Was heisst dürfen? Es gibt ja kein Gesetz dagegen. Und auch hier ist wieder die Frage nach dem Motiv interessant. Ich finde, meine Parodie ist liebevoll. Und wenn das jemand anders sieht, dann muss ich mit seiner Meinung leben.
Wie waren denn die Reaktionen?
Bei den Orthodoxen wird niemand zugeben, dass er das Buch gelesen hat. Für Fromme, die es gelesen haben, ist sehr vieles unvollständig oder schlicht falsch, die monieren beispielsweise, dass der Vater von Motti das Tachles liest, die jüdische Wochenzeitschrift. Die wollen halt das Judentum realistisch abgebildet sehen. Für die zweite Auflage habe ich diverse Anregungen aufgenommen, aber beileibe nicht alle. Es ist ja ein Roman, keine Doku.
Mordechai Wolkenbruch ist ein Individuum im inneren und äusseren Konflikt mit der Gemeinschaft, der Roman behandelt die Spannung zwischen Emanzipation und Exklusion. Hätten Sie sich vorstellen können, ihn «im vollen Ernst» zu schreiben?
Natürlich, aber Humor gehört zu meinem Schreiben wie zum Leben. Das heisst nicht, dass es bei mir immer etwas zu kichern gibt. Humor ist letztlich sehr privat, ein Perspektivenwechsel weg vom persönlichen Drama. Wir kennen ja alle die Phase, in der wir glauben, es gäbe kein schwereres Schicksal als das eigene. Irgendwann muss man sich sagen: «Du irrst dich, deine Unbill ist ein Bruchteil dessen, was andere täglich erleben.» Wer
fliessend Wasser hat, müsste eigentlich bereits die Schnauze halten. Humor ist also auch eine Entscheidung.
Wo liegen für Sie die Grenzen des Humors?
Wolkenbruchs Vater verkauft Versicherungen mit dem Argument: «Man weiss ja nie!», und hat damit, so steht es im Buch, Erfolg bei Leuten, deren Vorfahren erst nicht mehr im Tram fahren durften und dann nur noch im Güterwagen. Diese Passage irritiert an Lesungen die Zuhörer oft. Dabei ist es einfach meine Art, mit dem Thema umzugehen. Imitieren aber meine Freunde diese Art, machen sie auch solche Sprüche, bin ich der Irritierte. Da ziehe ich die Grenze einiges enger.
Ihr Roman arbeitet stark mit Klischees, etwa der Rolle der jüdischen Mutter oder dem Kaufverhalten der Orthodoxen. Haben Sie keine Angst, durch das Spiel mit Stereotypen jene zu bestärken, die es ja schon immer gewusst haben wollen?
Sehen Sie, diese Überlegung impliziert, dass der Antisemit nach Wahrheit und Vernunft operiert, dass man ihn also quasi mental aushungern kann und er dann eines Tages kein Antisemit mehr ist. Antisemiten haben aber immer genug Futter. Sie produzieren es schliesslich selbst. Vor allem widert mich der Gedanke an, dass es bei den Juden läge, den Antisemitismus einzuschränken. Sie haben ihn schliesslich nicht erfunden. Es spielt keine Rolle, wie ich mein Buch geschrieben habe – wer die Juden hasst, wird darin Anlass für weiteren Hass finden, und wenn es mein Buch nicht gäbe, so fände er den Anlass für seine beschissene Geisteshaltung anderswo.
Für die meisten Leser und Leserinnen stehen wohl eher der Einblick in die jüdische Kultur und die Begegnung mit dem Jiddischen im Vordergrund.
Das wurde mir immer wieder gesagt und natürlich freue ich mich, wenn ich Neugier geweckt habe. Aber damit wir uns richtig verstehen: Ich habe kein Buch zur Völkerverständigung geschrieben. Das würde ich als anmassend empfinden. Ich bin lediglich einer Eingebung gefolgt, die mich bis zum letzten Satz des Romans getragen hat. Das ist natürlich enttäuschend für alle, die hinter Büchern edle Motive und wichtige Botschaften finden wollen.
Glauben Sie denn nicht, durch die Parodie von Stereotypen Prävention zu betreiben?
Da bin ich skeptisch. Wer Vorurteile hat, will nicht entlarvt werden. Da müsste er sich noch eingestehen, rassistisch gedacht zu haben. Die meisten Menschen wollen keine Rassisten sein und sind überzeugt, keine zu sein. Doch die Überzeugung allein schützt sie nicht davor. Wenn das Selbstbild kollabiert, ist das zunächst einmal unangenehm. Der Kollaps wird dann einfach geleugnet. Erreichen kann man vielleicht etwas, wenn man die Diskrepanz zwischen Selbstbild und geäusserten Überzeugungen sehr direkt anspricht. Wenn ich also sage: Ich glaube dir, dass du dich nicht als Antisemit siehst, aber was du da von dir gibst, folgt antisemitischen Denkmustern.
Sie sind durch den «Wolkenbruch» zum «jüdischen Autor» geworden. Waren die Leser erstaunt, dass Ihr neuer Roman kein jüdisches Thema behandelt?
Viele haben eine Fortsetzung erwartet. Aber eine andere Idee hat mich weitergetragen. Lustigerweise bin ich aber jetzt so oder so der jüdische Autor, was auch immer das heisst.
« On confond souvent humour et
dérision »
(Kurzversion)
«Spesso l’umorismo è confuso con la derisione»
(Kurzversion)