Autorin
Elodie Feijoo ist verantwortlich für Le Comptoir des médias auf asile.ch, elodie.feijoo@asile.ch
Sind die Begriffe «Migrant» und «Kriegsflüchtling» austauschbar? Wann ist es für das Verständnis eines medial aufbereiteten Themas wichtig und richtig, die Herkunft eines Menschen zu erwähnen? Wie entschlüssle ich eine Grafik, wie eine Statistik? Und kann ich offiziellen Verlautbarungen blind vertrauen? Fragen zum Asyl sind in den Medien allgegenwärtig. Die Art und Weise, wie sie behandelt werden, hat einen erheblichen Einfluss auf die öffentliche Debatte und die Aufnahmepolitik.
Im Rahmen von «Le Comptoir des médias» auf der Plattform asile.ch führt der unabhängige Westschweizer Verein «Vivre Ensemble» eine Sensibilisierungskampagne bei Medienschaffenden durch. Unbekanntes kann Ängste schüren. Fundierte Informationen über die Realität anderer hingegen kann helfen, vorgefasste Meinungen zu überwinden, Vorurteile gegenüber der Bevölkerung mit Migrationshintergrund abzubauen, die Debatten über Flüchtende und Asyl zu befrieden und dazu beizutragen, Polarisierungen zu entschärfen. Dieser Artikel bietet einen Überblick über die wichtigsten Trends, über Risiken und bewährte Praktiken.
Begriffe wie «Migrationskrise», «Pull-Effekt» oder «explodierende Asylzahlen» werden in den Medien unreflektiert übernommen. Werden sie als unhinterfragte Fakten dargelegt, beeinflussen solche Begriffe die öffentliche Meinung stark. Ebenso bedienen sich die Medien häufig lexikalischer Felder mit Kriegsbezug und vermeintlich sicherheitsstiftenden Bildern – Grenzen mit Stacheldraht, Handschellen, Ordnungskräfte. Der Rückgriff auf derartige Bilder und Begriffe fördert ein Klima der Angst, schürt fremdenfeindliche und polarisierende Diskurse und trägt letztlich zur Verschärfung der Gesetzgebung bei. Auch die Gleichsetzung von «Flüchtling» (der vor dem Krieg flieht) und «Migrant» (der Arbeit sucht) ist ein fest in den Diskursen verankertes Element. Diese begriffliche Verwirrung – die von einigen instrumentalisiert wird, um die Anwesenheit von als «Migrantinnen und Migranten» etikettierten Menschen in der Schweiz zu delegitimieren – zeugt von einer eklatanten Fehldeutung des Migrationsphänomens und der Definition von Flüchtling nach Schweizer Recht.
Während das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) in seiner Kommunikation zunehmend das Adjektiv «irregulär» zur Beschreibung der Migration verwendet, scheint die Formulierung «illegale Migranten» in der politischen und medialen Landschaft der Schweiz wieder aufzuleben. Die mediale Berichterstattung über das Asylabkommen zwischen Ruanda und dem Vereinigten Königreich (Überstellung von Asylsuchenden in ein Drittland) hat mitbewirkt, dass sich der Begriff wieder durchgesetzt hat. Der Zusatz des Adjektivs «illegal» trägt dazu bei, die Anwesenheit von in die Schweiz eingewanderte Menschen zu kriminalisieren. Die stete Vermischung von Migration, Kriminalität und Unsicherheit aktiviert in der kollektiven Wahrnehmung Ängste. Dabei sind Menschen nie «illegal», können und dürfen nicht als solche bezeichnet werden. Es ist immer die Art der Einreise oder des Aufenthalts, die allfällig «illegal» ist. Das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge besagt, dass jede und jeder das Recht hat, Asyl zu beantragen, auch wenn dafür eine Grenze irregulär überquert werden musste. Das Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) empfiehlt seinerseits die Verwendung des weniger kriminalisierenden Adjektivs «irregulär» (UNHCR, 2018).
Ein weiterer wesentlicher Punkt, der Aufmerksamkeit verdient, ist das Veröffentlichen von Informationen über Straftaten und Verbrechen. Um zu vermeiden, dass Migration und Kriminalität gleichgesetzt werden, ist es entscheidend, dass sich die Medien systematisch fragen, ob bestimmte Informationen wie Nationalität, ethnische Zugehörigkeit oder Aufenthaltsstatus erwähnt werden müssen (Robotham und Dubied, 2022).
Eine Studie über mehrere europäische Länder – darunter die Schweiz – belegt, dass die Asyl- und Migrationsthematik in den Medien überrepräsentiert ist, und identifiziert die öffentlichen Verwaltungen als die wichtigsten Akteurinnen, die sich zum Thema äussern (Ruedin und D'Amato, 2015). Tatsächlich geht ein Grossteil der Medienberichterstattung über Asyl und Migration auf Verlautbarungen von Bundes- und Kantonsbehörden zurück, deren Inhalt oft fast wörtlich von den Medien übernommen wird. Sie werden als korrekt, neutral und objektiv wahrgenommen, würden aber – wie jede Information – eine journalistische Aufbereitung verdienen, denn auch diese Kommunikation kann von politischen und strategischen Erwägungen diktiert sein.
