TANGRAM 39

Keine «besten Freunde». Heutiger Rechtsextremismus kaschiert Antisemitismus mit
Islamfeindlichkeit

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Der Historiker Dr. phil. Josef Lang forscht seit gut 20 Jahren zur Geschichte des Antisemitismus. josef.lang@bluewin.ch

Der französische Front National (FN), die Alternative für Deutschland (AfD) oder die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) positionieren sich mit ihrer Islamophobie als Freunde Israels. Aber damit geben sie ihre Judenfeindlichkeit nicht auf.

Während des französischen Wahlkampfs erregte eine Aussage von Marine Le Pen, Kandidatin des rechtsextremen Front National (FN), grosses Aufsehen. Sie hatte am 9. April 2017 erklärt, Frankreich trage keine Verantwortung für die verhängnisvolle Razzia im Pariser Velodrome im Juli 1942. Damals hatten französische Polizisten 13 000 Jüdinnen und Juden verhaftet und mitgeholfen, sie in die Vernichtungslager zu transportieren. Jacques Chirac war der erste Staatspräsident, der 1995 die französische Verantwortung anerkannte.

Wie Le Pens Leugnung der französischen Mitschuld zu deuten ist, erklärte Yonathan Arfi im Namen des Conseil Représentatif des Institutions Juives (Crif) am Tage darauf gegenüber Radio Europe 1: «Damit schreibt sich der Front National in seine kollaborationistische Vichy-Tradition ein.» Die deutsche Zeitung Die Welt titelte am gleichen 10. April: «Für wenige Sekunden zeigte Le Pen ihr wahres Gesicht». Darunter stand die interessante Schlussfolgerung: «Mit zwei kurzen Sätzen» habe Le Pen «ihre eigene jahrelange Arbeit der ‹Dédiabolisation›, der Entdiabolisierung des Front National, zunichte gemacht.» Die Autorin Martina Meister erklärt sich Le Pens Provokation mit einem «kurzen Augenblick des Kontrollverlusts». Ihre Kollegin Michaela Wiegel von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sieht es anders: «Kein unüberlegter Versprecher, sondern ein kalkulierter Angriff auf eine mühsam erarbeitete Erinnerungskultur». Beide Interpretationen implizieren die Einschätzung, dass Le Pens Distanzierung vom krassen Antisemitismus ihres Vaters Jean-Marie Le Pen eine taktische war und dass die Judenfeindlichkeit zum Wesen des FN gehört.

Was aber sagt die französische Enthüllung aus über jenen Teil der europäischen, auch schweizerischen Rechten und Rechtsextremen, der in den letzten 20 Jahren von der Judenfeindlichkeit zur Islamfeindlichkeit gewechselt hat? Jedenfalls können Solidaritätsbezeugungen mit Israel nicht als Ausdruck einer veränderten Einstellung betrachtet werden. Der Rechtsextremismus-Spezialist Zeev Sternhell erklärte am 26. März 2010 in der liberalen israelischen Zeitung Haaretz die Pro-Israel-Wende seines lebenslangen Studienobjekts mit dessen «Bewunderung für die Macht Israels» und den «Mangel an moralischer Rücksichtnahme» bei deren Einsatz. In den Augen der traditionellen Antisemiten habe «der Jude in Israel eine Verwandlung erfahren» und «das Ideal nationaler Einheit erreicht», was ihnen «in ihren Ländern nicht gelungen sei».

Islamophobie auf Antisemitismus drauf gesetzt

Abgesehen von augenblicklichen «Kontrollverlusten» gibt es zwei aufschlussreiche Kriterien zur Beantwortung der Frage, ob die rhetorische Abwendung vom Antisemitismus authentisch ist. Zuerst einmal ist es der Umgang mit der eigenen judenfeindlichen Vergangenheit sowie mit der meist «mühsam erarbeiteten Erinnerungskultur». Und zweitens sind es Umfragen an der Basis, deren Aussagen weniger berechnend sind als die der Politikerinnen und Politiker.

Als AfD-Chefin Frauke Petry im April 2017 ihre Partei in einem Interview mit Der Welt als «eine der wenigen politischen Garanten jüdischen Lebens in Deutschland» darstellte, weigerte sie sich gleichzeitig, den Thüringer Landesparteichef Björn Höcke aus der Partei auszuschliessen. Dieser hatte das Holocaust-Mahnmal in Berlin als «Mahnmal der Schande» bezeichnet. Besonders heftig verteidigt wurde der Antisemit Höcke von Alexander Gauland, der am 23. April zum Spitzenkandidaten gekürt wurde. Charlotte Knobloch, ehemalige Vorsitzende des Zentralrates der Juden, sagte am 5. April gegenüber der Deutschen Presseagentur über die AfD Ähnliches wie der Crif-Sprecher über den FN: «Die AfD steht für Revisionismus, rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Thesen sowie für Holocaust-Relativierung oder gar -leugnung».

Als die ihr antisemitisches Erbe verleugnende FPÖ begann, sich als «beste Freundin Israels» zu präsentieren, fand im Juli 2016 im deutschen Potsdam eine gemeinsame Tagung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands und des Moses Mendelsohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien zu AfD & FPÖ statt. Dabei kam der Rechtsextremismus- und Antisemitismus-Forscher Heribert Schiedel zu folgendem Schluss: «Die nach der Jahrtausendwende voll einsetzende antimuslimische Agitation verdrängte den Antisemitismus nicht, vielmehr setzte sie sich gewissermassen auf ihn drauf».