So zählt etwa das BAZG jeden Versuch einer irregulären Einreise als einzelnen Fall, auch wenn es sich um mehrere Versuche ein- und derselben Person handelt. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) verbucht vorläufige Aufnahmen und Nichteintretensentscheide als negative Asylentscheide, obwohl es sich bei ersteren um die Anerkennung einer internationalen Schutzbedürftigkeit handelt und Nichteintretensentscheide nicht aussagekräftig sind, da sie den Entscheid einem anderen Land überlassen. Solche Daten können Ängste vor einer vermeintlichen «Invasion» schüren und sprechen der und dem Einzelnen das Recht ab, Schutz beantragen zu dürfen. Es wäre Aufgabe der Medienschaffenden, die Inhalte zu entschlüsseln, damit die Öffentlichkeit umfassend und sachkundig informiert wird. Würden die Zahlen ihre tatsächliche Bedeutung zurückerhalten, indem sie in den Kontext eingebettet werden, würde von der Vielfalt an Lebensläufen und Geschichten erzählt, könnten Journalistinnen und Journalisten dazu beitragen, die Debatte wieder menschlicher zu gestalten.
Immer mehr Medien setzen auf direkte Interaktion und Einbezug ihrer Zielgruppen. Dieser Ansatz sollte eng begleitet werden, um polarisierende Nebeneffekte zu vermeiden.
2023 hat die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft zum Beispiel mit «dialog» ein neues Instrument eingeführt, eine digitale News-Plattform, die Schweizerinnen und Schweizer aus allen Sprachregionen miteinander ins Gespräch bringen soll. Jede Woche wird auf «dialog» eine Debatte in Form einer Frage lanciert, auf die die Nutzenden antworten können. Die Tatsache, dass nur zwei Optionen (in der Regel ja oder nein) angeboten werden, zwingt zu einer undifferenzierten Entscheidung für eine Seite und verschärft die Polarisierung des Diskurses. Ausserdem kann die eigene Entscheidung anonym, unter einem Pseudonym, kommentiert werden. In der Woche vom 28. September 2023 ging es um die folgende Frage: «Ist die Asylpolitik der Schweiz eher gut oder schlecht?» Ein bei den Nutzenden beliebter Kommentar lautete: «Die Theorie besagt, dass wir Menschen in Not aufnehmen. Die Fakten zeigen, dass 70 Prozent der Asylsuchenden dies nicht sind (Anteil der Abgewiesenen im Jahr 2022).» Das Problem? 2022 betrug die vom SEM gemeldete Schutzquote 59 Prozent (schliesst man die Nichteintretensentscheide aus, steigt sie auf 83 Prozent). Falsche Behauptungen verstärken den stigmatisierenden Diskurs, der von bestimmten politischen Parteien gegen vorläufig Aufgenommene und sogenannte «Scheinasylanten» geführt wird. Dieser inhaltlich falsche Kommentar wurde vom Moderationsteam der Plattform nicht geahndet. Auch nachdem wir interveniert sind, liess die Moderation die Chance ungenutzt, Unklarheiten rund um die vorläufige Aufnahme oder die Schutzquote journalistisch zu behandeln.
1999 titelte die Westschweizer Tageszeitung Le Temps: «Les demandeurs d’asile sont devenus la cible privilégiée de la xénophobie suisse» (Fremdenhass in der Schweiz richtet sich heute vor allem gegen Asylsuchende) (Besson, 1999). 25 Jahre später scheint das nach wie vor aktuell. Doch heute gelten Ideen, die vor einigen Jahren noch extrem erschienen, als normal und werden nun ins Parlament getragen (jüngstes Beispiel ein Vorstoss, der verlangt, Menschen aus Eritrea, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, in einen Drittstaat auszuweisen). Integration ist ein gegenseitiger Prozess zwischen der schweizerischen und der ausländischen Bevölkerung. Das Aktivieren von Ängsten, das Verbreiten von Zuschreibungen oder ein verzerrtes Verständnis der Realität haben Auswirkungen auf die Aufnahmebereitschaft und den sozialen Zusammenhalt: Durch die Art und Weise, wie über Flüchtlinge und Asylsuchende gesprochen wird, werden ihre Lebensbedingungen und der Zugang zu Arbeit und Bildung beeinflusst. Angesichts einer Polarisierung der Diskurse, die durch unzulässige Vereinfachungen angeheizt wird, ist die Rolle der Medien wichtiger denn je. Investigativer Journalismus, das Überprüfen von Fakten, das Gegenüberstellen von Quellen, das Kontextualisieren und Einordnen sind für gut verlaufende demokratische Prozesse und den sozialen Zusammenhalt zwischen allen Mitgliedern der Gesellschaft von grundlegender Bedeutung.
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