Eurabia – «Die Protokolle der Weisen von Brüssel

Schiedels Befund dürfte für die meisten islamophoben Rechtsparteien mit antisemitischem Erbe zutreffen. Allerdings stellt sich die Frage, ob er auf alle zutrifft. Die beiden französischen Autoren Jean-Yves Camus und Nicolas Lebourg gehen in ihrem Buch «Les extrêmes droites en Europe» auf die ideologische Motivation des norwegischen Massenmörders Andreas Behring Breivik ein. Dieser hat im Juli 2012 das Manifest «2083: Eine europäische Unabhängigkeitserklärung» aufgeschaltet, das auf dem Konzept «Eurabia» der britischen Autorin Bat Ye’or basiert. «Eurabia» bedeutet die freiwillige Unterwerfung Europas unter den «Multikulturalismus» globalisierter Eliten und unter einen Islam, der «von Natur aus totalitär und erobernd» sei. In diesem Zusammenhang erwähnen Camus/Lebourg auch die beiden Politiker Geert Wilders und Oskar Freysinger – unter Hinweis auf deren Ablehnung von Gewalt. Der israelische Autor Adi Schwartz setzte in der Haaretz vom 20. Juni 2006 über einen Text zu «Eurabia» den Titel «Die Protokolle der Weisen von Brüssel».

Die nächsten Jahre werden zeigen, ob sich erstmals in der europäischen Geschichte ein Rechtsextremismus entwickelt, der ohne Antisemitismus auskommt. Als Historiker habe ich da meine Zweifel. Die Juden- und die Muslimfeindlichkeit sind nicht nur die beiden dunkelsten Erbschaften des christlichen Abendlandes. Sie hängen auch engstens miteinander zusammen, was sich besonders deutlich beim Zusammenfallen von Kreuzzügen und Pogromen zeigte. Wie nahe sich die beiden Ausgrenzungen sind, zeigt sich in den ähnlichen Rollen, welche der Talmud und der Koran oder die Liberalen und Linken in der Juden- und Muslimfeindlichkeit spielen. Zudem haben sich in Ostmitteleuropa und in den Ländern der Orthodoxie, die weniger belastet ist durch die Shoa als die Westkirchen, Antisemitismus, Islamophobie und Antiziganismus für alle sichtbar wieder überlagert.

Rechte Judenfeindlichkeit an der Basis

Über die Haltung an der Basis gibt es zwei Studien zur Schweiz aus dem vergangenen Jahr. Die Coordination Intercommunitaire contre l’Antisémitisme et la Diffamation (CICAD) kommt in ihrem Bericht 2016 «Antisémitisme en Suisse Romande» zu den folgenden zentralen Schlussfolgerungen: 68 Prozent der in den sozialen Netzen gefundenen Texte stammen aus der extremen Rechten, 42 Prozent der gesamthaft 153 Vorfälle sprechen einen «complot juif mondial» an. 22 Prozent rufen «traditionelle» (ökonomische und religiöse) Vorurteile ab. Als Beispiel zitiert der Bericht einen Facebook-Eintrag des Parti Nationaliste Suisse: «Wenn sie (die Juden) glauben, sich bei uns in Gefahr zu befinden, sollten sie gehen». Als «Nationalisten» hielten sie «erst recht nicht eine fremde und religiöse Minderheit» zurück, «welche die Gesetze der Integration nicht respektiert». Dabei wird die «Opposition gegen das Schächtverbot» erwähnt. Auch wenn die grösste Gefahr für die europäischen Juden heute vom dschihadistischen Terror ausgehe, bleibe der rechtsextreme Antisemitismus eine «Quelle grosser Sorge», heisst es im Bericht weiter.

Die Zahlen der CICAD-Untersuchung werden nicht quantitativ, aber qualitativ bestätigt durch den Antisemitismus Bericht 2016 der Stiftung gegen Rassismus (GRA) und des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG). Auffällig unter den 31 Vorfällen ist die Häufigkeit der klassischen Kombination von Antijudaismus und modernen Antisemitismen in ihren nationalistischen, abendländischen und rassistischen Versionen. In einem Brief an die SIG wird behauptet: «Schweizer Juden, das ist reine Papierform; ein Jude, in welchem Lande auch immer er sich ausbreitet, wird immer Jude sein, selbst nach 4000 Jahren.» Ein französischsprachiges Mail an den SIG wünscht sich Adolf Hitler mit folgenden Worten zurück: «tonton adolf allais revenir nous débarasser des juifs qui nous bandent depuis 2000 ans».

Der Antijudaismus und der Antisemitismus sind eng verbunden mit dem Leitmotiv «Christliches Abendland». Selbst die Beifügung des Adjektivs «Jüdisches», die historisch höchst fragwürdig ist, ändert wenig daran. Es gibt nur eine Grundhaltung, die vor Antisemitismus wie auch vor Islamophobie schützt: ein humanistischer Universalismus, der von der Gleichheit aller Menschen, der Gleichberechtigung aller Völker und der Gleichwertigkeit aller Religionen ausgeht.

Bibliografie

Grigat Stephan (Hrsg), AfD & FPÖ. Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder (Sammelband) , Nomos, Baden Baden, 2017

Camus, Jean-Yves/Lebourg Nicolas. Les droites extrêmes en Europe. Seuil, Paris, 2015

Bravo López Fernando. En casa ajena. Bases intelectuales del antisemitismo y la islamofobia, Barcelona, Edicions Bellaterra, Barcelona, 2012

Wetzel Juliane. Antisemitische Einstellungen in Deutschland und Europa. Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, 2014